Der grosse Wurf, eine Sprechblasenoperette

 

„Oh Lord, won’t you buy me…“, bittet die Vocalise aus dem blechern tönenden Lautsprecher des Autoradios. „… my friends all drive Porsche…“, und genau das würde der Taxifahrer Fridolin Fleppe lieber tun, als eine abgeschriebene Droschke durch die Stadt zu gondeln und Fahrgäste auf der kürzesten Verbindung von der Innenstadt in die Aussenbezirke zu chauffieren. Seine Fahrgastzelle erlebt er als Druckkammer, einem Zwischenreich, einer Zeit–Blase.

»42 für Zentrale. 42 bitte melden«, stört Rosalinde Ruckes aus der Zentrale wie immer, wenn ein Spott über das Establishment läuft.

»Cazzo… Belinda, jetzt hast’e schon wieder den Rückspiegel verstellt, ehj!«, mault Fridolin seine Beifahrerin an. Sie vervollständigt ihre Persönlichkeit und zieht den Schwung ihres Mundrands nach. Ihre Beine sind so lang, dass sie zu beschreiben jeder Satz zu kurz wäre. Ihre blauen Lider und ihre prallen Lippen doppeln die Farben der Bluse und der Strumpfhosen unter den Hotpants.

»Tut mir furchtbar traurig, Schatz! Aber irgendwo muss ich mir die Lippen nachziehen. Der Spiegel am Sonnenschutz ist ja noch immer zersplittert«, auch sie textet in Sprechblasen und lässt kein Blubberlativ aus.

»Müsste mal jemand reparieren«, merkt er selbstkritisch an und dringt in die graue Leere seines Lebens ein, in die totale Sinnlosigkeit und Entsinnlichung. Ein Spiegel gehört zum Service, seitdem sich die Weiber einen scharfen Strich um den Lippenstift ziehen, kontrollieren sie den Effekt vor einem Termin. Alle.

»Gib dir mal ’n Tritt in den Arsch, du Asi. Wenn du so weitermachst, wirs’te zum Säufer und dann bis’te deinen Führerschein wieder los. Sie kommt nicht wieder. Die Alte vom Radio kanns’te abschreiben…«, changiert sie zwischen schnippisch, cool oder hysterisch, Flintenweib, Schlampe oder Zickendiva, aber meistens ein rasendes Küken, das mit Klobürsten wirft.

»Wahrscheinlich«, oszilliert er zwischen Anspannung und Geistesschärfe, ist ein rührender Meister der Selbstverliebtheit und Laie des Lebens. Fridolin liebt ohne Hoffnung auf Erfüllung und liefert sich für einen Moment schutzlos seiner Trauer aus. Die Liebe ist eine Krankheit, ohne die hypermodernen Menschen nicht leben können, sie können nicht treu sein, aber sie können die Treue auch nicht vergessen, weil es nicht Sex war, was sie wollten. Liebe, das ist eine Krankheit der Götter, der Abglanz der göttlichen Idee, die unperfekter als alles sonst in die Welt gekommen ist, von Göttern, die in ihrer Selbstvergessenheit längst versunken sind. Und dennoch nutzen manche Themen ab. Fridolin kann nicht auf Durchzug schalten und nach historischem Vorbild aussitzen. Die Klimakatastrophe hat stattgefunden und die Welt ist versteppt. Grenzen verlaufen nicht mehr zwischen Ländern, sondern abgesicherten Metropolen und zur Savanne gewordenem Umland verlaufen. Städte sind Sicherheitszonen, die von privaten Sicherheitsdiensten kontrolliert werden. Die Menschen sind meist nachts auf den Beinen, wegen des Ozonlochs, tagsüber schlafen sie; und so pendelt sich ihre Stimmung zwischen übernächtigt und nachtaktiv ein.

»Männer töten, was sie lieben, Frauen töten, was sie hassen«, versucht sie das Andenken von körperlichen Empfindungen zu lösen. Dieses Erinnern erschafft ihre persönliche Identität und damit Subjekte. Es gibt keine Gegenwart jenseits dieser Erinnerung. Zukunft präsentiert sich ihnen als retrofuturistisches Gebilde.

»Hast du das gesehen? Das gibt’s doch gar nicht!«, ist der Droschkenkutscher völlig entgeistert und lädt einen Kultgegenstand mit sexueller Energie auf.

»Es sind nur Icons, aber man muss die Botschaft kommunizieren…«

»Das war der Hartge F 1! Weltexklusives Einzelstück aus Beckingen mit dem Motor des legendären BMW M 1 in eine Mercedes–W–123–Karosse verpflanzt. Kostet schlappe zwei Millionen der Nobelhobel. Fährt einfach hier so rum, irre! Das muss ich unbedingt Justaff erzählen«, referiert Fridolin ernüchtert und zugleich völlig ausser sich. Der Fahrer redet jedoch mehr zu sich selbst, um sich nicht in weitere Gespräche verwickeln zu lassen.

»War das nicht der Plenz hinter dem Steuer?«, äussert sie einen Verdacht, der sich auch wegen der getönten Scheiben nicht eindeutig bestätigen lässt.

»Quatsch, der ist doch im Ausland! Und ausserdem würde der so einen auffälligen Wagen nicht fahren!«

»Vielleicht ist das ja gerade der Trick?«

»Du kennst die Beziehung von Männern und Autos nicht!«, versucht er eine undurchschaubare Verstricktheit zu überblicken.

»Kannst du mich da drüben rauslassen, direkt am Reiterdenkmal!«

»Joot«, brummelt er. Setzt den Blinker. Stoppt die Kiste.

»Viel Spass und einen wunderschönen Abend noch.«

»Danke für das Mitgefühl. Hol mich doch bitte in ungefähr zwei Stunden wieder hier ab«, gibt seine Kundin eine Fuhre in Auftrag.

»Geht klar«, murmelt er hinter der zuklappenden Autotür. Dies kommentiert Janis scheinbar mit „That’s it“ und kichert. Der Fahrer ist versucht, das Gerät auszuschalten, doch es ertönt die vertraute Intromelodie der folgenden Sendung aus dem Autoradio. Er setzt den Blinker. Geheime Codes knacken aus dem anderen Lautsprecher. Interferenzen des Funkverkehrs. Eine Stimme in der Luft. Alle Kollegen hören sie, nur er ist gemeint.

»42 für Zentrale. 42 bitte melden.«

»42, was gibt’s Rosalinde?«

»Zur Messe…«

»Schon wieder?«, ist der Fahrer nicht gerade begeistert. Kreisverkehr. Der Sprit setzt in dieser Nacht keinen Grünspan an. Fridolin fährt als Diener fremder Herren ohne eigene Ziele umher, und kehrt immer wieder zu ihrem Standplatz zurück.

»Die Automobilisten wollen nach Hause. Sei doch froh, Fredo. Verdienst du heute Nacht ein paar Ocken mehr!«, versucht sie ihn aufzumuntern.

»Nimmt mir das Finanzamt sowieso wieder weg. Ende.«

Fridolin bringt den Wagen auf Touren. Dreht das Radio lauter. Wird von einer entzückenden Stimme aus dem Autoradio angesäuselt.

»Hier ist wieder Das Nachtradio, das Spätprogramm für alle freiwilligen und unfreiwilligen Nachtschwärmer. Am Mikrophon ist wieder eure gutgelaunte Trixie Trümmer. Als nächsten Titel spielen wir jetzt den unsterblichen Klassiker für alle Brummi–Fahrer, die in unserem Verbreitungsgebiet unterwegs sind.«

Stilgerecht folgt der „King of the road“, selbstverständlich in der Urfassung von Roger Dean Miller! Eins muss man Trixie lassen, sie spielt nur Originale. Coverversionen kommen bei ihr nicht vor, weil sie nicht interessiert, was sonst im Radio gespielt wird, sondern das, was nicht gespielt wird. Leider währt der Klanggenuss nicht lange. Die Türen klappen auf, eine spezielle Fuhre steht an.

 

 

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Die komplette Novelle findet sich in: Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermontage: Jesko Hagen

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