Kaum war er anzusprechen gewesen, stierte nach vorne durch die Frontscheibe in den Himmel. Erst nach dem dritten oder sogar vierten Ansprechversuch eine Reaktion. „Entschuldige, habe die Raupe dort oben betrachtet, die sich krampfhaft an der Scheibe festhält. Das arme Ding, kann doch gar nichts dafür, dass wir mit rasender Geschwindigkeit über die Autobahn brettern.“ „Welche Raupe, ich sehe keine Raupe.“ „Na, die, die da.“ Und er zeigte mit dem Finger auf eine leicht gekrümmte braungrüne Linie mit einem Durchmesser von etwa zwei Millimetern.
Später stellte sich heraus, dass es sich um einen Vogelschiss handelte. Aber links und rechts davon, drüber und drunter hatten sich wunderschöne Reste von Faltern, Fliegen und einem Maikäfer erhalten, die während der Fahrt mit dem Auto kollidiert waren.
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Unerhörte Möglichkeiten, von Herrn Nipp. Edition Das Labor 2012
Dieser short-short ist Teil der Reihe, die KUNO anläßlich der 10-jährigen Erscheinens der Kurznovellen Unerhörte Möglichkeiten präsentiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muß man keinen Falken mehr verzehren, um novellistisch tätig zu sein. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist Mikroblogging eine auflebende Form. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle zu Twitteratur ein. Der Band mit den Kurznovellen ist kein Künstlerbuch. Was aber, wenn plötzlich Originalholzschnitte auf dem Deckblatt zu finden, die Ameisengleich über das Titelblatt krabbeln?
Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus als bibliophile Kostbarkeit: Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421