Den Robert Menasse braucht man in der österreichischen Literaturszene und bei Standard-Lesern nicht vorzustellen. Man verbindet mit ihm den Begriff des kritischen Fragenstellers, Denkers und Feuilletonisten, der sich auch in aktuelle politische Geschehnisse einmischt, indem er dazu Stellung nimmt. Ein engagierter Intellektueller, mit Wissen und Gewissen. Das ist ja leider schon selten geworden: Nicht nur eine Meinung zu haben, sondern auch eine Haltung und einen Standpunkt; auch einen moralischen und einen der Vernunft sowieso. Seine Dissertation über den österreichischen Außenseiterdichter Herrmann Schürrer (1980) bezeugt dies, und das schon früh in seiner Laufbahn. Denn der Schürrer galt ja immer nur als Verrückter, vor allem bei denen, die das „Offizielle Österreich“ bildeten und bilden; und sich das einbilden. Der Schürrer hat ja eine Zeitlang auch bei mir „gewohnt“, in meiner Bude, in den frühen Sechzigerjahren. Wir kannten uns aus dem Café Sport.
Also kurz noch einmal zurück zum Menasse! Es war bei einer Lesung in Bratislava in der dortigen Stadtbibliothek, zusammen mit dem schon lange verstorbenen Gerald Bisinger und anderen. Einer aus unserer Gruppe las nicht nur seine Texte vor, sondern gab auch – nicht nur zweifelhafte, sondern saudumme – politische Statements ab und zum Besten, wie er selbstbewußt glaubte. Menasse und ich standen in einem etwas abseits gelegenen, dunklen, aber zum Lesesaal hin offenen Raum, rauchten, hörten diesen Schwachsinn mit an. Ich sah am Stirnrunzeln vom Menasse, daß und wie sehr ihm diese dummen Aussprüche mißfielen. Das ist, glaube ich, seine Art: ruhig, besonnen, zurückhaltend, sparsam bezüglich Emotionen zu sein. Ich bin da ganz anders. Und plötzlich platzte ich, zum Menasse gewandt, heraus und zischte halblaut „So ein Trottel!“ Und der Robert Menasse nickte mir zustimmend, aber irgendwie vornehm, zu.
Später, als ich den Österreichischen P.E.N.-Club reformieren wollte, nahm ich unter anderem auch zu Menasse Kontakt auf, wir telefonierten miteinander. Ich hätte seine volle moralische Unterstützung meinte er (so wie z.B. J. M. Simmel und viele andere auch). Aber ich sah ein und akzeptierte, daß der Österreichische PEN nicht zu seinem Problemkreis gehörte. Zu meinem übrigens auch nicht mehr, weil ich nach 30 Jahren Mitgliedschaft vor kurzem ausgetreten bin. Irgendwann reicht es. Das könnte in manchem auch bei Robert Menasse zutreffen, denke ich, wenn er sich zu Wort meldet und wenn ich seine kritischen Artikel mit Zustimmung oder Widerspruch, auf jeden Fall aber aufmerksam, lese.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010