Fontane verfasste die Novelle im Zeitraum von 1883 bis April 1885. Als Kriminalgeschichte galt sie in der Literaturwissenschaft lange Zeit eher als weniger gelungenes Nebenwerk Fontanes. Obwohl der Leser bereits von Beginn an die Täter und ihre Motive kennt, wird durch Einbindung psychologischer Aspekte und die genaue Schilderung des Dorfmilieus, in dem ein Verbrechen begangen wird, der Spannungsbogen aufrechterhalten und eine düstere Grundstimmung erzeugt.
Mit der Geschichte eines von einem Ehepaar gemeinsam begangenen Raubmordes verarbeitet Fontane Kindheitserinnerungen – sein Vater hatte als Mitglied der Bürgergarde in Swinemünde mit ähnlichen Fällen zu tun. Eine Jahre zurückliegende Information seiner Schwester Elise über einen erschlagenen französischen Soldaten, der in Dreetz in Brandenburg vergraben worden war, weckte ebenfalls Fontanes Interesse und floss in die Handlung ein. Das Urbild des Tatortes war der Gasthof Zum alten Fritz in Letschin.
Inhaltsangabe, mit Spoilern
Abel Hradscheck, die Hauptperson, hat seit etwa zehn Jahren einen Kramwarenladen mit Wirtshaus in dem Oderbruchdorf Tschechin. Ungefähr gleich lang ist er schon mit seiner etwa vierzigjährigen Frau Ursel verheiratet. Ursel hat ein bewegtes Leben hinter sich; offenbar aus geordneten Verhältnissen stammend, wurde sie in ihrem Elternhaus, einem Gasthof, nicht wieder aufgenommen, nachdem sie eine Zeitlang unter anderem als Schauspielerin und Seiltänzerin gelebt hatte. Zufällig wurde Hradscheck, der damals gerade im Gasthaus ihres Vaters übernachtete, Zeuge dieser Szene. Sein spontaner Heiratsantrag gab seinem Leben eine unerwartete Wende: Als Zimmermannssohn hatte er zunächst das Handwerk seines Vaters gelernt und war auf Wanderschaft gezogen, hatte dann aber einen Laden in Neulewin eröffnet. Nachdem ihm ein Verhältnis mit einer Frau dort offenbar lästig geworden war, fasste er den Beschluss, nach Amerika auszuwandern. Er war auf dem Weg nach Holland, als er in der Gegend von Hildesheim die Bekanntschaft mit Ursel machte.
Ursel ist zwecks Eheschließung mit Hradscheck vom katholischen zum evangelischen Glauben übergetreten und hat deswegen beim Pfarrer Eccelius einen Stein im Brett. Die übrigen Dorfbewohner halten sie jedoch für unnahbar und hochmütig, zumal sie ihren Mann überreden konnte, bei einer Auktion mehrere Möbel zu erwerben, die in ihrer ländlichen Umgebung sehr unpassend wirken. Das Ehepaar lebt aber offensichtlich in Harmonie miteinander, obwohl seine zwei Kinder am selben Tag gestorben sind und Ursel ihrem Mann regelmäßig Vorwürfe macht, weil er zu viel trinkt und mit unglücklicher Hand spielt, weshalb auch etliche Schulden aufgelaufen sind, von denen sie offenbar zu spät erfahren hat. Als eine Firma, bei der er erhebliche Zahlungsrückstände hat, die bevorstehende Ankunft ihres Reisenden Szulski meldet und gleichzeitig darauf drängt, dass die Schulden endlich beglichen werden, sieht Hradscheck zunächst keinen Ausweg.
Doch bei Gartenarbeiten unter seinem Birnbaum stößt er zufällig auf die über 20 Jahre alte Leiche eines französischen Soldaten und hat nun eine Idee, wie er dem Schuldensumpf entkommen könnte. Er weiht seine Frau ein, der die Idee zunächst widerstrebt, die aber schließlich einwilligt. Die Hradschecks streuen das Gerücht aus, sie seien durch eine Erbschaft zu Geld gekommen. Gleichzeitig sorgt Hradscheck durch einen kleinen Wechsel und andere Geldquellen dafür, dass er Szulski, als dieser wie angekündigt aus Polen anreist, die geschuldete Summe zahlen kann. Nach einem langen Abend in der Gaststube sucht Szulski sein Zimmer mit der Weisung auf, ihn um vier Uhr am nächsten Morgen zu wecken, da er um fünf Uhr weiterfahren wolle.
In der Nacht erwacht die alte Nachbarin Jeschke durch ein Unwetter und beobachtet im Garten Hradschecks eine verdächtige Szene: Trotz des starken Sturms gräbt der Nachbar ein Loch unter dem Birnbaum, schüttet es jedoch nach kurzer Zeit wieder zu. Am nächsten Morgen täuscht – so kann der Leser ahnen – Ursel, als Szulski verkleidet, dessen Abreise vor. Wenig später werden Szulskis Wagen und seine Mütze in der Oder aufgefunden und alle glauben, der Pole sei verunglückt. Auf Grund von Verdächtigungen wird Hradscheck verhaftet; ihm kann allerdings nichts nachgewiesen werden. Die Nachbarin Jeschke plaudert nun ihre Beobachtung aus, sie habe Hradscheck in der Nacht vor Szulskis „Abreise“ etwas unter dem Birnbaum vergraben sehen. Als man daraufhin unterm Birnbaum gräbt, findet man keine frische Leiche, sondern den toten Franzosen. Hradscheck behauptet, in jener Nacht lediglich verdorbene Speckseiten vergraben zu haben, die tatsächlich an einer anderen Stelle des Gartens gefunden werden, und so kommt er wieder frei. Damit scheint sein Plan, alle zu täuschen, indem er sie von seiner Unschuld überzeugt, gelungen. Die Hradschecks fühlen sich jedoch offenkundig in dem Haus, in dem sie die Mordtat vollbracht haben, unwohl. Hradscheck lässt seinen Gasthof aufstocken und Ursel bezieht ein neues Zimmer. Kurzfristig fühlt sie sich dort wohler; sie kann aber mit der Schuld nicht leben und stirbt einige Monate später. Hradscheck fasst während der Aufstockungsarbeiten außerdem den Plan, seinen Keller höher wölben zu lassen. Als ihm der Sachverständige vorhält, es sei doch viel einfacher, stattdessen den Boden auszuschachten, um mehr Raumhöhe zu gewinnen, wehrt er entsetzt ab und lässt die ganze Sache fallen.
Die Jeschke, stets auf ihrem Beobachtungsposten am Nachbarzaun und bewusst ein etwas unheimliches Image pflegend, jagt den Bediensteten Hradschecks Angst ein, so dass sie sich nicht mehr in den Keller wagen. Die Behauptungen, in dem Keller spuke es, werden immer weiter verbreitet.
Hradscheck will jetzt den toten Szulski, der in der Tat im Keller verscharrt liegt, aus dem Haus schaffen und in die Oder werfen. Als er sich nachts daran macht, Szulski auszugraben, bringt er versehentlich ein Fass ins Rollen, das den Zugang zum Keller blockiert. Am nächsten Morgen wird sein lebloser Körper neben der halb ausgegrabenen Leiche Szulskis aufgefunden. Was genau zum Tod Hradschecks führte, bleibt ungeklärt.
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Die Novelle Unterm Birnbaum erschien, beginnend im August 1885, zunächst als Vorabdruck in Fortsetzungen in der Zeitschrift Die Gartenlaube. Als Buchausgabe wurde sie erstmals im November 1885 beim Verlag Müller-Grote, Berlin, als Band 23 der Groteschen Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller publiziert.
In 2022 widmet sich KUNO der Kunstform Novelle. Diese Gattung lebt von der Schilderung der Realität im Bruchstück. Dieser Ausschnitt verzichtet bewußt auf die Breite des Epischen, es genügten dem Novellisten ein Modell, eine Miniatur oder eine Vignette. Wir gehen davon aus, daß es sich bei dieser literarischen Kunstform um eine kürzere Erzählung in Prosaform handelt, sie hat eine mittlere Länge, was sich darin zeigt, daß sie in einem Zug zu lesen sei. Und schon kommen wir ins Schwimmen. Als Gattung läßt sie sich nur schwer definieren und oft nur ex negativo von anderen Textsorten abgrenzen. KUNO postuliert, daß viele dieser Nebenarbeiten bedeutende Hauptwerke der deutschsprachigen Literatur sind, wir belegen diese mit dem Rückgriff auf die Klassiker dieses Genres und stellen in diesem Jahr alte und neue Texte vor um die Entwicklung der Gattung aufzuhellen.