Das weiße Haus

 

Man kennt die Romane des Dänen Herman Bang. Sie haben alle etwas Todtrauriges, Hoffnungsloses, Entmutigendes. Man erinnert sich der Menschen, die darin vorkommen, wie man sich vielleicht verlorener und unglücklicher Existenzen erinnert, von denen man als Kind gehört hat. Überhaupt so wie man Dinge und Schicksale als Kind gesehen und empfunden hat (besonders wenn man ein Kind einsam unter Erwachsenen war), so findet man das Leben in den Büchern Herman Bangs wieder. So seltsam verlockend und liebkosend ist sein Ruf wie die Stimme der Wasserfrau, welche die jungen Menschen in die tödliche Tiefe grundloser Gewässer zieht, – und sein Schritt ist so eilig, daß die Menschen ihm nicht nachkommen können und entweder mit milden Händen im Schooße, hilflos und traurig lächelnd, zurückbleiben oder aber, von einer unheimlichen Hast erfüllt, mit vielen kleinen überstürzten Bewegungen hinter ihm herkommen, bis sie sterbensmüde zusammenbrechen und am Wege sterben. Diese Hast, diese fieberhafte Tatenlosigkeit, die oft über besonders feinen und empfindsamen Menschen liegt, ist das eigentliche Thema im Werke Herman Bangs.

In seinen früheren Büchern ist diese Atemlosigkeit über ganzen Geschlechtern, deren fliegendes Keuchen man zu vernehmen glaubt, während er sich in seinem letzten Buche, dem »weißen Hause«, die Aufgabe gestellt hat, uns eine einzelne Gestalt zu zeigen, an der das Leben vorüberfliegt wie ein Traum und die mit tausend kleinen Liebkosungen, mit saßen mädchenhaften Schmeicheleien sich ihm zu nähern und es festzuhalten sucht; denn darin liegt die Tragik, daß dieser Mensch, dem das Leben mit fremdem Lächeln vorbeigehen will, dieses Leben, ohne seiner mächtig zu sein, gerade in seinen starken und kraftvollen Erscheinungen liebt und anerkennt. Diese Gestalt, diese weiße Frau, diese kindhafte Mutter, die so jung ist und nicht älter wird, weil sie jung sterben muß, hat etwas Typisches, und Herman Bang hat, wie mir scheint, diesen Typus geschaffen. Danach muß dieses Buch gewertet werden; denn immer noch haben wir diejenigen Bücher am höchsten eingeschätzt, die das Wesen einer gewissen Gestalt so tief und sicher erfaßt haben, daß wir sie nicht als Ausnahme empfinden, sondern sie, wie von hundert Spiegeln wiederholt, hundertmal in verschiedenen Fernen kommen und verschwinden sehen.

Aber noch etwas anderes macht dieses Buch zu einem Ereignis von besonderer Bedeutung: es hat nur so geschrieben werden können wie es geschrieben worden ist. Das heißt, so wie man eigentlich keine Bücher schreibt. Es ist geschrieben wie lebhafte Kinder erzählen. Man geht durch ein Haus, durch das »weiße Haus«, durch den Küchengarten, durch die Stadt, man macht Besuche bei verschiedenen Leuten, beim Dorfschulzen, bei Madame Jespersen, – und jedesmal erfahrt man, was die Mutter an allen diesen Orten getan und gesagt hat, man hört ihr Lachen und fühlt ihre Schweigsamkeit, – und während man weiß Gott bei wem sich aufhält, weiß man, daß es sich doch nur um die Mutter handelt, um »die Frau«, wie sie genannt wird, die unter diesen Leuten gelebt hat und die eine große Liebe zu diesen Leuten gehabt hat und eine große Überlegenheit über sie, weil sie so anders war. Das haben die Kinder bemerkt und auch der Vater weiß es, der ein Leben für sich lebt in seiner Studierstube bei seinen Sorgen und den Büchern, zwischen denen er immer auf und niedergeht. Man hört nur seine Schritte manchmal wenn es stille wird im weißen Haus, oder man sieht ihn plötzlich in der Türe stehen, schwarz, wie einen hohen Schatten, in den Dämmerstunden, wenn die Mutter am Klavier sitzt und spielt und singt, ehe die Lampe angezündet wird. In diesen Stunden strahlt sie ihre Traurigkeit aus, wie einen Duft, den gewisse Blumen ausatmen, ehe die Nacht kommt. Und die Kinder sitzen irgendwo in den Ecken der weiten Stube und wollen immer mehr von dieser wundersamen Traurigkeit, die sie nicht verstehen….

Später im Leben wissen sie vielleicht was es war. Und eines von diesen Kindern hat als Mann, als reifer und banger und trotziger Mann das Buch geschrieben, welches das Buch seiner Kindheit ist, das Gedicht, welches ganz erfüllt ist von der Schönheit und Hülflosigkeit der Mutter, die früh sterben mußte und »die das lichte Leben liebte«

 

 

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Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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