Eines Morgens wache ich auf und sehe in die stummen Augen eines Maultierhirschs, der sich über mich beugt und bald in aller Ruhe davontrabt. Abends am Feuer fünf Amerikaner, ein Schwede und ich. Diskussion über Obama und Clinton … dann kreisen die Joints. Zwei Nächte danach im Zelt eines Mädchens aus Indiana. Morgens, mittags und nachmittags schwimmen wir im kühlen Wasser des aufgestauten Bachs. Die Jeans trocknen schnell in der heißen Luft. Nachtwanderung durch die Phantom-Creek-Schlucht, im Mondlicht schimmert der schmale Pfad. Das Mädchen steigt am nächsten Morgen hinauf zum Rand des Canyons. Ich bleibe in der Schlucht. Ich suche den Kondor. Die großen Vögel fliegen über den Felsen in flimmernder Luft. Ich gehe zur Phantom Ranch ein paar hundert Meter bachaufwärts, wo die Touristen übernachten, die auf Eseln in die Schlucht reiten … Da knallt der rote Coca-Cola-Automat in meine Augen. Es ist keine Fata Morgana. Ich werfe zwei Quarters in den Schlitz, der Automat spuckt eine eisgekühlte Flasche aus. Ich trinke das Bild in mein Hirn, gehe zurück und schreibe.
Grand Canyon
when you see the red rocks
fingers and torsos broken living stones
towering toward a steel-blue empty sky –
can you see the whole of mankind’s
history ever written down?
when your eyes
roaming from ridge to ridge, from blue to yellow
from a smashed tree dying in exhausting
airs of brutal colors to a mire of illusions
when they become cameras which shoot
a picture for your scheme of life –
can you feel your unwritten history?
when your cries in a red yellow
darkness of rock loneliness
come echoing back from a living theatre
made by your own bright thoughts –
can you hear the sounds of freedom?
there is no answer but the canyon itself
there are your questions only
there is no feeling outside the canyon
but your tiny and unfinished thought
of a flawed but coloured photograph
there will be no change in a world
that never knew a building hand
there are changes in time
that mean destruction for a better world
with red and bright fingers
pointing up to the sky
a raven sitting on a yellow rock hand
is awaiting what history
could end up that could still be
a brave new world
a history that never was but appears
in this small moment
there is nothing to show
nothing to remember
but darkness and the bright light
of a bygone future
***
Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.