Er steht auf

 

Er steht auf. Er fasst den Kugelschreiber und stößt ihn in den Text. Er geht mit schnellen Schritten zu dem Presslufthammer und stellt den Motor an. Der Hammer pulst, die Stöße zittern laut. Die erhobene Lanze schüttelt seinen Körper, verwackelt den Gang. Er rammt den zuckenden Hammer – fast springt er im letzten Schritt – ins Bett, reißt die tosende Waffe aus der Wunde heraus und stößt die stählerne Pressluftspitze ins Tuch, in den Stoff, den Draht, das Blech, und wieder ins Tuch, ins Blech, immer wieder mit der ganzen Wucht der gepressten Luft, zerfetzt das Bett, das Tuch, den Draht, das Blech. Der Mann sinkt erschöpft zu Boden. Er liegt auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt.

Die Schlangen im Haar haben dich nie gestört. Du hast alle Wasser und die Iris des Spermienregens. Du quälst die anderen, Vater, weil du dich quälst. Du willst meinen Schmerz, die Lust deiner Macht. Du bist zu schwach für deine Träume.

Mein Vater wirft die Jacke ab. Er löst den Schlips. Das Licht fließt auf den Presslufthammer, zum Bett, zur Tinte, zu mir, dem schwarzen Pferd, das den Hammer anhebt. Ich werfe dich aufs Siechbett. Ich bin es, der Herz und Nieren erforscht. Ich werde kommen wie ein Dieb.

„Ich spüre dich“, sagt er.

Er zieht das Hemd aus, wirft es über die vollgeschriebenen Blätter. Er hat einen Schwanz wie die Skorpione, einen Stachel, darin liegt seine Macht.

Die Macht der Pferde liegt in ihrem Maul und in ihren Schwänzen. Sein Schwanz ist wie die Schlange. Sie trägt einen Kopf. Da will der Zorn umkommen und die Zeit des kleinen Todes.

Ich töte dich. Du schreibst eine falsche Geschichte. Ich lege meine scharfe Sichel an und ernte. Ich schneide die Trauben des Weinstocks der Erde ab und gehe in die Kelter des Zornweins.

Den Presslufthammer hebe ich über das Bett, die Spitze ramme ich in den Rücken des Vaters! Der Motor rast, der Hammer stößt und bohrt durch das Tier die neue Wunde ins Bett. Dann reiße ich die laute Waffe hoch. Den zuckenden Hammer schleudere ich in die Luft. Ich höre die Kurve seines Falls. Der Hammer klatscht ins Tintenmeer und arbeitet wild weiter. Die Tinte schäumt. Ich lasse den Kopf sinken. Ich weine leise, singe mich selbst. Die Tinte läuft über die gläsernen Ufer. Ich stehe im Schaum meiner Verletzungen. 

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.