Danton und wir

 

Georg Büchners Danton glaubt, eine Marionette innerhalb eines sich in der Geschichte manifestierenden mechanistischen Determinismus zu sein. Er befindet sich in einem doppelten Dilemma: Er durchschaut sein Determiniertsein und muss in seinem radikalen Skeptizismus scheitern, denn er kann nicht ausschließen, dass sein Durchschauen ebenfalls determiniert ist. Daher ist seine Weigerung, weiter als Marionette zu dienen, nur eine scheinbare Entscheidung. Dagegen glaubt sich Saint-Just als harmonischen Teil des waltenden Weltgeistes. Er verhält sich so amoralisch, dass er sich in einem vergleichbaren Widerspruch befindet. Das ist grotesk: Die Rechtfertigung einer jeden Ethik zwischen beiden Kontrahenten wird durch diese ‚Versuchsanordnung’ widerlegt. Diese These wird verstärkt durch Robespierre, der weder Determinist noch Materialist ist, sondern als Moralist surplus auftritt: An ihm zeigt sich, dass Moral sich in Nichts oder in ihr Gegenteil auflöst, wo Gut und Böse sich in seiner praktischen Ethik aufheben. Robespierre wird zum Machtpolitiker eines radikalen Relativismus. Nicht die Handelnden scheitern tragisch, sondern die Geschichte scheitert, die in Büchners Drama an die Stelle der tragischen Helden tritt.

Aber wie kann die Geschichte tragisch sein, wenn sie nur Zeitraum und Schauplatz eines blinden Zufalls ist? Wird sie als untragisch entlarvt? Liegt dann die Tragik bei den Menschen, die Geschichte tragen und ertragen, wenn sie nach freiem Willen zu handeln glauben, obwohl sie doch Spielbälle des Zufalls sind, dessen Durchschauen keine Rettung bringt?

Das Tragische läge dann darin, dass es keinen freien Willen gibt und dass der radikal skeptisch Denkende auch dieses Durchschauen in Zweifel ziehen muss – was für ein verzweifelter Untergang! Er zeigt sich auch in Dantons Handeln und Nichthandeln, was dasselbe ist. Danton kann tun und lassen, was er will, es ist zwecklos, weil die Geschichte sinnlos ist.

Danton als dramatisierte philosophische Frage nach Lebenssinn bleibt trotz allem Relativismus und radikalen Skeptizismus ein Stück der Hoffnung, denn das Relative (die andere Möglichkeit) und der Zweifel (auch am Schlechten) schließen die Hoffnung notwendig in sich ein. Der von der Sinnlosigkeit seines Handelns überzeugte Danton, eine philosophische Spielfigur, versucht durch absolute Weigerung seinen Status als ein mit freiem Willen begabtes Wesen zu beweisen, bis er erkennen muss, dass diese Haltung zwecklos ist. Nirgends ist Zweifeln und Verzweifeln in seiner innigen Verwandtschaft so klar dramatisiert worden wie bei Büchner. Danton verzweifelt, weil er seinen Glauben an seinen freien Willen zu verteidigen sucht. Sein Untergang, den er als die einzige sinnvolle Tat begreifen muss, da sie die Sinnlosigkeit seines Lebens beendet, bleibt aber ebenfalls sinnlos. Büchner verneint also den Freitod als Versuch, freien Willen wenigstens im Akt der Selbsttötung zu erschaffen. Am Schluss des Stücks wird der Nihilismus ad absurdum geführt: Es lohnt sich nicht einmal der Tod. Danton beweist, dass wir zur Hoffnung verdammt sind. Mehr haben wir nicht.

Die Poesie Büchners ist kein Opium, keine Religion, kein Versprechen. Kunst, die immer verführerische Betrügerin und Lügenzerreißerin zugleich ist, weitet logische Räume. Die Mythen, Gesichte und Bilder formen Gegenwelten, aus denen der Leser – immer zugleich selbst dichtend, während er liest – immer wieder hart auf die ihn deutende Erde zurück gestoßen wird. Den großen Traum Dantons pflanzend sieht er das unerreichbare Ziel: Ein schmerzloses Sein. An Abgründen vorbeistolpernd rettet er sich das Leben, indem er ihm seinen Sinn gibt.

 

 

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Zum Büchner-Hintergrund lesen sie auch die KUNO-Artikel von Christian Milz hier und hier.