Lange bevor das Kürzel POC geläufig wurde, war May Ayim eine der Pionierinnen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland. KUNO erinnert an diese Lyrikerin regelmässig am 3. Mai
Die Tochter des ghanaischen Medizinstudenten Emmanuel Ayim und der Deutschen Ursula Andler lebte in den ersten eineinhalb Jahren in einem Kinderheim in Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst. Ihr Vater durfte sie nicht mit nach Ghana nehmen. Anschließend wurde sie von der Familie Opitz adoptiert und wuchs bei dieser in Münster auf. Ihre leibliche Mutter verweigerte zeitlebens jede Kontaktaufnahme, der leibliche Vater besuchte sie seit ihrer Kindheit mehrmals bei den Pflegeeltern. Ihre Kindheit beschrieb sie als bedrückend, von Angst und Gewalt geprägt. Die Adoptiveltern wollten sie mit Strenge zu einem Musterkind erziehen, das alle „rassistischen Vorurteile“ Lügen strafen würde. Sie lehnten ihr späteres Engagement in der „Black Community“ als Spätfolgen einer frühkindlichen Störung und krankhaften Drang, ihre Hautfarbe und afro-deutsche Identität zu bewältigen, ab 1979 legte sie das Abitur an der katholischen Friedensschule Münster ab.
„Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“
Später studierte sie an der Universität Regensburg Pädagogik und Psychologie und schloss 1986 mit Diplom ab. Während des Studiums reiste sie nach Kenia, wo ihr Vater mittlerweile als Medizinprofessor arbeitete, zu dem sie jedoch keine enge Beziehung mehr aufbauen konnte, und nach Ghana, das sie als ihr „Vaterland“ bezeichnete, obwohl sie sich dort fremd fühlte und als „Weiße“ angesehen wurde. Ihre Diplomarbeit Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen veröffentlichte sie – damals noch unter dem Namen May Opitz – in dem gemeinsam mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz herausgegebenen Band Farbe bekennen, der auch ins Englische übersetzt wurde. Der eigentlich zuständige Regensburger Professor lehnte das Thema der Diplomarbeit laut Ayim mit der Begründung ab, „Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“. Stattdessen fand sie in Berlin eine Prüferin, die die Arbeit annahm.
Ethnozentrismus und Sexismus in der Sprachtherapie
Ab 1984 lebte sie in West-Berlin, in dessen multikultureller Umgebung sie sich weniger isoliert fühlte als in Münster oder Regensburg. 1986 war Ayim Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland. Sie knüpfte Kontakte zu Vertreterinnen der internationalen schwarzen Frauenbewegung wie zum Beispiel Audre Lorde. 1987 begann sie eine Ausbildung zur Logopädin. Ihre Examensarbeit von 1990 trägt den Titel Ethnozentrismus und Sexismus in der Sprachtherapie. Anschließend arbeitete sie als freiberufliche Logopädin sowie von 1992 bis 1995 als Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Fachhochschule, der Freien Universität Berlin und an der Technischen Universität Berlin.
„Ich wuchs mit dem Gefühl auf, das in ihnen steckte: beweisen zu müssen, dass ein ‚Mischling‘, ein ‚Neger‘, ein ‚Heimkind‘ ein vollwertiger Mensch ist.“
Sie wehrte sich in Vorträgen und auch in ihren Gedichten gegen rassistische Diskriminierung, die sie in ihrem Alltag selbst erfuhr. So kritisierte sie insbesondere den beleidigenden Charakter von Bezeichnungen wie Neger, Mischling oder Besatzungskind. In Farbe bekennen schrieb sie: „Ich wuchs mit dem Gefühl auf, das in ihnen steckte: beweisen zu müssen, dass ein ‚Mischling‘, ein ‚Neger‘, ein ‚Heimkind‘ ein vollwertiger Mensch ist.“ Die Deutsche Wiedervereinigung, die sie als „Sch-Einheit“ bezeichnete, erlebte Ayim als überschattet von zunehmendem Nationalismus und Gewalt gegen Minderheiten. Im Gedicht deutschland im herbst (1992) zog sie eine Verbindung von der „Kristallnacht“ im November 1938 zum tödlichen Überfall auf Amadeu Antonio im November 1990 und schloss mit den Worten „mir graut vor dem winter“. Ab 1992 publizierte sie unter dem Namen May Ayim. 1995 veröffentlichte sie die Gedichtsammlung blues in schwarz weiss.
ich werde
noch einen schritt weitergehen
bis an den äußersten rand
wo meine schwestern sind
wo meine brüder stehen
wo unsere FREIHEIT
beginnt
ich werde noch einen schritt weitergehen und
noch einen schritt
weiter
und wiederkehren
Ayim litt seit den frühen 1990er Jahren an psychotischen Schüben, weshalb sie sich mehrmals freiwillig in die geschlossene Psychiatrie begab. Nachdem sie darüber hinaus die Diagnose Multiple Sklerose mitgeteilt bekommen hatte, verzweifelte sie. Die Absetzung ihrer gegen Depressionen angewendeten Psychopharmaka im Kontext der Behandlung der Multiplen Sklerose führte zu einer rapiden Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit. Sie stürzte sich am 9. August 1996 von einem Hochhaus in den Tod.
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Am 27. Mai 2009 beschloss in Berlin die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg, das nach dem preußischen Generalleutnant Otto Friedrich von der Groeben, Gründer der brandenburgischen Sklavenfestung und Kolonie Groß Friedrichsburg in Westafrika (heute Ghana), benannte Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umzubenennen. Am 27. Februar 2010 wurden die Straßenschilder aufgestellt.