Karl Kraus dem Cardinal
Abigail des Spätgeborenen ältester Vetter Simonis saß auf dem Thron zu Theben nur einen Tag und langweilte sich und verzichtete auf die Krone zu Gunsten seines Bruders Arion-Ichtiosaur. Der nannte sich Abigail der Zweite – wie er vorgab, – zum Angedenken seines vetterlichen, spätgeborenen Vorgängers. Dieser Zweite ähnelte kaum entfernt nur noch dem Ersten. Denn der neue Melech war sechzig Jahre alt, als er den Thron der Stadt bestieg, seine ursprüngliche Wesenheit hatte geglättete, wohlweise ganz in sich ruhende, feste Form angenommen. Er bestieg am zehnten des Monats Jisroël den Thron und hielt sein träumerisch Volk wach und in Spannung. Er lud die ältesten Bürger der oberen Stadt zu sich in den Palast ein, erging sich an sie in einer stummen Ansprache in Kopfnicken und Gebärden, legte einige Male die erlauchte Stirn in Falten, nahm den zartesten der reichen Kaufleute, küßte ihn mit einer Wucht, die den so vor allen seinen Mitbürgern ausgezeichneten Mann aufschreien ließ und ihn wie die verwunderten Zuschauer ebenso verblüffte wie ergötzte. Darauf die kleine Gesellschaft entlassen wurde, stumm und mit dem huldvollsten Lächeln ihres Melechs. Sie zerstreuten sich hinter dem Tore des Palastgartens über die gepflegten Wege, durch die morschen Straßen und lächelten verlegen. Auf Befragen der neugierigen Menge vermochten sie nur die Schultern zu zucken und erklärten sich heimlich untereinander das Verhalten ihres neuen Melechs als ein Symbol der Gnade; neigten die alten Köpfe mit den Turbanen und taten nach ihres wunderlichen Königs Geheiß. Der stellte Männer an, die meisten waren überernährt und kugelrund gespeist, die auf den Marktplätzen von der Enthaltsamkeit predigten, die dem verwöhnten Volke im Namen ihres besorgten Melechs einigemale im Monat den Genuß der Früchte, des Brotes, der Fische und jegliches Vieh verbaten, so, daß keine Speise übrig blieb und die Leute den Tag über hungern mußten. Aber der Melech gestattete jedem Bürger der Stadt Thebens, seinem eigenen Mahle zuzusehen, sich an den Melonen seines Tisches zu freuen. Und er säete Haß, Gier und Mißgunst unter die zärtlichen Menschen, daß sie sich der Dattel mißgönnten. Einmal fragte ihn dann sein Lieblingssklave: Herr, warum befiehlst du solches? Da sagte der Melech: Haß und Gier und Mißgunst halten ein Volk wach. Abigail der Zweite ließ sich auf die Backe den Wendekreis des Affen tätowieren; er beschäftigte sich mit Astronomie und Mathematik und die Gemächer seiner Arbeit waren mit Karten dieser Wissenschaften behangen. Abigail der Zweite besaß seine Lachweiber und seine Tränenweiber; außer dieser Schar begleitete ihn sein Grüßer, ein edler Jüngling mit freundlichem Wuchs, an dem sich der Melech des Grüßens Anstrengung jedem Vorbeischreitenden immer wieder höflich enthob. Ihm zur Seite aber kam sein Erklärer, der ihm die Würzen der Humoresken deuten mußte, die seiner Hochlaunigkeit vorgetragen wurden. Mit einer Anekdote durfte sich jeder Bürger der Stadt auf der Straße oder im Palaste ungehindert dem Melech nähern; der wanderte oft zur Abendstunde gemächlich durch die erfrischenden Lüfte. Oder er stand auf dem Dache seines Palastes und stritt mit Gott. Oder er unterrichtete seine Diener und Dienerinnen in der Schöpfungsgeschichte. Da er kinderlos war, nahm er sich der beiden toten Söhne Adam und Evas an; glaubte nimmermehr an die Bruderbluttat Kains. Vom Sohne des obersten Priesters ließ er sich das Brüderpaar an die Wand seines Festsaals malen. Jussuf, der Sohn des Tempels, der in engste Berührung mit dem Palaste trat, wohnte einmal einem Gespräche bei, das der Melech mit seinem roten Hausgeschöpf Bisam-Ö führte. Dieser riet dem sehr bewegten König, sich zu vermählen. Das Murren, das sich nach und nach in seinem Volke, namentlich unter der Jugend bemerkbar mache, bezog sein Ratgeber auf das Nichtvorhandensein eines Thronerben. Abigail hatte sich mit seiner ganzen erhabenen Person seinen geliebten Bürgern gewidmet und es schmerzten ihn diese leisen Aufrührungen. Er hatte versucht, die säumenden Leute seiner Stadt aufzurütteln, er hatte versucht, jeden einzelnen von ihnen auf eigenen Fuß zu stellen, darum begann er schon bei Beginn seiner Regentschaft alle die Vereine zu lösen, die sich schon zu Abigail des Ersten Zeiten gebildet hatten. Nur die Zebaothknaben, die jüngsten Bürger Thebens, hielten trotz des Melechs Verbot ihre heimlichen Zusammenkünfte, deren Oberhaupt der begabte Sohn des obersten Priesters war. Jussuf warf sich schon unter seinen jugendlichen Anhängern zu ihrem Prinzen auf. Einem der Zebaothknaben, dessen Vater des Melechs Gunst erworben hatte, geschah es, daß er vom König in den Palast gerufen und mit allerlei Geschmeiden, Nasenknöpfen, goldenen Gurtschellen und Ketten bescheert wurde, aber sich der Sitte fügen mußte, einige Male im Mond den Melech aufzusuchen und in tiefster Dankbarkeit den heiligen Zeh seines Fußes zu küssen. Diese Handlung, die die unerfahrenen Knaben für eine demütigende empfanden, entfachte ihren Zorn zu einer Feuersäule, die ihrer Schar voranschritt. Jussuf, des Oberpriesters Sohn, liebte die junge Königin Marjam, seines verhaßten Melechs ausersehene Braut, und sein Herz eifersüchtete giftig nach seinem gekrönten, alten Nebenbuhler. Hinter der Liebeshecke ihrer Stadt trafen sie sich einmal als junge Kinder und liebten sich. Das Land Marjam, hatte dann der Oberpriester gesagt zu seinem Sohn, dufte nach Brod – –. Wie die Hochzeit des Melechs zu verhindern sei, besprachen die Knaben untereinander, bis sie von einem Plan überrascht und durchläutert wurden und begeistert. Ihr Prinz Jussuf, der schon lange Entzücken bei den Tränenweibern und Lachweibern erregt hatte, gewann zur Ausführung der Tat die armen Faulenzerinnen. Die Lachweiber begannen ihre roten Herzen schwermütig an die Wolken zu hängen und der Tränenweiber Lachen machte den Tag toll. Aber der Melech traf schon Vorbereitungen für den Einzug seiner jungen Braut. Zwei Paviane ließ er zähmen, die saßen zwischen seiner Dienerschaft am Eingang seines Palastes. Auf ihre Häßlichkeit war die Sonne bunt gestolpert und ihre Hinterorangen bewegten sich mit ihren jähen Sprüngen. Dann kam die Königin. In allerlei höflichen Zeremonien übte sich Abigails Grüßer und der Melech selbst zwischen seinen Lachweibern und Tränenweibern, die lederne Stirn lieblich von der Schminke gerötet, den Kinnbart jung gefärbt. »Seht Abigail, unseren Melech!« Auf Tanzschritten seinem Glück entgegen. Und hinter den lachenden und weinenden Weibern hielten sich eine Anzahl Zebaothknaben verborgen und kitzelten den Tränenfrauen in die Hüften, so daß die ein Lachen bei der Zeremonie des Empfanges ansetzten, welches dem Melech höchste Verlegenheit bereitete. Marjam, die junge Königin war kühl und selbstsüchtig und ehrgeizig. Dem königlichen Gastgeber zu gefallen, hatte sie ihren Geist mit Anekdoten, herzhaftesten, aus allen Ländern bereichert. Die Flötenspieler bliesen Tanzmelodien und die Dudelsäcke dehnten sich wie lustige Lachbäuche. Und wenn Marjam in Begleitung der Musik dem lauschenden Melech ihre Anekdoten erzählte, begannen die Lachweiber zu heulen, daß auf ihren Tränen die Speisen des Tisches fortschwammen. Am tiefsten aber berührte es die Königin, als sie von der Tiefe ihres Herzens sprach und dazu die Tränenweiber an zu pusten anfingen und vor Lachlust platzten und den König verwirrten, da er in Frauenempfindungen sehr wenig Erfahrungen gesammelt hatte, und er schließlich den Gefühlen seiner Sklavinnen vertrauend, selbst eine Lachflut losließ und nach ihm die Königin sich zu einem Lächeln zwang, das wie ein Granat blutig auf dem tobenden Ozean schimmerte. Nach der Tafel führte der Melech seine hohe Braut durch die Menge der Gäste, aber sie verließ mit gnädigem Nicken ihres ernsten, hochmütigen Kopfes gekränkt den verblüfften Hof, die Stadt Abigails des Wunderlichen, der, wie sich seine Bürger erzählten, gestorben sei, weil seine Erklärer ihm nicht den Kernpunkt seiner Tafel seltsamer Anekdote deuten konnten. In Wirklichkeit hatte ihn aber in derselben Nacht Jussuf, der Sohn des Oberpriesters, durch einen Dolchstoß ins Zwerchfell getötet. Jussuf, der Prinz von Theben, ließ sich zum König Abigail den Dritten ausrufen von seinem kleinen Heer, das zählte 1000 Zebaothknaben; mit ihnen sammelte er die aufatmenden Bürger der Stadt.
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Der Prinz von Theben, ein Geschichtenbuch von Else Lasker-Schüler. Paul Cassirer, Berlin 1920
Die erste Geschichte – Der Scheik – und die letzte – Der Kreuzfahrer – sprechen unter anderen jeweils die Sühne zwischen den Religionen an und machen somit das restliche, zumeist schaurig-schreckliche Geschehen ein klein wenig erträglicher.
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