Der Raum ist schwarz. Langsam fließt Blau steil hinab, tiefblau, hellblau, zartblau angestrichene Strahlen von Licht. Flirrende Töne fließen mit, sie schwellen an und füllen den Raum so laut, dass die Farben zittern, dann wird es leise. Trommelndes Summen schwingt weiter. Sand weht ins Blau. Aus der Tiefe wächst die sich biegende Erde.
In welcher Zeitfuge bin ich?
Nun taucht ein Schreibtisch aus dem Boden auf, davor auf einem Stuhl ein Mann im grauen Anzug. Das andere Tier. Sein Haupt und seine Haare sind Schnee und seine Füße Erz aus einem feurigen Ofen. Er kommt mit den Wolken, denke ich. Er hält ein geöffnetes Buch in der Hand. Er reißt eine Seite heraus, schluckt sie, blättert weiter und schluckt die nächste Seite, blättert und schluckt. Das hat System. Mein Vater liebt nur sich. Das Buch wird ihm bitter im Magen liegen, aber süß sind die Worte im Mund! Er zieht den Schlips fester. Er schreibt. Das Schreiben hat System. Ich erschrecke: Ein Helm, ein Presslufthammer, ein schwebendes Tintenfass, in dem meterhoch die Tinte schwappt
„Ich spüre dich.“
Sie ist angetan mit der Sonne, unter ihren Füßen der Mond, und in ihrem Haar sind zwölf Sterne. Als sagte sie zu ihm: Komm, fahles Pferd, ich will dich reiten! – Was sagst du da? Sein Schwanz wirft alle deine Sterne auf die Erde.
„Ich weiß“, sagt er.
„Du arbeitest wieder an deiner Geschichte, du schreibst deine Geschichte immer wieder um, bis deine Geschichte gar nicht mehr da ist, du löschst dich immer wieder aus, aber du kannst dich nicht wegschreiben.“
„Ich entferne dich“, sagt er, „mit jedem Wort, das ich zwischen dich und mich schreibe.“
„Das kannst du nicht.“
Sie gleitet aus dem Bett, wirft ihr Haar zurück, steht auf und geht zu dem Helm. Sie führt ihren Krieg ohne Worte gegen ihn, sie verletzt ihn mit ihrem bloßen Körper.
Sie nimmt den Helm in beide Hände und hebt ihn über ihren Kopf.
„Die Worte, die du schreibst, können mich nicht treffen.“ Sie stößt den Helm hinter sich, das Metall schlägt scheppernd auf den Boden. „Gib mir meine Kinder zurück!“, sagt sie scharf.
Er schaut nicht auf. „Ich musste sie in meine Sätze stecken.“
„Lass sie frei!“
„Nein“, sagt er leise.
Ich vernichte dich, mein Vater. Ich erschaffe mich selbst.
***
Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.