Sie ist in die amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts als eine der renommiertesten Autorinnen eingegangen, die den verzweifelten, langwierigen Befreiungskampf der schwarzen Bevölkerung aus dem Joch der weißen Sklavenhändler in umfangreichen dokumentarischen und fiktionalen Romanen belegt haben. Ann Petry, 1908 in Old Seabrook (Connecticat) geboren, wo sie bis Ende der 1930er Jahre gelebt und gearbeitet hat, gehört zu den engagiertesten afroamerikanischen Schriftstellerinnen, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Umgang mit den weißen Siedlern und ihrer umfangreichen Studien über das Schicksal ihrer Leidensgefährtinnen bedeutende literarische Zeugnisse des Kampfes gegen die leibliche und berufliche Unterdrückung der afroafrikanischen Bevölkerung hinterlassen haben. Die vorliegende Übersetzung von Hella Reese des 1955 im amerikanischen Originaltitel „Harriet Tubman“ erschienenen Romans zeichnet sich durch einleitende Anmerkungen wie auch durch ein abschließendes Glossar aus. Sie enthalten wichtige Hinweise auf die Schreibweise der Bezeichnungen für ‚black‘, negro/ Neger‘, coloured, die in der amerikanischen Erstausgabe von der Autorin Petry benutzt wurde und in der deutschen Erstausgabe einheitlich mit ‚schwarz‘ bezeichnet werden. Das abschließende Glossar enthält eine Reihe von Namen und Bezeichnungen, die im Zusammenhang mit den dokumentarisierten Handlungen stehen, die in der Geschichte der Fluchtbewegung der schwarzen Sklaven/innen in den Norden der U.S.A. eine bedeutende Rolle spielten.
Fluchthelferin bei der Underground Railroad – so lautet der Untertitel einer von schrecklichen Umständen und grausamen Erlebnissen geprägten Lebensgeschichte von Harriet Araminta, der späteren Harriot Tubman, Sie wurde 1820 in der Familie von Harriet Greene, genannt Old Rit und deren Ehemann Benjamin Ross geboren. Beide verdingten sich ihren Lebensunterhalt als Sklaven des Plantagenbesitzers Edward Brodas. Minta oder Minty, wie ihre Eltern sie nennen, erwartet eine erbärmliche frühe Kindheit in der Obhut einer sehr alten Frau, die eine Kinderschar aus benachbarten Familien mit rüden Bestrafungen beaufsichtigt, während deren Eltern auf den Feldern des Plantagenbesitzers von früh bis spät arbeiten müssen. Harriet ist seit ihrem 6. Lebensjahr tätig, muss am Webstuhl Hilfsdienste leisten, wird als Babysitterin verprügelt, versucht zu fliehen, um wieder eingefangen als Zehnjährige auf Baumwollfeldern zu malochen. Dort erfährt sie von dem Aufstand, den Nat Turner 1831 für rund hundert seiner Leidensgenossen inszeniert. Von der eiligst einberufenen weißen Bürgerwehr eingefangen, wird er ohne Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Doch für die auf den riesigen Baumwollfeldern in Maryland und Virginia arbeitenden Sklaven wird er zum Symbol eines immer mächtiger werdenden Freiheitsdrangs. In ihren Liedern häufen sich die Freiheitsmetaphern, in ihren heimlichen Zusammenkünften werden Fluchtpläne geschmiedet. Die Rede von einer Underground road in den Norden ist immer häufiger zu hören.
Harriet schafft es, nach einer mehr als zwanzigjährigen Periode als Lohnsklavin bei unterschiedlichen Sklavenhaltern sich auf den Weg nach Baltimore zumachen. 1844 hat sie ihren langjährigen Freund John Tubman, einen „freien“ Sklaven geheiratet. Doch nach mehreren mühevollen Fußwanderungen mit einigen Leidensgefährten löst sie sich aus dieser ehelichen Bildung. Ihre Erfahrungen mit zahlreichen weißen Amerikanern, die die Fluchtbewegung der Afroamerikaner mit Rat und Tat unterstützen, bestärken sie in ihrer Absicht, die Fluchtbewegung ihrer Leidensgenossen zu koordinieren. Ihr aufopferungsreiches Engagement, ihre Willensstärke und ihre Zähigkeit werden belohnt. Im Bürgerkrieg zwischen den Konföderierten und den Unionsstaaten zwischen 1862 und 1865 erweist sie sich als geschickte Kundschafterin für die Unierten, in deren Reihen viele afroamerikanische ehemalige Sklaven kämpften. In den Jahren nach 1865 engagierte sie sich in dem Kampf derjenigen Afroafrikaner*innen, die immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen malochen mussten. Als sie 1913 hoch geehrt in Auburn starb, war sie zum Symbol des erbitterten Kampfes für eine Gleichberechtigung amerikanischer Staatsbürger*innen geworden.
Die hier vorliegende Biografie von Harriet Tubman, angereichert mit vielen Informationen über die Pioniere des afroafrikanischen Befreiungskampfes in den Vereinigten Staaten Nordamerikas, ausgestattet mit einem wertvollen Glossar, das Eigennahmen und Begriffe der Befreiungsbewegung enthält, ist in vieler Hinsicht zu loben. Die Publikation erfüllt 65 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung alle Kriterien für eine Lektüre im Unterricht der Oberstufe und in Fortbildungsstätten, in denen der weltweite Emanzipationskampf für die Bewahrung der Menschenwürde gelehrt wird.
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HARRIET TUBMAN. Fluchthelferin bei der Underground Railroad. Aus der Sklaverei in die Freiheit, von Ann Petry. Aus dem amerikanischen Englisch von Hella Reese. Zürich (NAGEL & KIMCHE) 2022
Weiterführend → Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.