Ich traf Usch in einem Café am Reileck. Sie verspätete sich. Ich setzte mich an einen Tisch am Fenster. Ich beobachtete im Asphalt die Spiegelung des dunklen Himmels. Die Wolken zogen durch die Pfütze. ‚Ganz frei sind wir nirgends’, dachte ich. Ich grübelte weiter, die Augen starr auf die Wolken gerichtet, die im Asphalt schwammen. In den letzten Jahren schrieb ich kaum einen Brief an Usch. Sie kam ins Café, ihr Blick verurteilte mich. Sie trank ein Glas Mineralwasser. Das Gespräch blieb leer. Sie stand auf, ich nahm meine Winterjacke. Im Café gingen die Lichter an. Ich blieb stehen, beobachtete den sanften Schein, den die Kristalle der Deckenlampe auf den Parkettboden malten. Dann schaute ich wieder auf, meine Augen suchten ihren Blick. Aber sie sah mich nicht an. „Wie konntest du so lügen!“ Ich blickte zu Boden. „Der Mensch ist ein Entwurf, mehr als nur ein Schaum, sagt Sartre“, sagte ich. Usch schwieg. Keine Berührung, kaum ein Abschied. Unsere Wege trennten sich. Zögernd, fast taumelnd, streifte ich durch die Straßen von Halle, nichts Bestimmtes suchend. Düstere Gefühle überliefen mich. Ich ging durch die Senefelderstraße, in der ich als Kind aufgewachsen war, und weinte. Der Gedanke, eines Tages als verkrachte Existenz dazustehen, kroch hinter meine Stirn und schlug mir auf den Magen. Ich war auf mich allein gestellt und haderte mit dem, was ich eben noch Entwurf nannte. Es wurde stockdunkel um mich herum.
Meine Zukunft war noch ungeboren, das wusste ich, ich las Bücher, rauschhaft, ohne Ziel. Ich schrieb Gedanken auf, Sätze über die Bücher und Sätze über den Tag und über mich selbst. Ich schrieb kleine Mails an Stella: „Ärgere dich nicht, dass du bei dieser Sonne in der Bibliothek hockst, die Sonne scheint überall. Zieh deine engen Jeans an, wenn wir uns am Abend im Jardin treffen, dann gebe ich dir meine Seele.“
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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.