Nicht jede Blume ist blau

 

Nicht jede Blume ist blau. Nun bemale ich meinen Sarg. Meine Hoffnung tanzt hinter den Kulissen. Die Bühne dreht Sommer in meinen Schädel. Ich bin aus Papier. Da schlägt mein Schatten dem Schlaf ins Gesicht. Kopfhaut zuckt in spitzer Überforderung der Gedanken unterm Knochen. Da flimmern weiche Ionen. Und irgendein großer fremder Mann hoch über mir nennt die Buchstaben: Gewaltige Bilder. Aus seinen Wimpern zuckt es kritisch, bis die Blicke brennen. Das ist alles bloß ein assoziatives Ereignis und nicht einmal Kunst. Ich bin noch jung, bin Eisbrecher und fahre durch mich selbst, schiebe das Eis weg von meinem Weg. Ich weiß nicht, ob ich ankomme und kenne auch kaum ein Ziel. Stolperanfälligkeit ist mein Wahrzeichen. Ich suche den Ort, wo ich Halt finde mit offenen Schnürsenkeln. Zigaretten treiben meine Sucht nach Verlorenheit im Unterholz meiner – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll: Seele? Keine Ahnung. Das ist eine Geschichte ganz anderer Gewalt.

Der Himmel hat die Farbe von Pommes frites. Ein drohendes Grau mischt Sommergelb. Die Sonne fällt mir vor die Füße, als ich barfuß und ohne eine gravierende Erwartung über den Platz laufe und einfach nur atme. Die Farbe von Pommes frites, flüstern meine Ionen, die Stäbchen tanzen partizipiell. Aber ich habe keinen Hunger, keinen Durst, und schieße alle meine Nachmittagstermine tot. Nun rennen sie allein durch die Zeit, die sich mit sich selbst verschwört, und der eine Termin redet über den anderen, während mein Lenker sich einen abstrakten Orgasmus vorstellt: So gebar sich die Welt. Und wie ich entstand, das ist natürlich eine weit herzuholende Geschichte, wie immer. Die erzähl ich mir aber heute nicht, ich kann sie mir nicht mehr glauben, und so ist das mit allen Geschichten, man kann sie nicht glauben, und das Spiel der Worte und Gedankenverwerfungen, alle diese Extrapolierungen und Abbrüche langweilen mich. Heute will ich mit der Haut parlieren, will dem Blut unter ihr Zeichen geben. Ich rauche und schaue zu, wie sich kleine Perlen bilden mit den eingekapselten Ideen von morgen.

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.