sonnenkreis unterm himmelsdach

zum ringheiligtum pömmelte

2005 begannen in pömmelte-zackmünde bei schönebeck südöstlich von magdeburg ausgrabungen der reste eines über 4000 jahre alten kultortes, einer kreisgrabenanlage, unter der regie des archäologen dr. andré spatzier. susan sontag nannte filme zeitreisen. in durchschnittlich drei metern tiefe gefunden, freigelegt, ausgegraben, aufgehoben und geborgen, und später nachgebaut, wurde eine komplexe architektur aus erde und holz, gesamtdurchmesser 115 meter, mit sieben konzentrischen ringen, hölzernen palisaden sowie wällen, gräben und 29 schachtgruben. die ursprünglichen erbauer gehörten zur glockenbecherkultur. die palisaden, also pfahlzäune, bis zu 3 meter hoch, wurden aus 1200 stämmen von robinien neu errichtet, die damals in europa noch nicht wuchsen.

entdeckt wurde das rondell 1991 aus der luft, wo von die kreisform erkennbar war. man kann das heiligtum, der himmel das dach, als eine vorform von tempel, synagoge, kirche, moschee, theater, oper, zirkus, arena und stadion sehen. von einer neun meter hohen plattform läßt sich die gesamte anlage, die seit 2016 zu besichtigen ist, überblicken. auf dem weg dorthin gehen besucher an angepflanzten wilden blumen und kräutern vorbei, die im frühling und sommer von hummeln und anderen wildbienen angeflogen werden. vom nahen sportflugplatz zackmünde kann man per motorodersegelflugzeug übers heiligtum fliegen. ich hatte beim ersten besuch seltsames wetter, das die szenerie beleuchtete. während der gesamten zeit meines aufenthalts dort, gut eine stunde, trennte die nahe elbe als wetterscheide große wolkenberge und einen streifen blauen himmels voneinander.

originale fundstücke sind im zehn kilometer entfernten »Salzlandmuseum« schönebeck-salzelmen ausgestellt, wo man zudem einen dokumentarfilm über die anlage in pömmelte sehen kann und »Geister der Vorzeit« multimedial darüber informieren. seit 2021 entsteht in pömmelte ein informationszentrum für besucher, das 2023 eröffnet werden soll, ein stampflehmbau mit luftgetrockneten lehmziegeln und moderner inneneinrichtung. im mittelmeerraum gab es schon in der frühen jungsteinzeit, vor mindestens 6000 jahren, lehmbauten.

die astronomische ausrichtung des heiligtums in pömmelte, vor 4340 jahren erbaut, entspricht der des steinkreises von stonehenge, dessen anfänge vor etwa 5000 jahren liegen, eventuell bereits vor 5500 jahren, und dem das ringheiligtum in funktion und größe gleicht, bloß ohne steine und dafür mit holz, sozusagen ein geschnitztes deutsches stonehenge. das weniger bekannte heiligtum woodhenge, wo man ebenfalls glockenbecherscherben fand, nahe stonehenge ähnelt pömmelte durch seinen holzkreis noch mehr. man könnte woodhenge das englische pömmelte nennen.

neuere forschungen lassen vermuten, daß stonehenge schon vor 11000 jahren rituelle bedeutung hatte. das wäre dann zwei bis drei jahrhunderte vor der überflutung von doggerland gewesen, das england mit kontinentaleuropa verband. möglicherweise entstand das heiligtum stonehenge, so wie wir es heute sehen, baubeginn vor 5000 jahren, in einem längeren bauprozeß, der 1000 jahre gedauert haben könnte. alle diese anlagen hatten den zweck, die zeiten des jahres durch beobachtung des sonnenlaufs und sternenhimmels zu ermitteln, vor allem für den ackerbau, so für die aussaat, was mit einer genauigkeit von höchstens zwei, drei tagen abweichung gelang. bei 365 tagen pro jahr sind das 0,6 bis 0,9 prozent.

das heiligtum pömmelte, erbaut auf einem kleinen hochwassersicheren höhenrücken unweit der elbe, diente 300 bis 400 jahre lang menschen der jungsteinzeitlichen glockenbecherkultur und der nachfolgenden frühbronzezeitlichen aunjetitzer kultur für jahreszeitenrituale, zu denen sonnenkulte gehörten, begräbnisse, ahnenkulte, initiationen und opferungen. stonehenge wurde gleichfalls in der jungsteinzeit errichtet und bis in die bronzezeit hinein genutzt. auch die pömmelter anlage war am sonnenlauf orientiert. ich empfand das gehen durch die beiden haupteingänge sowie die tore mit weiß, schwarz, rot und ocker gefärbten pfosten als wanderung auf den wegen des sonnenjahres.

die hauptachsen der nordöstlichen und südwestlichen eingänge ins ringheiligtum orientieren sich am aufgang und untergang der sonne zwischen sonnenwenden und tagundnachtgleichen. im innenraum unterm himmel feierte man zeiten des ackerbaujahres, ähnlich wie die iren ihre keltischen mittviertelfeste: imbolc = 1. februar, frühlingsbeginn, beltaine = 1. mai, sommeranfang, lugnasad = 1. august, herbstanfang, beginn der erntezeit, und samain = 1. november, winteranfang. heilige zeiten verbinden sich mit heiligen räumen, die eine magisch wirkende raumstruktur schaffen. jedes heiligtum ist der mittelpunkt einer welt. und solche zentren sind oft rund. der kreis kann sonne, mond, unendlichkeit, schutz, geborgenheit und neuschöpfung symbolisieren.

symbolische bedeutungen des pömmelter heiligtums sind kosmische abläufe und jahreszeitenzyklus, männlich und weiblich sowie befruchtung, geburt, leben und tod, also werden und vergehn. im nordöstlichen teil, der femininen sphäre, verbunden mit fruchtbarkeit, naturkraft und häuslichen tätigkeiten, fand man mahlsteine, auf der entgegengesetzten maskulinen seite, wo die energien der zerstörung und neuerschaffung wirken sollten, steinbeile. bei festen wurde das heiligtum vermutlich geschmückt, auch mit pflanzen, ähren, blumen und blüten. wir können uns die rituale und das rondell jedenfalls farbig vorstellen.

handlungsraum war die 46 quadratmeter große zentrale innere fläche, gewissermaßen die bühne, die eine erstklassige akustik hat. neben religiösen festen fanden dort auch wettkämpfe statt. bei dunkelheit wurden die rituale von priestern, vorfahren der dichter und künstler, wohl durch fackeln erleuchtet vollzogen. bei den kulten spielte feuer, das als symbol lebensschaffender kräfte gilt, insgesamt eine rolle. insbesondere im frühjahr, wenn die sonne, das urfeuer, wieder stärker wärmt, sollte es fruchtbarkeit und wachstum befördern. außerdem nutzte man feuer zur abwehr feindlicher und bedrohlicher kräfte. die detaillierten religiösen praktiken von vor über 4000 jahren können wir freilich nur erahnen und allenfalls spekulativ aus nachweisbaren späteren kulten rekonstruieren. man kann in pömmelte aber begreifen, wie viele religiöse und kulturelle muster, die der moderne gebildete mensch vor allem aus der antike kennt, die dem alten ägypten und alten orient nachfolgte und vieles daraus aufnahm und umformte, vor vier jahrtausenden in anderen erscheinungsformen selbst in mitteleuropa bereits vorgeprägt waren.

nachdem das heiligtum an bedeutung verloren hatte, oder weil die gemeinschaft weiterzog, wurde es vor 4050 jahren real und symbolisch durchdacht zerstört, das heißt abgebaut, verbrannt und eingeebnet. man legte die rituellen dinge, steinbeile, pfeilspitzen aus feuerstein, tierknochen und keramikschalen, oder deren scherben, in oder auf behälter aus rinde, leder oder korbgeflecht sowie in löcher, die beim herausziehen der holzpfähle entstanden. die schächte, in die man die asche des verbrannten holzes schüttete, wurden mit kies der eiszeit bedeckt, den es in der gegend reichlich gibt, und durch opfergaben, zum beispiel mahlsteinen und rinderknochen, versiegelt. aufgrund dieser respektvollen bewahrung, sogar in der zerstörung, und den erhaltenen heiligen kreis, der darauf hinwies, konnten die rituellen dinge nach 4000 jahren am ort ihrer verehrung wieder gefunden werden. 300 jahre nach dem abbau legte man auf einigen der gefüllten schachtgruben erneut objekte ab, steinbeile, menschenschädel oder einen teil eines menschlichen oberschenkels. bis vor 3600 jahren gab es dort noch gelegentlich rituale. der heilige platz, der wieder genutzt wurde, war noch nicht vergessen. vor 3000 jahren nutzte man den ort erneut rituell.

prospekte am ringheiligtum verweisen auf die 4100 bis 3700 jahre alte himmelsscheibe von nebra aus der aunjetitzer kultur, eine bronzeplatte mit gold, die vor 3600 jahren, zusammen mit jeweils zwei wertvollen schwertern sowie zwei beilen, zwei armspangen und einem meißel, vergraben wurde. auf dieser scheibe, einer religiösen, oder mythologischen, und astrologischen darstellung des kosmos, sind die endpunkte der horizontbögen auf wintersonnenwende und sommersonnenwende ausgerichtet. außerdem verwiesen wird auf das 6900 jahre alte sonnenobversatorium goseck, gleichfalls eine kreisgrabenanlage mit holzkreis, aus der zeit der stichbandkeramik, wo man schon jahrtausende vor stonehenge und pömmelte den lauf der sonne beobachtete sowie sonnenaufgang und sonnenuntergang zur wintersonnenwende und sommersonnenwende ermittelte, und die knapp 5500 jahre alte und 1,76 meter große menhirstatue der dolmengöttin von langeneichstädt vom typ große mutter mit fruchtbarkeitsbedeutung, die der zeit der linearbandkeramik zugerechnet wird, alle nahe halle an der saale. das »Landesmuseum für Früh- und Vorgeschichte« halle würdigt alle genannten stätten mit seiner ausstellung »Himmelswege«.

zugleich ehrte oder verehrte man in pömmelte die toten. 13 männergräber in der östlichen rondellhälfte, alles einzelgräber, einer grabanlage, die ein kleines heiligtum für rituale im jahreszeitenzyklus und fürs totenbrauchtum war, liegen richtung sonnenaufgang, wo ägyptisch die welt neu entstand. der tod, durch den menschen an den anfang der welt zurückkehren können, um aufzuerstehen, galt in der vorstellung der ägypter, die ihren totenkult besonders konsequent ausprägten, als mittel zur regeneration und verjüngung des lebens. die ausrichtung der toten nach osten, zur morgensonne hin, die manche beim aufgehen leise zirpen oder singen gehört haben wollen, läßt vermuten, daß man ans weiterleben nach dem tod glaubte. die 17 bis 30 jahre alten männlichen toten, viel länger lebten damals die meisten nicht, vermutlich herausgehobene personen, priester oder initianden, wurden in der üblichen hockposition begraben, die an die vorgeburtliche stellung des embryo im mutterkörper erinnert. in schachtgruben lagen schädel, die ahnenschädel oder trophäenschädel sein könnten, und eventuell eine schädelmaske. die ältesten hinweise auf bestattungen sind 120000 jahre alt.

andererseits fand man in einer schachtgrube im kreisgraben unvollständige skelette von fünf kindern und jugendlichen und zwei frauen ohne arme und beine zusammmen mit ritualabfällen. vier der toten sind vorm tod gefesselt sowie durch keulen, beile und pfeilschüsse stark verletzt, die schädel einer frau und eines kindes eingeschlagen, also wohl gewaltsam getötet worden. waren es menschenopfer oder opfer eines überfalls? in woodhenge fand man ein kinderskelett mit zerstrümmertem schädel, das vermutlich auf ein menschenopfer verweist. es konnte eine ehre sein, geopfert zu werden, weil man dadurch religiöse bedeutung bekam. bei modernen menschenopfern, etwa toten von verkehrsunfällen, die der mensch dem gott der geschwindigkeit opfert, ahnt man das nicht mehr.

zwei gruben waren die ersten sakralen plätze am ort des späteren ringheiligtums. ein kleineres grabheiligtum mit hügelgrab für jahreszeitenzyklische rituale und totenkulte, vor 4900 bis vor 4600 jahren errichtet, ging dem rondell voraus. dort befindet sich ein grab samt hölzerner totenhütte mit erdhügel aus der zeit der schnurkeramikkultur. die grabbeigaben, steinbeile und messerklingen, deuten auf eine höhere stellung der begrabenen hin. die worte hütte und haus sind etymologisch mit haut verwandt. das haus, oder die hütte, birgt einen menschen wie die haut seinen körper. das 14×14 meter große grabgeviert insgesamt enthielt scherben von keramikgefäßen, einen schleifstein sowie einen rinderkiefer. auf der nordöstlichen und südwestlichen grabenseite waren zwei durchgänge, deren verbindungsachse auf sommersonnenwende und wintersonnenwende ausgerichtet war. außerdem entdeckte man 2020 in pömmelte einen 6000 bis 5400 jahre alten monumentalen grabbau der baalberger kultur, die der trichterbecherkultur zugeordnet wird.

südlich und westlich des heiligtums pömmelte wurden, neben einigen steinzeitlichen bauten, die grundrisse einer siedlung mit mindestens 80 häusern, überwiegend langhäusern, der aunjetitzer kultur vom beginn der bronzezeit gefunden, erbaut vor 4200 bis vor 4000 jahren, sowie scherben von vorratsgefäßen, hauswandverputz und geräten aus feuerstein und knochen. die gebäude sind 70 bis 220 quadratmeter groß, meist 20 bis 30 meter lang und im durchschnitt 8 meter breit. die vielzahl der häuser direkt beim heiligtum deutet auf ein frühbronzezeitliches überregionales zentrum hin. es wird weiter nach häusern, gräbern und gruben gesucht und gegraben. außerdem werden fundstücke erforscht, um noch ungelöste archäologische fragen zu klären.

1,3 kilometer nordwestlich vom pömmelter heiligtum wurde vor 4200 bis vor 3900/3700 jahren im heutigen stadtgebiet schönebecks die nachfolgende etwas kleinere frühbronzezeitliche kreisgrabenanlage genutzt, eventuell teils zeitgleich mit der früheren, gesamtdurchmesser 80 meter, errichtet auf einer kleinen anhöhe. die hauptachsen dieses heiligtums, das ebenfalls ein gestaffeltes system aus grubenringen, gräben und pfosten aufweist, verlaufen wie in pömmelte und stonehenge. wahrscheinlich entsprach es zugleich entwicklungen der frühen bronzezeit. in pömmelte war der innenraum bei ritualen visuell und akustisch durch palisaden von der außenwelt abgetrennt, also ein geschlossener raum. in schönebeck bestand sichtkontakt nach außen. zeigt dies einen direkteren bezug zur irdischen gegenwart, weil das leben inzwischen realweltbezogener wahrgenommen wurde? könnten ursachen dafür veränderungen der gesellschaftsstruktur in der übergangszeit der steinzeit zur bronzezeit gewesen sein, so die zunehmende herausbildung weltlicher macht? oder war das heiligtum in pömmelte ein ort des jenseits und das in schönebeck, wo hinweise auf totenkulte fehlen, eines des diesseits? wir können die menschen von damals nicht mehr fragen, obwohl ich öfter mit den priestern rede.

im kreisgraben des schönebecker heiligtums fand man knochen und keramikscherben, südlich davon eine mit totenasche gefüllte urne sowie nahebei eine nekropole der späten bronzezeit und frühen eisenzeit, die noch genauer erkundet wird. hier hatte man wohl heiligtum und grabstätte getrennt. einst wurde auch in kirchen begraben, später meist nur auf dem friedhof, der kirchhof hieß, wie es der historiker philippe ariès in seiner »Geschichte des Todes« beschrieben hat. im und beim schönebecker heiligtum, das ebenfalls rekonstruiert werden soll, gibt es gewiß noch weitere funde. vielleicht können besucher einmal die 1300 meter vom einen heiligtum zum andern laufen oder fahren.

 

Ringheiligtum Pömmelte, Photo: Jutta Gampe

Weiterführend  Dies ist bereits eine Vorschau auf den Schwerpunkt in 2023. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Was den Rezensionsessays von Holger Benkel die Überzeugungskraft verleiht, ist die philosophische Anstrengung, denen er sein Material unterwirft, seine Texte zeigen, was der Fokus auf eine Fragestellung sichtbar machen kann, wie diese Konzentration aufdeckt, was dem Schreibenden selbst verborgen blieb, wohl wissend, daß die Fülle der Literatur, der Kunst und des Lebens eben darin liegen, nie alles wissen zu können.