TREFFEN

 

ich besuche eine familienfeier. wir sitzen in einem restaurant im freien. etwa zehn bis zwölf verwandte sind gekommen. ich helfe beim servieren und trage zwei kaffeetassen. dabei muß ich vom lokal über eine straße gehen, auf der nahezu ununterbrochen lastkraftwagen mit baumaterialien fahren, womöglich, denke ich, ins totenreich. mir zittern die hände und ich vergieße etwas kaffee. ich überquere die straße und setze und entschuldige mich, indem ich sage: »ich bin nach dem tod meiner eltern noch nicht wieder ganz bei kräften.« darauf korrigiert mich mein vater, der plötzlich neben mir sitzt: »sowas sagt man nicht vor fremden.« ich erwidere, erneut entschuldigend: »ich wollte ehrlich sein.« mehrere der verwandten sehen mich mitleidig an, wie wenn sie sagen wollten, dieser streit endet ja nie. mir ist dies peinlich, während mein vater über mich den kopf schüttelt.

 

 

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Traumnotate von Holger Benkel, KUNO, 2022

Radierung von Francisco de Goya

Die Frage nach der besonderen Kompetenz der Dichter für die Sprache und die Botschaft der Träume wurde durch Siegmund Freud fundamental neu gestellt. Im 21. Jahrhundert ist die Akzeptanz des Träumens und des Tagträumens weitaus größer als noch vor hundert Jahren. Träumen wird nicht mehr nur den Schamanen oder Dichter-Sehern, als bedeutsam zugemessen, sondern praktisch jedermann. Gleichwohl wird den Dichtern noch immer eine ‚eigene‘ Kompetenz auf dem Gebiet des Traums zugesprochen – Freud sah sie sogar als seine Gewährsmänner an, mit Modellanalysen versuchte er diese Kompetenz zu bestätigen. Die Traumnotate von Holger Benkel sind von übernächtigter, schillernd scharfkantiger Komplexität.

Weiterführend

In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.

Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014 – Einen Hinweis auf die in der Edition Das Labor erschienen Essays finden Sie hier. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz.

Seelenland, Gedichte von Holger Benkel , Edition Das Labor 2015