Kritiker sind eine besondere Art Menschen. Zum Kritiker muß man geboren sein. Mit ganz außergewöhnlichem Schaafsinn findet der geborene Kritiker das heraus, worauf es nicht ankommt. Er sieht nie den Fehler des zu kritisierenden Kunstwerks oder des Künstlers, sondern sein eigenes Fehlen, sichtbar gemacht durch das Kunstwerk. Der Kritiker erkennt durch angeborenen Schaaafsinn gewissermaßen seinen eigenen Fehler durch das Kunstwerk. Das ist die Tragik aller Kritiker, sie sehen Fehler, statt Kunst. Kunst sehen heißt für den Kritiker die Fehler am Kunstwerk rot anstreichen und eine Zensur darunter schreiben. Kritiker sind den mit Recht so beliebten Oberlehrern ähnlich. Allerdings braucht der Kritiker kein Examen zu machen, zum Kritiker ist man eben geboren. Der Kritiker ist ein Geschenk des Himmels an die Menschheit. Mit Oberlehrerin gesäugt nährt er sich von Kunstfehlern zum Segen der Schaaaafzucht. Sich sägen bringt Regen. Zwischendurch trinkt der Kritiker dann noch ein Gläschen rote Tinte. Jeder Kritiker hat einen Regenschirm, in den er wieder gewissermaßen hineingeheiratet hat. Denn sich sägen bringt Regen zum Segen der Schaaaaafzucht. Das besagte Oberlehrerin aber ist ein dicker, sirupartiger Saft, hergestellt aus Absonderungen der Galle von wirklichen geheimen Oberlehrern und dem Magensaft verblödeter Schaaaaaafe. Besagte Schaaaaaaafe brauchen kein Examen gemacht zu haben, wie der Kritiker. Den Regenschirm benutzt der Kritiker, um ihn verkehrt aufzudrehen. Kritiker brauchen ihre Regenschirme in der Kunstausstellung nicht abzugeben. Der Regenschirm aber muß ein Examen machen. Nur löcherige Regenschirme werden zur Kunstkritik zugelassen. Je mehr Löcher, desto mehr Regen, je mehr Regen, desto mehr Sägen, je mehr Sägen, desto mehr Kritik. Um auf das Schaf zurückzukommen: Kritiker sind eine besondere Art Menschen. Zum Kritiker muß man geboren sein. Kritiker sind schafgeboren, schafgesäugt mit Oberlehrerin und schlaftrunken von dem Kunstwerk. Der Unterschied zwischen Künstler und Kritiker ist der: „Der Künstler schafft, während der Kritiker schaaft.“
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Quelle: Zuerst erschienen in: Kurt Merz Schwitters: Elementar. Die Blume Annas. Die neue Anna Blume. Berlin: Verlag Der Sturm 1922.
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Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421