Über den unschätzbaren Wert des Analogen

 

Wir stellen auf KUNO hin und wieder Literaturzeitschriften von. Aus aktuellem Anlass eine Zeitschrift für Literatur, die bereits seit 1981 erscheint. Der Dichtungsring entstand im Umfeld der Universitäten Bonn und Bochum und wird heute von einer im Bonner Raum angesiedelten Autorengruppe herausgegeben. Ein Schwerpunkt ist die Unterstützung interkultureller Kommunikation durch Veröffentlichung von Texten aus anderen Literaturen. Die französischen, englischen, russischen, katalanischen, schwedischen, spanischen, portugiesischen, italienischen und rumänischen Texte erscheinen dabei meist mit deutscher Übersetzung. Die Inhalte sind nicht auf bestimmte Gattungen beschränkt, ordnen sich aber den für die einzelnen Hefte gegebenen abstrakten Themen (z. B. „Empörung“, „Körper“) zu. Zur Historie lasen wir einen Artikel des Mitherausgebers Ulrich Bergmann.

Im Frühjahr 1981 rief mich ein Kollege der Universität Bonn, der Italienisch-Lektor Pino Rizzuto, in meiner Bonner Wohnung an (ich war 1977 an die Ruhr-Universität Bochum berufen worden, aber er wusste von meinem Vor- und Fortleben in Bonn). Pino fragte, ob ich bei einer interkulturellen Zeitschrift und Dichtergruppe mitwirken wollte, als eine Art komparatistischer Berater und musischer Beiträger. Vielleicht hätte ich ja gleich eine Idee für den Namen einer solchen Gruppe und Zeitschrift. Der Anruf erreichte mich just in dem Moment, als ich den Dichtungsring eines Waschbeckens meiner Wohnung in der Königstraße erneuerte. Damit war der Name für die Gruppe wie für die Zeitschrift gefunden. Das magische objet trouvé erleichterte mir die Entscheidung, an dem Unternehmen teilzunehmen, sehr.

Alfons Knauth

Sprache ist Heimat, das ist wahrscheinlich der Grund, warum man sich in der Lyrik von Ines Hagemeyer sofort zu Hause fühlen kann. Nach Stationen in Montevideo, München, Bonn, Quito, Buenos Aires und Madrid hat sie sich auf die die Literatur der Gegenwart konzentriert. Ihr lyrisches Ich balanciert die Heimat im Fremdsein und das Fremdsein in der Heimat aus. Das allgemeine Diktum und das empfindungsreiche Nachsinnen wechseln sich ab. Aber Gedichte eignen sich nicht zur Lösung von Gleichungen. Hagemeyer arbeitet mit der Aleatorik und Kombinatorik ihrer Phantasietätigkeit, aber auch mit dem Gegenteil. Diese Lyrikerin schafft es, unsere Lebensrealität auf ihre ursprünglichen Möglichkeiten zurückzuführen und gleichzeitig weite, unvorhergesehene Verstehenshorizonte zu öffnen. Die Grammatik ist stimmig, wie so häufig bei jenen Schriftstellerinnen, die in nicht in einer Sprache schreiben. Es erweist sich als Vorteil, dass diese Lyrikerin, wie nur wenige Menschen, quasi zwei Muttersprachen hat! In beiden, Deutsch wie Spanisch, werden von ihr Gedichte verfasst, wobei  manchmal zuerst das deutsche das Original ist und manchmal das spanische. Und dann folgt die Übersetzung in die eine oder in  die andere Sprache. Der Inhalt ihrer Gedichte entsteht nicht durch den Reim oder durch die Form. Inhalt und Form gehen immer wieder neue Verbindungen ein, das System bleibt flexibel, dadurch absichtslos und formiert sich so an bestimmten Punkten neu. Diese Lyrik ist der geglückte Versuch dem Unmöglichen mit Sprache zu begegnen. Dichtung ist in ihrem Lebenswerk die Darstellung dieses Widerspruchs, der so alt ist wie sie selbst. Die Gedichte von Hagemeyer erzählen in nüchternen Worten von dem, was uns umgibt. Was fehlt. Was wir ergänzen sollten.

Literatur ist das Fragment der Fragmente; das wenigste dessen, was geschah und gesprochen worden, ward geschrieben, vom Geschriebenen ist das wenigste übriggeblieben.

Ulrich Bergmanns vielgestaltiges Werk reicht von Begegnungen, intensiven Alltagsbeobachtungen, glossierenden Zeitgeistbetrachtungen über die Wiederbelebung historischer Figuren bis zum weltläufigen Erzählen. Dieser Autor baut seine Bücher häufig aus lose verknüpften, in sich geschlossenen Prosaminiaturen zusammen. Manches von dem, was Bergmann in seinen kurzen Texten schreibt, ist so oder so ähnlich bereits publiziert worden ist, aber es ist überzeugend und außerdem lernt man einen feinsinnigen Menschen und seinen Antrieb zum Schreiben genauer kennen. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. Er ist ein Freigeist, ihm gelten nur die Regeln der Syntax, er geht mit kühler Distanz an allen kunstideologischen Prämissen und saisonalen Tendenzen vorbei, ohne sich in der Attitüde zu verhärten. Die Begegnungen lassen den Leser eintauchen in seelische Bewegungen, in Prozesse der Öffnung und Verwandlung, es ist ein Sichheranschleichen an Gefühlserkenntnisse und Denkerschütterungen. Dieses Opening ist weniger Meisterwerk als Mixtape, vielseitig wie sprunghaft, mit angemessener Achtlosigkeit aus der Hüfte geschlenzt. Hat man sich mit den Kurztexten quasi „aufgewärmt“, geht es zu Bergmanns überzeugendsten Zyklus, den Schlangegeschichten.

In der Zusammenarbeit mit der LGA-Arnsberg präsentiert DER GOLEM – am 4. November 2022 ab 19:30, bemerkenswerte Lesekultur im Pengel Anton.

 

 

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Lesung von Ines Hagemeyer und Ulrich Bergmann ab 19:30 Uhr. DER GOLEM – Kultur im Pengel Anton. Lange Wende 30, 59755 Arnsberg- Neheim

Weiterführend  Eine Einführung in das Werk von Ines Hagemeyer.

 Fragen im Schlepptau, Gedichte von Ines Hagemeyer. Ludwigsburg: Pop Verlag 2021. Lesen Sie hierzu Kein Ankerplatz, nirgendwo.

 handverlesen: Gedichte von Ines Hagemeyer. Mit 15 Tuschezeichnungen von PAPI. POP-Verlag, Ludwigsburg 2015 – Lesen Sie hierzu ÜBER SCHATTEN UND NEBEL.

 aus dem Gefährt das dir Träume auflädt, Gedichte von Ines Hagemeyer, mit 14 Tusche-Zeichnungen von PAPI. POP-Verlag, Ludwigsburg 2011 – Lesen Sie hierzu Über den Welten.

 Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte von Ulrich Bergmann aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen.