Die Graupenballaden (Auszug)

 

 

1 von vorne bitte nicht so hastig. hastiges Leben.

man zeigt nicht mit dem Finger auf heute und morgen ist bald!

nun könnte der Zeitstrahl sozusagen um Punkte betteln:
wie mühsam es wäre im Sitzen die törichten Schlachten zu führen Genuss zu löschen zu schlürfen die wächsern getraute Wahrheit. es heißt doch manches Rosshaar klebe am selben Fleck
dem Schmutz resistentesten weil so dreckig und mir geheuer.

(da keimt meine Ahnung schüchtern vor lauter lauter Menschen…)

betont bekümmert darf man sich regelhaft ausposaunen
der Seltsamkeit aufspielen würdevoller Todesverachtung
den Garaus machen trotz Zwickmühlen die plötzlich Mehl produzieren.

begonnen hat es – und immer hat es beginnen müssen
das Dasein nie hat es sich weich in Weltakkorde geschlichen gestochene Artikulation des erlahmenden Wachstums –
begonnen hat es mit einem überaus skeptischen
Verhältnis zur Nahrung zu meiner verfluchten Nichtentscheidung.

ich beiße den Löffel ab bis der fluorstrotzende Zahnschmelz sich niedergestreckt sieht kaue die knackende Henkersmahlzeit recht gut durch und rümpfe Nasen über das Ausgespuckte zermalmter Lagen Verbleib und bin ich nicht geschickt.

man hat mir das Gluck einer kristallinen Lösung behutsam
in mein fontanöses Weichei das hirnverbrannte Gelage
drei Sonnen und Nächte lang infundiert. dann würgte ich besser die anderen Feten vorwiegend aber auch manchmal mein Bein.

ein bisschen erwachsen sind wir doch alle meine Gequälten
die habe ich jedenfalls anstandslos noch ein wenig gequält.
als Trumpf die Menschlichkeit persiflierende Hinterlist
gehorchte uns fleißig und so hatte ich mich ausgerenkt
sehr pünktlich zum neuntel Geburtstag bekam ich es wieder mit mir zu tun – rede ich rede ich nicht ein LOHENGRINS.

und so in etwa verblieb irgendwann im Frühling ihr Lieben mein tupfengleicher Kopf an dem weiten Herrenmantel der lila Erinnerung jener niemals verdauten Graupe.

 

2 wann habe ich fremde Suppen so nachtragend ausgelöffelt? und immer stützt das zornige auf Verantwortungs Rücken gebündelte Urkind einer geengelten Strafe gleich
den modifizierten Schaffenswahn – unbegreiflicher.

denn krampft der Weltschmerz nicht epileptisch? tatsächlich das Leben ist schön dieser zellenschlagende Film ist keine Absicht.

so sage mir einmal du Tierchen du mein fauchendes Beispiel: vergisst man noch? verhöhnst du schon das Kriegsverbrechen? es ist vollbracht aus Langeweile an der friedlichen Zeit.

ich kriege nicht genug nie mehr nie wieder das hat
der Tumor mir eingeredet weil er so fürstlich hasste.
und welchen Kanal verböte mir Gegenwart heischender Gleichmut? verdammt und dann dreimal beschworen sei krampfhaft gewährte Haltung!

ein Stieresprit braucht den Toreador und schwirrende Mücken (ich prangere an) die Ruhe an sich und schwinge den Schädel
der zieht mich dann in den Staub da Hinkelbeine nur hüpfen und überhaupt nicht stemmen wo Nährboden Widerstand leistet. bewahre mich Gott dieses Manko der Ungeist er weht überall.

 

4 was machen wie helfen! die halben Gebete reichen nicht
ja fallen sie doch auf das Fürgebotene zurück
des heiligen Esaus blutiger Pelz als Wüstensand.
triefende Neugierde wird man gewiss nicht verscharren können sie sickert tröpfelt und sucht sich die Werkstätten laufender Nasen.

beschattet uns! im chaotischen Gleichschritt krümelt das menschlich eindeutige Wirken weder aufgebahrte Vernunft noch
vernünftige Fassung die es zu spielen gilt bestehen
und pickende Tauben werden dem nahrhaften Mitgefühl folgen.

das kommt auch schwerlich von ungefähr. ich habe die vielen Todkranken sterben sehen und unbeirrt Sterbende kranktot verwaisen lassen bin weiter durch die Klinik rotiert –
Kreisel der Krankheit im Viereck der Hoffnung stößt an und flieht wirkt leichtfüßig auf einzelner Zehenspitze verdankt

sein Schlingern letztendlich dem hauchdünnen Zittern und fällt auf sich selbst.

zu merken: ein unter die Alltagsräder geratenes Täubchen hat sich noch im Antlitz des Chefarztes ahnungslos in Schale geworfen als dieser sie dem miteingetretenen Schnitter empfahl. ich weiß das muss einen doppelten Boden haben.

das hat es aber nicht. der Brustkrebs aber hat
zehn Zentimeter und einen unscharf begrenzten Rand.

die brünstige Frage Ultimaten stelle man sich
bis Schuld noch Sühne und Sühne dienlicher Fehler heißt. in Reue das Angesicht erloschen wie ausgezehrt
von Pol zu Hüllmembran mit aufgeplatztem Kern
das ist die genetische Büchse der Pandora einer Erzeugerin Todesmutter der schwellenden Samen Leib nur mir gegeben erbrochen gezückt das säubernde Elend.

ich möchte Krankheit nicht als Benediktion begreifen.
in dieser Zweisätzigkeit fehlt ja die Zufallsvariable
ein waschechter Logarithmus der sich auch zur Basis bekennt
sich ungern der schweifenden Lust hingibt wie das Weltenflattern
(es kann) kein Krampf das beruhigend was niemals in Abhängigkeit sich begibt Struktur in der Nichtreserve von Freiheit findend
und doch und gerade deshalb hervorbringt und schützt und vernichtet. als Sinnbild des Lebendigen kann kein Maßstab gelten.
dies durfte ich abarbeiten mit Hammer Sichel und Schlange.

 

5 zu einer Angespanntheit passt nimmermehr tosende Weite
und nach dem Gewitter kommt die Zeit der schüchternen Stürme: verbogener Wille leere Bedürfnislosigkeit
von fabulierenden Klängen erweitert und bedroht
ich horchte schrieb und schrieb ich doch ungern eigene Worte sogar mit chronischer Musik am Scheitel rhythmisch
nur monologisierend fand ich den Absprung nicht.
am liebsten pfeife ich unverändert die traurigen Walzer
und schütte sie über Texten aus diesen heimlichen Lügnern. im Andante natürlich der Sinneswechsel symphonischer Maßstab mehr über Regungskosmen gebietend als reine Schikane.

wie treibe ich mich viersätzig als Keil in die heile Welt! –
der Aufschrei kündigt sich in aller Regel an.
nachdem ich klingendes Etwas das Lehmbrocken nässende Fluid zum abertausendsten Mal zu Ende gehört und doch

nicht annähernd verortet habe von wo von wo
es schallt entfliehe ich dieser meiner brüchigen Skala besänftigende Profanitäten einfordernd anders…

zurück bleibt ein trockenes Spielen des andauernd Verspielten mich um Griffe versäumter Allakkorde bemühend jene

in Sternen gehärtete Melodie glänzend flüchtige.
sooft ich mich winde naht das Dröhnen war schon da Gewaltschwingung welcher ich andächtig lausche oder sie mir.

 

 

***

Die Graupenballaden, Gedichte von Jakob Leiner. edition offenes feld 2020

Weiterführend  Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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