Der Letzte

 

He! da oben! lachen! ich lache! drei Tage stürzen! brüllen! drei Tage Jahre Ewigkeiten! und bist noch nicht zerstürzt! verfluchter Himmel! Blaubalg! pafft Zigarren und stiebt Asche. alles zusammen. den Graben. Schützengraben. Schutz. Grab. die Stellung wird gehalten bis zum letzten Mann! vorwärts Jungens. das Blaugespenst klimmt rote Augen auf. rot. feuerrot. verschlafen. der Tag hält nicht aus. so oder so! schießt! schießt! der Wald! ja. in den Wald! Schädel. Wolken. lustig! der beste Schütze darf. Ja. darf zuerst schlafen. Teufel! schlafen. Mord Müdigkeit Rasen Wut! He! Bursche! Bursche da vorn! willst du? willst du schießen?! du? ja? der Kopf zwischen die Beine geklatscht? Drückeberger! schießen! knallen! seht! sie kommen aus dem Wald. raus aus dem Lauf! die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer! Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen! mein Schatz hat blaue Augen. haha! drauf! drauf! sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben. laufen. Mädchenbeine. ich beiße. beiße. verflucht. Küsse scharfe. drauf gehalten! Standvisier Aug in Auge! Wasser? was? die Läufe glühn? alle Schläuche glühn. letzte Nacht hat die Feldflasche zerschlagen. das trockne Glas geleckt. die Zunge blutet. schluckt. schluckt. schießt die Flinten kalt. euch selber kalt! kaltes Blut! da vorne pfützt Wasser. pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut. blutiger Dreck. Blut modert zu schnell. Feuer! Schnellfeuer! raus! nicht einschlafen! wer? nehmt ihm die Patronen aus der Tasche. wir brauchen sie. der Kerl blutet! ein kleines Loch kann so bluten! schießen! Zielpunkt. Donner! Knacken! das Flattern! so müßt ihr auch schießen. zielen. zielen. gut. ruhig. die Hunde drüben. die arme Erde. Brief in der Tasche? natürlich. schlapp und gleich tot auf der Nase. »mein lieber Mann!« ja. Männer brauchen wir. aber keine toten hier. essen. Bröckel Schokolade. Mutter. schießt Kerle. ach Mütter weinen immer. schießt! ich war ein weicher Junge. Teufel! Kopf hoch! die Nasen aus dem Dreck! was?! keiner? alle? Faullenzer! Verstärkung. hört ihr? Verstärkung kommt. Feind nicht ranlassen! die Flinten vor! Teufel! totsein ist Schande! seht! ich schieße. schieße. Verstärkung. hört! Trommeln. Hörner. tata trrr! eilt da hinten! eilt! Muttertränen. Vaterbrünste. Dreck! drei Tage Dreck! Menschen! meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen. Grab. Hölle. Teufel. mein Arm schießt. Finger ladet. Auge trifft. hurrah! hurrah! die Beine in die Hand! hurrah! Tod und Leben! hurrah! Eisen! hurrah! drauf! Mein Kopf! Kopf! wo ist mein Kopf? voran. fliegt. kollert. brav. Bursche! in den Feind! beißen beißen! Säbel! ha! weich der Vaterbauch. weich. Mutter. wo bist? Mutter. seh dich nicht? Mutter du küßt. Mutter. rauh. halte mich. ich falle doch. Mutter ich falle. Mutter.

 

 

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Am 1. September 1915 ist August Stramm bei Horodec östlich Kobryn, in einem sinnlosen Krieg gestorben. Seine Texte fallen auf durch ihre schlichte, reduzierte Sprache. Oft wird kein Wert auf Grammatik gelegt; Substantive, substantivierte Verben und Neologismen bilden den Hauptbestandteil.

August Stramms Stil war überraschend und neu. Durch seine Knappheit, Härte und die weit vorangetriebenen Sprachexperimente heben sich Stramms Gedichte deutlich von denen anderer, früher Expressionisten wie beispielsweise Georg Heym und Theodor Däubler ab. Während letztere meist noch deutlich von der Neuromantik und dem Symbolismus beeinflusst sind, reißen Stramms Sprachmontagen den Horizont in die Moderne auf. Die zerhackten Rhythmen, die Satz- und Wortfetzen machen Stramms Gedichte zudem zu den überzeugendsten lyrischen Zeugnissen des Weltkriegs, umso mehr, da es kaum einem anderen Autor gelungen ist, das Grauen dieses ersten Maschinenkriegs in einer dieser ganz neuen Erfahrung angemessenen Form zu verarbeiten.

Schon mit den ersten Veröffentlichungen im Sturm nahmen junge Autoren Stramms Stil auf, darunter Kurt Heynicke, Walter Mehring und Kurt Schwitters. Auch auf die expressionistische Prosa von beispielsweise Alfred Döblin hatte Stramms Sprachduktus Einfluss. Zu späteren Stramm-Anhängern gehören u. a. Arno Schmidt, dessen frühe Prosa (1946–1956) auch stilistisch von Stramms Lyrik beeinflusst ist, Gerhard Rühm, Ernst Jandl und der Stamm-Adept Thomas Kling.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.