Das verästelte Lebenswerk von Haimo Hieronymus entwickelte sich über die Jahrzehnte hinweg zu einer partizipativen, sozialen Plastik.
Im Rückblick auf sein vielgestaltiges Oeuvre betrachten wir künstlerische Arbeiten, bei denen der Artist in regelmäßiger Abfolge eine neue Abzweigung nimmt. Das ist spannend, weil der Betrachter sich immer wieder auf neue Überraschungen ästhetischer Art freuen darf. Das ist für den Künstler geschäftsschädigend, weil der Kunstmarkt nach dem Choc (Benjamin) von einem Künstler das ewig Gleiche erwartet. Die Distanz zu Pinsel, Stift und Papier wächst, man kann sich noch nicht sicher sein, wie zwangsläufig, günstig oder grausam das für die Kunstwelt sein wird.
Diese Buchkunst erzeugt eine ihr eigene Wirklichkeit und betont den Bildcharakter des Buchstabens, der das so gefühlte Erkennen über das Begrenzte und enge Bezirke des nützlichen Lebens hinaus transportiert.
Kenner von Hieronymus‘ vielgestaltigem Werk verfolgen seit 1991 seine ungebrochene Leidenschaft für das Künstlerbuch. Der Holzschnitt ist ein Hochdruckverfahren, bei dem Hieronymus einen reliefartigen hölzernen Druckstock verwendet, um Graphiken zu erzeugen; die so erzeugte einzelne Grafik bezeichnet man als Holzschnitt. Ein Holzschnittbuch ist ein von Holzstöcken gedrucktes Buch, bei dem die Druckform jeweils für eine ganze Seite mit Bild und/oder Text aus einer Holztafel geschnitten wurde (Blockdruck). Manchmal wurden Texte nachträglich noch von Hand oder mit Lettern zu den gedruckten Bildern hinzugefügt. Die Datierung der europäischen Holzschnittbücher erstreckt sich auf das 15. Jahrhundert. Von einigen Wissenschaftlern wird sie schon vor der Weiterentwicklung der Buchdruckkunst durch Gutenberg um 1420 angesetzt.
Der Neheimer Hieronymus ist in der Nähe des Alten Holzwegs aufgewachsen. In der Werkststattgalerie Der Bogen erweckt der Künstler mit seiner Arbeit die Erinnerung an die Blockbücher zu neuem Leben. Die Besonderheit seiner Künstlerbücher liegt darin, dass die bildlichen Darstellungen die Überhand über den Text haben, während im Inkunabeldruck der Text dominiert. Es ist daher nicht nur inhaltlich eine Freude, sich seinen Büchern seit den 1990er Jahren zu widmen, sondern vor allem rein ästhetisch. Die Abbildungen laden gerade dazu ein, immer wieder seine Bücher aufzuschlagen und einfach nur zu staunen. Das Blättern in Erwartete Zufälle ist ein haptisches Vergnügen – und damit natürlich im Zeitalter des elektronischen Lesens unendlich veraltet. Baum und Buch haben eine unmittelbare materiale Beziehung zueinander. Hieronymus verwebt Natur und Sprache zu einer fein ausbalancierten Textur semantischer und lautlicher Spannungsverhältnisse. Viele farbige wie in schwarz/weiss gehaltene Abdrucke von Holzschnitten illustrieren das gewaltige Ausmaß an Kunstfertigkeit, das dieser Künstler in die Produktion von Büchern gesteckt hat.
„Dunkelheit ertragen, im Wissen um das Licht“, mit diesem Gedankensteno enden die Notate, welche das aktuelle Holzschnittbuch begleiten. In Handschrift, was die Exklusivität seines neuen Künstlerbuchs gleichsam noch unterstreicht.
Das es sich bei dieser Künstlerbuchpräsentation um die letzte Ausstellung des GOLEM handelt, passt zur Hieronymus‘ wechselvoller Karriere. Wenn eines gewiss ist, wir werden auf ein weiteres Künstlerbuch nicht lange warten müssen.
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Erwartete Zufälle von Haimo Hieronymus. Ausstellungseröffnung ab 19:30 Uhr. DER GOLEM – Kultur im Pengel Anton. Lange Wende 30, 59755 Arnsberg- Neheim
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421