N@sty B. hat das Stigma der Verräterin einer Aufrichtigkeitsbewegung. Revolte nach aussen ist für sie notwendig, um den inneren Frieden zu gewinnen. Als Exzentrikerin gehört sie zu den Menschen, die sich nicht entscheiden wollen, ob sie lieber eine Revolution anzetteln oder das Leben der Neobohème führen wollen. Hin– und hergerissen zwischen ihrer Eitelkeit und ihrer Utopie, verharrt sie am Rande der Gesellschaft, die sie eigentlich für fehlgeleitet hält und gerne missionieren würde, wenn ihr nicht immer ihr eigenes Spiegelbild in die Quere käme, vor dem sie selbstverliebt stehen bleibt. Mit einer mädchenhaften, wie festgefrorenen Unschuldsmiene zeigt sie, dass sie lächeln kann und doch zur Mörderin wird, deren Ungerührtheit viel gefährlicher, geheimnisvoller ist als jedes dämonische Verbrechergetue.
„Was ist, wenn sich der Weltbezug der Wörter auflöst?“, befragt sie die Annahme, dass Worte keine Welt an sich repräsentieren. Ihr Weltbezug steckt in den Bedeutungen, die diesem Wort im sozialen Handeln zugesprochen werden. Sprache ist N@sty B.s Ernstfall. Ihre Welt besteht aus Sätzen und Zeichen. Wörter sind für sie nicht Schall und Rauch, sie sind Tatsachen, die in der Wirklichkeit neue Fakten schaffen. Sie kämpft gegen das Vergessen, das Verlassen–Werden, die Gesellschaft, Gott, und den Tod. Ihr ist das Leben entglitten. Sie versucht es wieder zu ordnen. Versucht das, was wir alle tun, dem Leben, wenn es schon keinen Sinn hat, wenigstens eine erzählerische Ordnung zu geben. Die seelischen Grenzüberschreitungen, die ihre Songs thematisieren, vollzieht sie in der Aufhebung der Gattungsgrenzen nach. N@sty B. ist auf der Suche nach ihrem Ursprung und findet Einzelteile einer versprengten Existenz.
Zonker und N@sty B. haben eine eigene Sprache kreiert: ein raues Idiom, in bellendem Tonfall rasend schnell skandiert. Jedes banale Gespräch klingt wie grimmiger Streit. Sie sind gefangen zwischen der Vergänglichkeit des Tages und der Ewigkeit der Kunst, das Vergängliche, das Flüchtige, das Zufällige, die eine Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unwandelbare ist. Ihnen ist dabei die Handlung ihres Lebens abhanden gekommen. Die Zeit hat sich entwirklicht, die Wirklichkeit entzeitlicht. Die Abfolge des Erzählens hat mit der Abfolge des Erzählten nicht das Geringste zu tun.
»Wir können nur stammeln und rammeln; ein Herz haben wir nicht. Unsere Nachkommen wissen alles und widerlegen uns im Lauf des Lebens«, erkundet Zonker das Leben; das eigene und die Verantwortung für ein Werdendes. Sein Kopf ist gross genug, um eine Welt darin unterzubringen. Er umarmt seine schmalen Schultern und senkt sanft seinen Kopf. So, wie die disparaten Teile des Realen über– und nebeneinander gelegt werden, so verfährt auch Zonker mit den unterschiedlichen Ebenen. Die Summe der eigenen Gefühle, der Verzweiflungen, der eigenen Tränen sammelt sich im seelischen Reservoir eines Menschen, in dem, was man dann Aura nennt. Ihre Hingabe an die Sexualität ist Hingabe an ihren Körper. Ihre Sexualität ist das stille Einverständnis, dass sie sterben muss. Da aber gerade in diesem Moment zwei Menschen eins werden und ein neues Leben entstehen kann, fallen Leben und Tod in ihrer Liebe zusammen. In der Zersplitterung bildet sich eine tiefere psychische Wahrheit des Erlebens ab: Zeitkrise ist immer Identitätskrise.
Die Arbeit am Fliessband unterscheidet sich in nichts von der eines Kassierers in einer Bank. Der Frontmann des Geldinstitutes macht immer die gleichen Bewegungen: Die rechte Hand hält Xaver Abmayr greifzangengleich hoch, lässt sie, mit einer Zahlungsanweisung bestückt, krachend auf den Tresen niedersausen, stempelt links und rechts, legt ab, zahlt aus und die Rechte fährt wieder nach oben. Der Kassierer ist Teil einer grossen, unerbittlich vor sich hin stampfenden Maschine, die Geld zum neuen Fetisch gemacht hat. Als N@sty B. ihm die Walther–PPK vor die Nase hält, macht er eine Handbewegung, die nicht in seinem Ablaufplan vorgesehen ist. Obwohl er eine Brille trägt, muss er ständig blinzeln, als wolle er die Welt neu fokussieren.
Menschenverachtung und Gewalt begleiten Xaver Abmayr durch das ganze Leben. Die Welt und ihre ganze Pracht ist nur ein schnöder Schein, ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht. Er ist ein Wohnhaus grimmer Schmerzen, ein Irrlicht dieser Zeit, ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid. Sein Versuch, der Frucht und sich selbst auf den Grund zu kommen, hat etwas beiläufig Scherzhaftes: Diese ganze Anstrengung der Selbstfindung ist auch wieder nur ein Witz. Der Leere in sich selbst ist er sich schon länger gewiss. Den belagerungsfreien Zustand von Ruhe und Kontemplation hat es für ihn nie gegeben. Sein Ich sehnt sich nach Erlösung aus der bürgerlichen Existenz durch das weibliche Geschlecht. Wo Sexualität unterdrückt wird, ist die Sehnsucht nach Selbstbestrafung nicht weit. Die Erkenntnis der eigenen Erbärmlichkeit treibt ihn ins winselnde Verrecken, bis er schliesslich als hilfloser Jammerhaufen hinter dem Schalter wankt und N@sty B. um den Gnadenschuss bittet.
Cool wie Höllenfeuer. Sie stellt sich vor die Überwachungskamera. Zieht die Motorradmütze vom Gesicht und hat mit einem Handgriff für die grösste Medienaufmerksamkeit gesorgt. Verquere Chiffren der Normalität. Zeiten und Realitätsebenen verschwimmen ineinander, reihen und schieben sich Partikel und Segmente zu einer Traumquote. Der Furor des Sichtbarmachens ist nichts anderes als eine Ausrede dafür, dass das ästhetische Begreifen des Sujets ausblieb. Ob ein Thema wirklich notwendig auf dem geistigen Markt erscheint oder ob nur recycelt wird, was die grössten Chancen hat, als Event wahrgenommen zu werden, danach fragt niemand der Redakteure mehr. Als aufstrebende Künstlerin war N@sty B. smart, entgegenkommend, dabei gleichwohl durchsetzungsfähig, flexibel und vor allem diszipliniert; sie pflegte den Habitus der Jungmanagerin, obschon sie eine Prise unkontrollierbares Genies in ihre Darstellung zu mischen wusste.
Aus der Bahn geworfen stehen Zonker und N@sty B. vor den Trümmern ihres Lebens, das sich als Projektionsfläche idealisierter Weltbilder entpuppt, als Fata Morgana ihrer Wünsche und Sehnsüchte. Gegen die Logik aggressiver Ignoranz ist kaum ein Kraut gewachsen. Sie lässt sich nur ausbalancieren und sich nur ertragen durch die Anwesenheit des anderen. Am Ende folgt eine letzte verzweifelte Maskerade als Schlusspunkt vergeblicher Glückssuche, eine Flucht, die nur tödlich enden kann. Ein Mensch, der anderen Menschen das Leben nimmt, trägt selbst eine Totenmaske. Bevor Zonker ihr eine Falle stellen konnte, stellt sie sich selbst. Wahre Schurken gibt es nur in der Fiktion. Im wirklichen Leben können die Menschen den Schwachsinn, den sie veranstalten, zumeist rechtfertigen. Der Fiesling, der seiner selbst bewusst ist, bleibt der Bühne vorbehalten. N@stys Bühne ist die Live–Übertragung ihres letzten Bankraubs.
»How absurd this trouble to learn / to be silent in another language…«, singt N@sty B. die ersten Zeilen ihrer neuen Single und sorgt mit einem Gesicht von entstellter Offenheit für die Betrachter der Überwachungskamera für einen neuen Verständnishorizont. Kaum ein Bild, das man nicht augenblicklich als film still wahrnimmt und um eine Story oder einen Plot ergänzt. Kaum ein Bild, das nicht den Keim einer Erzählung zu enthalten scheint. Die hypermodernen Menschen recyceln die Bilder aus Mode, Werbung und Medien, um sie anschliessend durch gezielte Kontraste zu brechen. Ihre Wohnzimmer werden mit dem flauschigen Pop beschallt wie hübsch durchdesignte Bars, Coffeeshops oder bessere Friseurläden, in denen sie sich gerne aufhalten.
N@sty B. kann die Essenz ihres Songs auf einen einzigen Ostinatoakkord aus dem Handgelenk reduzieren, ohne dass ihre Musik dabei auch nur ein Quentchen ihrer Wucht verliert. Als ein Wesen aus dem Geist des erotischen Synkretismus zieht sie alle Register der Verführung: Sie räkelt, stöckelt, streift die Haare ins Gesicht, wirft den Kopf in den Nacken und den Hintern vor. Die Lippen schmollen, die Betonung liegt lasziv auf der Endsilbe, die angebliche Unerfahrenheit wird kokett ausgestellt, der Exhibitionismus soll beiläufig wirken, die Schamlosigkeit unkalkuliert. N@sty B. lässt die tickende Zeitbombe in der rasenden Leidenschaft immer genau so sachte hören, dass sie als Verzweifelte selbst da noch Sympathien weckt, wo sie als emotionale Amokläuferin, die mit ihrer vermessenen Liebe alle ins Verderben reitet, längst verspielt hat. Es muss ein Ende haben mit dem Märchen, der Wille einer Songschreiberin lasse sich rekonstruieren und somit die gültige Interpretation festschreiben. Jeder hört einen Songtext auf seine Weise, und jeder hört ihn aus seiner Zeit und vor seinem Bildungshorizont. N@sty B.s Ehrlichkeit zersetzt alle Grundlagen des Trostes, distanziert sich vom billigen Theater der Reue und des Bekenntnisses, verwandelt sich die Welt auf eigene Weise an und gestaltet sie magisch aus.
Schwellenzeit. Das Warten ist vollends zweckfrei und zum Dienst an sich geworden; auf wen sie wartet, ist nicht einmal ihr selbst ganz gewiss, noch kümmert es sie. N@sty B. ist ganz bei sich, im Gewölbe ihrer inneren Existenz: eine Wartende und ein Horchende. Sie setzt den Kopfhörer auf. Drückt beim iPod auf die Starttaste. Wenn sie ein klassisches Stück zehnmal gehört hat, fallen ihr andere Details auf, es gibt immer etwas Neues zu entdecken. In der Popmusik gibt es ein paar Dinge, die immer gleich sind. Der Beat, die Instrumentalisierung, die Texte. Strophen und Refrain wechseln sich ab, der Aufbau ist immer derselbe. Das kann nett sein, aber wesentlich interessanter findet sie es, von Musik überrascht zu werden. N@sty hört zu Beginn des Kopfsatzes von Mozarts C–Dur Quintett einen spirituellen Dialog aus geistvoll trocken, hurtig aufsteigender Cello–Dreiklangsbewegung und zarter Doppelschlag–Antwort der ersten Violine. Anfangs in der Tonika, dann in der Dominante. 19 spannungsvolle, pochend motorische Takte. Darauf eine Generalpause…
Auch das ist Culture Vulture: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin zu Ruhm. N@sty B. dringt ein in den wahren Grund des Seins, die Gewalt der Sprache trifft auf die Sprachlosigkeit der Gewalt. Die einzige Möglichkeit, die unbeweglichen Umstände zu bewegen, ist notwendig der eigene Tod. Früher war der Tod ein Schnitter, nun ist er ein Cutter beim Film. Sie stürmt aus dem Gebäude und schiesst gezielt die Kameras aus, bis auf das letzte Auge.
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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.
Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.