Das ornament, das heute geschaffen wird

 

Da das ornament nicht mehr organisch mit unserer kultur zusammenhängt, ist es auch nicht mehr der ausdruck unserer kultur. Das ornament, das heute geschaffen wird, hat keinen zusammenhang mit uns, hat überhaupt keine menschlichen zusammenhänge, keinen zusammenhang mit der weltordnung. Es ist nicht entwicklungsfähig. Was geschah mit der ornamentik Otto Eckmanns, was mit der Van de Veldes? Stets stand der künstler voll kraft und gesundheit an der spitze der menschheit. Der moderne ornamentiker aber ist ein nachzügler oder eine pathologische erscheinung. Seine produkte werden schon nach drei jahren von ihm selbst verleugnet. Kultivierten menschen sind sie sofort unerträglich, den anderen wird diese unerträglichkeit erst nach jahren bewußt. Wo sind heute die arbeiten Otto Eckmanns? Wo werden die arbeiten Olbrichs nach zehn jahren sein? Das moderne ornament hat keine eltern und keine nachkommen, hat keine vergangenheit und keine zukunft. Es wird von unkultivierten menschen, denen die größe unserer zeit ein buch mit sieben siegeln ist, mit freuden begrüßt und nach kurzer zeit verleugnet.

 

 

***

Ornament und Verbrechen, von Adolf Loos, Wien 1908

Adolf Loos war ein österreichischer Architekt, Architekturkritiker und Kulturpublizist. Er gilt als einer der Wegbereiter der modernen Architektur. Seine bekanteste Schrift ist der Vortrag Ornament und Verbrechen (1910). Darin wird argumentiert, dass Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten im Sinne menschlicher Kraftersparnis ein Zeichen hoher Kulturentwicklung seien und dass der moderne Mensch wirkliche Kunst allein im Sinne der Bildenden Kunst erschaffen könne. Ornamentale Verzierungen oder andere besondere künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand seien eine ebenso unangemessene wie überflüssige Arbeit.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.