Ich fuhr aus dem Tunnel ins Licht. Rechts stand die Sonne schon knapp über der Muffendorfer Höhe, links blühte zwischen Petersberg und Drachenfels der Mond. Sein schimmerndes Eis stach ein Loch aus dem schwarzblauen Himmel. Brack sagt mir nicht alles, dachte ich.
Die Eisberge warfen lange Schatten über das Meer. Ich parkte den VW, überquerte die Straße und lief zu den Tischen der Eisdiele, die auf dem Bürgersteig standen. Brack war schon da, er trank einen Capuccino. Neben der Tasse lagen zwei Euro. Ich setzte mich und bestellte einen Espresso macchiato. Wir sprachen über Michael Jackson. Über Gorki, Gott und den Weltuntergang. „Weißt du“, sagte Brack, „du und Gorki, das passt nicht zusammen.“ Nun bricht die alte Rivalität wieder auf, dachte ich, wie damals, als wir um die Führung der Schülerzeitung kämpften …
Wir sahen uns nach den Schuljahren zum ersten Mal wieder. Da Brack gern Schach spielte, überredete ich ihn, an der Bonner Stadtmeisterschaft teilzunehmen. Wir analysierten unsere Partien bis tief in die Nacht. Klassische Musik, Schütz, Bach, Beethoven, Glenn Gould, das Deller Consort, Moses und Sigmund Freud – das waren die anderen Themen.
Lieber Janus Rippe,
hervorheben will ich sogleich, dass wir deinen letzten Brief in der dir bekannten und, wie du zu verstehen gibst, genehmen Art gelesen und durchaus auch genossen haben. Wie schon so sehr oft, diesmal aber endlich auch mal schriftlich, danken wir für deine Betrachtungen. In einer Angelegenheit habe ich einen Einwand: Dir ein beachtenswerter Umstand des Lebens ist das Altern; ich kritisiere aber die Maßstäbe, die du wechselnd anwendest. Für dich persönlich habe ich in Bezug auf dieses Thema einen relativ simplen Hinweis: Kokettieren mit dem Begriff Altern spricht enorm deutlich für gut stabiles Jungsein …
Vorname, Nachname – so redete er mich an. Ich erblickte in solchen Sätzen etwas Literarisches. Wenn die Form Sinn erzeugte, der gelesen werden konnte, auch wenn er nicht gemeint war, gelang das Theater der Worte. Sie spielten dann nämlich ein Stück, das sie hinter den Augen des Lesers aufführten. Umgekehrt konnte es genauso sein. Sätze mit viel Sinn konnten durch die Form entleert werden, dann lag der Witz in der Form. Der Sinn lebte nun jenseits der Inhalte in der Form. Brack collagierte manchmal rücksichtslos: Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken, lautete der eine Satz. Der andere: Ich sterbe, also bin ich. Eine infame Verkettung, wo der Witz die selbstzerstörerische Konsequenz ignoriert.
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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022
Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.
Weiterführend →
Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.