Die Kontur

Rückschau Leerstellen

Die Erinnerungen so dicht, dass jede Geschichte einen Film ergäbe, wo immer sie begänne zu erzählen, viele kleine, geschlossene Geschichten vom eigenen Schicksal und von Schicksalen, eine reiche Verschwörung des Gelebten gegen die Askese des Gewollten, und würde sie jetzt anfangen, zu erzählen, hätte sie Stoff reichlich, Sterbens- und nicht Lebensstoff, bis in kleinste Verfaserungen der Ausschmückung gezähmte und gestählte und fließende wie Wissen schenkende Erinnerungen, köstliche Klein- und Großodien der Nähe und Abstoßung, des Hellerwerdens im gewalttätigen Dämmer ineinanderstürzender Nächte, lichtschöne Blässen vager Abtastungen zwischen zärtlichen Tonfolgen des Du- und Ichsagens, aromantisch das alles im Platten, Eindimensionalen des Aufschreibens, nicht hast du erinnert, gewollt nichts, geschichtslos du, der du immer festhalten, fixieren wolltest, was bedeutsam schien nicht allein für dich.

 

Dabei hast du die Leerstellen zu löschen versucht, die heute wieder da sind, genau das andere, Verkehrte, für anders, falsch und fremd Befundene, das hast du heute schrittweise mitzuschleifen, das genau, als Gegenbild, Spiegelschrift in deiner Biografie, Überwinderhinterhalt, das macht dir jetzt zu schaffen.

 

Entlang der Vorsichtsgrenze aneinandergerückte Punkte, blühende.

Wissende, wegsuchende EinZeller, Einzeiler, eine Lichtspur nachziehend.

Wie anders ist Wiedererkennbares unterscheidbar von anderem Wiedererkennbarem, wenn nicht in Licht und als Licht?

Der vage gespurte Weg gewinnt um seinen Namen kreisend seinen Gegenstand – Form, aus der Tiefe allererster Bilder gerissene Einladung: Fahre, reise ihr nach!

Der Flügel muss wissen, wo und wohin es ihn trägt, erst, seit er weiß, wo sein fein gespreiztes Anderssein ans Grobe gestreift ist. Die Welt im Kindsinn hat von ihren Abständen her immer nur die Grenze ganz im Notsinn gezogen. Da ist Schwanken und Schaukeln, Flirren und Zerrissenheit vor Wut, gerade das Nichtgesehene markieren zu müssen: Pardon zu geben vorm ich weiß es einfach nicht und nicht was.

So fliegst du.

Vorbei an den gewachsenen Verrichtungen eines sich ständig Wandelnden; (dieses Neutrum soll Person sein.)

Du, sagst Du, es ist der Mensch ja meistens dieses Das und nicht sein Wer. Lust kam zur Sprache, dass das Allerkleinste und Allerempfindlichste wichtig sei, dass es sei: nichts, als ein Umkreisen von Punkten.

Lust, sie drängte auf Ballung, Verballung der Punkte Volumen.

Im Licht ist das viel Zusammengesetzte flach. Im Licht gilt auch hellere Unsichtbarkeit,die an den Rändern fortgesetzte Bewegung des Jasagens zum Eigenen. Wobei dies eine ebenso flache Frage schon bejahend stellt und perspektiv beantwortet:

Lust, sie drängte auf Ballung der Punkte, Volumen: Dieses schöne Bild von der Wanderung eines Menschen durch Jahres- und Eigenlandzeiten – im Zwielicht angekommen und in fremde Düsternis gefügt, bevor er noch seinen Schlafort erreicht. An der eigenen Haut orientiert bleibt er ohne Gepäck, an eigener Haut sein Geruchssinn orientiert – so kommt man überall da an, wo die Luft mit selbanderer Körperlichkeit erfüllt ist.

Das Konturgenie ist ein Instinkttierchen, menschlich gebaut in Proportionen des Vor- und Hinterhersagenmüssens. Und wenig mehr, damals, das musst du gelernt haben zu merken, werden die winzig kleinen Pünktchen die Linie versuchen. Und das: Je dichter sie einander finden angesichts großer Überbrückungsabstände, die angefüllt sind mit Lebensgeschichten, in denen Menschen spielen, die den Überblick über ihr gelebtes Leben nicht wiedergeben können. Dazwischen wälzen sich die Wale, die Bagger, die großen Schiffe in austrocknenden Häfen, im Schlamm versickerter Pegel und Gründe.

Immer steht einer höher, vielleicht auf der Kaimauer, ein Schreiber zum eigenen Unglück noch, er geht auf Kieseln in elastischem Schuhwerk, um auf jeden Fall auf Gefahren gefasst zu bleiben. Er geht die Form hinab, irgendeine Form will er begehen, die erst im Nachhinein als Ritualstruktur Bedeutung gewonnen hat. Das Nachhinein bleibt meist ein Synonym für öffentliche Betretbarkeit. Erstmal setzt man Schritt vor Widerstand vor Schritt: Du, wer geht da überhaupt?

Nein, da ist ein Geher auf der Stelle, da kritzelt die Zukunft dunkle Partien, immer linearer führt die Nähe zum Gewesensein ins Schwarz.

Dem Geher auf der Stelle ist sein Suchen noch nicht unterm Scheitel eingeschrieben.

Überdruss bleibt der Kontur Feind. Überdruss ist der Restschwamm von einem Fisch, der von der Weltmakulatur tot wie rot getragen wird.

Der Überdrussdunst als reine Natur: das wunschgeladene, unendlich von Medium zu Medium übersetzbare Spiegelbild des Immerwährenden. Durch die rückwärtige Fläche des Glases küsst es seine eigene Verhöhnung gegen die Wand, Glattwand, die (leider) nur Gleichgültigkeit simulieren kann. Mit Worten, Verfügungs- und wieder Fügungsworten.

Wo der Tod ans Gitter gerät, da einen macht Konturenlesen schön, da ist Nonfinitogenuß: ist Lauschen auf das sich Wälzen von Wildtieren auf Seidenpapieren.

Noch einmal kommt so der große Zeichner großspurig und selbstbewusst daher, von Dimensionen, Proportionen will er nichts wissen. Er begehrt das arme von ihm immer gern gestreichelte Wort Leben, diesen Kontinent gemäßigten Scheinens im gleich Gültigen begehrt er wie verrückt. Aber jeder Anlass für minimale Verrückungen macht ihn wild, macht ihn zum Wilderer in den Depots und Darren ausgestorbener Gedanken, zu einem auch, der von Wildnis nichts weiß.

Er imaginiert das verblasste Material unter seinen Händen farbig, des Bleibens und Fliehens ein Mächtiger.

Der Flügel weiß nichts vom Unwetterbericht. Im Kindsinn ist immer nur die Grenze ans Grobe gestreift – aus dem Notsinn gezogen. Der gewachsenen Verrichtung Wut steht das Hoffen auf Fassung gegenüber, das einzige, das immer bleibt, solange du Ich sagst, Du im Wege Dir, der schon weit ins ferngelenkte Dusagen führt.

 

Angelika Janz

Weiterführend → 

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd