Lähmung. Ich werde kalt, spüre, wie ich anfriere, wie sich Eis bildet zwischen meiner Haut und dem Stuhl, wie das Vakuum zwischen mir und dieser Schauspielerin zusammenzischt und mich innerlich wegbläst irgendwohin, wo das Nichts immer kleiner wird und wo mein Lenker zusammenschrumpelt zur Minierbse, wo die Oper, die eben noch lief, aufhört. Wenn das Stück zu fad ist, läuft das Gehirn aus. Das Schwarze Loch rauscht weg, ich dividiere mich perpetuierend, bis der frittige Sekundenwind meine Asche aufwirbelt mitten hinein ins Neonlicht über mir: CINZANO.
Und dann schlägt auf einmal alles wieder um, ich wachse, das Eis rinnt zu Boden, ich sitze federnd im Stuhl – und da, wo die Schauspielerin saß, wächst ein Olivenbaum. An dem hängen lauter tote Mäuse. Und über mir das heiße Blechdach. Als ob es zu mir gehört. Diese ganze aggressive Autosuggestion, sage ich zu meinem Lenker, die kann mich mal. Da fliegt zwischen den Neon-Buchstaben ein kleiner Hai, der sperrt sein Maul auf, ein Elektrorasierer, denke ich, der mäht die Oliven, wenn sie wachsen, und legitimiert alle Zufälle, die wir uns erzählen …
Vorstellungen. Das Fundament ist gelegt. Ich muss funktionieren. Pronominale Neurosen, mehr habe ich nicht gegen den Wahnsinn der Sozietät. Ich lese französische Philosophie, um die Freiheit zu begreifen und verifiziere nur mein Nichts. Ich schaue meinem Denken zu, wie es sich verbiegt in meinen schläfrigen Intentionen, weil ich eine Bühne für Psychose 4:48 will. Aber ich bin keine soziologische Forschungsgruppe und habe keine Begründung. Ich habe nichts, an das ich glauben kann. Ich habe nichts, an das ich nicht glauben kann.
Ich brauche Zeit. Ich will eine Formel, die mich erklärt.
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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.