Ich wollte ganz nach draußen gehen und einen symbolischen Beginn machen für ein Unternehmen, das Leben der Menschheit zu regenerieren innerhalb des Körpers der menschlichen Gesellschaft, und um eine positive Zukunft in diesem Zusammenhang vorzubereiten.
Joseph Beuys
Das Eichenlaub ist ein politisches und militärisches Symbol sowie eine gemeine Figur in der Heraldik, das den gelappten Laubblättern von in Mittel- und Südeuropa heimischen Eichenarten (häufig der auch „Deutsche Eiche“ genannten Stieleiche) nachempfunden ist. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ war ein Landschaftskunstwerk des Künstlers Joseph Beuys, das 1982 auf der documenta 7 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Artist pflanzte mit der Hilfe von freiwilligen Helfern im Verlauf mehrerer Jahre 7000 Bäume zusammen mit jeweils einem begleitenden Basaltstein an unterschiedlichen Standorten in Kassel.
Das Projekt war im Hinblick auf die allgemeine Verstädterung eine umfangreiche künstlerische und ökologische Intervention mit dem Ziel, den urbanen Lebensraum nachhaltig zu verändern. Joseph Beuys selbst bezeichnete das Projekt als „Soziale Plastik“. Das anfangs umstrittene Projekt hat sich zu einem stadtbildprägenden Bestandteil des öffentlichen Raums der Stadt Kassel entwickelt. Beuys sah 7000 Eichen als „Rückbesinnung zur alten Organisationsstruktur.“ Durchgehende Baumstreifen wurden in dieser Zeit in vielen Städten abgeholzt, um Straßen- und Gehwegverbreiterungen zu ermöglichen. Nun sollen die Bäume diesen Platz wieder einnehmen. Er betrachtete Bäume als wesenhafte Subjekte, denen die Rechte fehlen:
„Sie sind entrechtet. Sie wissen das ganz genau, dass sie entrechtet sind. Tiere, Bäume, alles ist entrechtet. Ich möchte diese Bäume und diese Tiere rechtsfähig machen.“
Die New Yorker Dia Art Foundation, heute Dia Center for the Arts, hatte einen Beitrag zum Anlauf des Projekts geleistet. Der Restbetrag sollte durch Spenden von Privatleuten, Firmen und Institutionen finanziert werden. Ein Baum kostete 500 Mark (255 Euro). Der Aufruf zur Spende geschah vorwiegend durch Plakate, die zur Beteiligung an Beuys’ Projekt aufriefen. Trotz der internationalen Popularität des Künstlers reichte das Spendenaufkommen nicht für die Finanzierung des Vorhabens aus, so dass Beuys gezwungen war, einen großen Teil der Gelder selbst aufzubringen. 1982 zerlegte Beuys vor Publikum eine Kopie der Krone des Zaren Iwans und schmolz sie ein. Daraus goss er Der Friedenshase und Zubehör (bestehend aus einer etwa 30 Zentimeter großen Hasenfigur und einer Sonne), der für 777.000 DM an den Stuttgarter Sammler Joseph W. Fröhlich verkauft wurde. Zudem machte Beuys 1984 eine Whisky-Reklame für die Marke Nikka im japanischen Fernsehen zu Gunsten der Aktion, samt eingeblendetem Hinweis: „Joseph Beuys ist hier aufgetreten, seine ökologischen Unternehmen zu fördern.“ Der Satz: „Ich habe mich vergewissert, der Whisky war wirklich gut.“ brachte ihm 400.000 DM ein. Beuys kommentierte diesen Einsatz mit der Bemerkung: „Ich habe mein ganzes Leben lang geworben, aber man sollte sich mal dafür interessieren, wofür ich geworben habe.“
Nur etwa die Hälfte der Bäume des Kunstwerkes sind Eichen, vorwiegend Stieleichen, zahlreiche andere Laubbaumarten sind vertreten. Häufig sind insbesondere Eschen, Linden, Roßkastanien und ahornblättrige Platanen. Die meisten Bäume wurden als „Straßenbegleitgrün“ auf städtischen Flächen gepflanzt.
War Joseph Beuys ein Grüner?
1976 trat Joseph Beuys als Kandidat für die nationalistische Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher an. Der Regisseur Andres Veiel sieht in Beuys‘ Zusammenarbeit mit einem ehemaligen SS-Mitglied und seinen Abenden mit alten Kriegskameraden eine ‚Transformierung der Katastrophe‘ und eine ‚Möglichkeit, sich von den Schatten der Vergangenheit zu befreien.‘ Wie Beuys hier den Begriff vom „schaffenden Volk“ benutzt, zeigt welch geistes Kind er ist. Es ist nicht seine Trivialmythen zu dekonstruieren, der Filmemacher Andres Veiel hat es mit einer Filmbiografie im Dokumentarstil über den Künstler Joseph Beuys dargelegt. Wie können Joseph Beuys in einer Collage unzähliger, bisher unerschlossener Bild- und Tondokumente wiederbegegnen, Andres Veiel stellte ein Zeitdokument zusammen. Wie sehen wie Beuys sich mit Fragen des Humanismus, der Sozialphilosophie und Anthroposophie auseinandersetzt. Dies führte zu seiner Definition eines „erweiterten Kunstbegriffs“ und zur Konzeption der Sozialen Plastik als Gesamtkunstwerk, in dem er Ende der 1970er Jahre ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft und in der Politik forderte. Der Film „Beuys“ ist eine intime Betrachtung des Menschen, seiner Kunst und seiner Ideenräume.
Ich erinnere mich an den Filz, aus dem die Zelte gemacht waren, an den scharfen Geruch von Käse, Fett und Milch. Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrte, und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält.
Joseph Beuys
Der Absturz mit seiner Nachgeschichte diente Beuys als Stoff einer Legende, der zufolge nomadisierende Krimtataren ihn „acht Tage lang aufopfernd mit ihren Hausmitteln“ (Salbung der Wunden mit tierischem Fett und Warmhalten in Filz) gepflegt hätten. Diese Legende, die Beuys’ Vorliebe für die Materialien Fett und Filz erklären sollte und die Beuys in einem BBC-Interview ebenso beschrieb, hat auch sein Biograph Heiner Stachelhaus vertreten.
Ging Joseph Beuys zu Kameradschaftsabenden seiner Luftwaffeneinheit, wo er sich lachend mit ihnen fotografieren ließ, nur, weil er sie zu aufrechten Demokraten bekehren wollte?
In seinem Buch Beim Wort genommen unterzieht der Kunsthistoriker Ron Manheim vor allem die Äußerungen von Joseph Beuys einer kritischen Betrachtung. Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys begegnet er dem Künstler kritisch und wirft in Beim Wort genommen einen genaueren Blick auf seine Äußerungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Unbestritten ist, dass er in seiner Jugend glühender Nationalsozialist war. Und nach dem Krieg? Lange Zeit galt Beuys als unkonventioneller Aktivist, der die Natur vor der Zerstörung und uns alle vor dem Kapitalismus bewahren wollte. In diesen hat Beuys nicht nur die eigene, persönliche Geschichte einem Idealbild ‚angepasst‘. Da, wo seine Erinnerungen und seine Einschätzungen der Gegenwart einen direkten Bezug zum Nationalsozialismus aufzuweisen hatten, zeigte er auffallend oft ein erstaunliches bis abstoßendes Erinnerungs- und Weltbild.
Diese Gesellschaft ist letztlich noch schlimmer als das Dritte Reich. Hitler hat nur die Körper in die Öfen geschmissen. Hier geschieht eine Hinrichtung im geistigen Bereich.
Joseph Beuys
Es ist zwar bereits unüberschaubar viel über das Denken und Reden von Joseph Beuys veröffentlicht worden, doch wurde bis heute nicht der Frage nachgegangen, woher seine Aussagen zur Zeit des Nationalsozialismus stammen, aus welchen Quellen Beuys dabei schöpfte, was er mit diesen Äußerungen bezweckte und wie sich diese zu den kunst- und gesellschaftstheoretischen Äußerungen des Künstlers verhalten könnten. Manheim stellt Beuys’ Aussagen zur Zeit des Nationalsozialismus in Themengruppen zusammen: Erinnerungen an die eigene Kindheit und (Hitler-)Jugend, an seine Lehrer und jüdischen Mitschüler, die Gründe für Beuys’ freiwillige Meldung zur Luftwaffe, die Erlebnisse im Krieg, die Beweggründe für die Hinwendung zum Künstlerberuf, die Ideen zum ‚deutschen Volk‘ und den späten Vergleich der Gegenwart mit „Auschwitz“. Dabei entstand in der offensichtlichen Fantasiewelt des Künstlers ein vielfach bis ins Extreme verfälschtes Bild der realen Verhältnisse.
Im Künstlerhabitus hat Beuys Ideen und Symbole verinnerlicht, die er als Hitlerjunge eingeimpft bekam: An erster Stelle stand die antiautoritäre NS-Jugendpolitik, die es darauf anlegte, die Kinder als verwegene Phalanx des Systems und Aufpasser gegen Eltern und Lehrer einzusetzen. Denn die Jugend unter dem Hitlerregime war bildbarer und kontrollierbarer, als die Elterngeneration; indoktriniert von Schule und Vereinen, kannte sie nichts anderes als die Ideologie des „Dritten Reichs“.
Beat Wyss
Die Ursache sieht Manheim in der Persönlichkeit des Künstlers, dessen Hang zur Esoterik ihn blind machte für die Wirklichkeit. Schon vor Kriegsende stieß Beuys auf die Gedankenwelt des Anthroposophen Rudolf Steiner, nachdem er sich bereits während seiner Flieger-Ausbildungszeit im damaligen Posen mit den braun gefärbten gesellschaftlichen Ganzheitsvorstellungen von Eduard Spranger auseinandergesetzt hatte. Unmittelbar nach dem Krieg tauchte er in die metaphysische Weltsicht Steiners ein, ohne auch nur im Geringsten eine Phase der ideologiekritischen Reflektion zu durchleben.
Man weiß wenig über die Seele… Es gibt allerdings Menschen und Strömungen in der Zeit, die dort umfassenderes wissen, also die eine Seelenforschung betrieben haben. Und wir sehen den größten in unserer eigenen Zeit, des 20. Jahrhunderts, das ist Rudolf Steiner, der etwas über die menschliche Seele aussagt – in dieser umfassenden Weise, die hineinreicht in alle Bereiche der menschlichen Arbeit.
Joseph Beuys
In den zahlreichen Gesprächen und Interviews während seiner künstlerisch-aktionistischen Erfolgsjahre zeigte Beuys sich den Fragen nach der Jugend, der Kriegszeit und den Realitäten der Aktualität gegenüber als völlig hilflos. Wie bei der Verklärung des eigenen Lebenslaufs, so befand er sich auch bei seiner Deutung von Gegenwart und Zukunft als ein Gefangener im Kokon der Esoterik, wobei nicht selten Begriffe und Auffassungen aus der dunklen jüngsten Vergangenheit aufschienen.
Der restaurative Geist der achtziger Jahre begünstigte die historische Verdrängungsarbeit, die Beuys buchstäblich ins Werk setzte. Die postmoderne Sehnsucht strebt nach Friede, Freude, Eierkuchen im Fabulieren von „individuellen Mythologien“.
Beat Wyss 2008 in Monopol, Magazin für Kunst und Leben
Einem andern begegneten wir bereits in „Beuys. Die Biographie“. Bereits diese erste umfassende und kritische Biographie nimmt eine Neubewertung eines der herausragenden – und umstrittensten – Künstler des 20. Jahrhunderts vor. Anhand von bislang unerschlossenen Archivmaterialien sowie Gesprächen mit Marina Abramović, Lukas Beckmann, Dieter Koepplin, Klaus Staeck u. a.. Doch nicht wenige namhafte Kunstexperten betrachten ihn als Scharlatan. HP Riegel legt erstmals eine ausführliche, minutiös recherchierte Darstellung des Lebens und Wirkens von Joseph Beuys vor, die zu einer grundsätzlichen Neubewertung Anlass gibt. So geht es vor allem um seine existentielle Verbindung mit Rudolf Steiner, seine Nähe zu völkischem Gedankengut, seine kriegsbedingte Traumatisierung, die Hintergründe seiner Entlassung aus der Düsseldorfer Akademie und sein Engagement bei den Grünen. „Unter den Beuys-Anhängern finden sich viele, die man eher dem linken Spektrum zurechnen würde, weil sie nicht wissen oder wahrhaben wollen, was er wirklich vertrat. Aber Beuys hat dezidiert Thesen verkündet, die sich bei den Querdenkern wiederfinden. Beuys war gegen den Parlamentarismus, er machte Parteien und Politiker lächerlich. Sein Ziel war eine andere Gesellschaft, die nach anthroposophischem Schnittmuster funktionieren sollte. Eine seiner zentralen Aussagen war immer, dass die Menschen spirituell und geistig unterdrückt würden von höheren, unbestimmten Kräften. Das ist auch eine Kernthese der Querdenker und Verschwörungstheoretiker.“
Bei aller offensiver Rhetorik blieb Beuys eine kritische Auseinandersetzung mit Nazi-Deutschland schuldig. Wir dürfen diesen Schamanen der alten BRD und seinen Aktionismus mit zeitlichem Abstand neu betrachten.
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Beuys. Die Biographie, von Hans Peter Riegel, Aufbau Verlag, Berlin. 2013
Beim Wort genommen. Joseph Beuys und der Natio⁄nalsozialismus, von Ron Manheim. Neofelis-Verlag, Berlin 2021
Weiterführend →
Joseph Beuys hat den Kunstbegriff erweitert. Auch der Literaturbegriff gehört erweitert. Bestand die Modernität des Aphorismus bisher in der Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist Twitteratur.
→ ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.