Sie hatten zusammen gesessen und sich die Fotos der letzten Wochen angeschaut, hatten über Objektive und Filter, Blenden und Belichtungszeiten, Komposition und Lichtarrangements gesprochen, dieses hier gelobt und jenes dort getadelt, gar verworfen oder auf das Übelste verdammt. Wie konnte man der vorne rechts stehenden Figur denn die linke Zehe abschneiden oder dort lediglich mit frontalem und damit völlig verflachendem Blitzlicht arbeiten, die farbliche Zusammenstellung war unglaublich fies oder im Gegenteil durch ihre starken Kontraste eben sehr gelungen. Alle paar Wochen ein munteres Treiben dieser jungen und strebsamen Fotografenzunft, alles werdende Künstler vor dem Herrn, Studenten, die Elite, innerer Kern, die Lieblinge des Professors, so eigenständige Adepten. Alle hatten sie eine große, eine rosige Zukunft vor sich und diese Fotos hier auf dieser Festplatte würden den Ruhm begründen. Alle Daten vereint, noch keine Sicherungskopie der heutigen Bearbeitungen gemacht, stieß man auf den letztlich doch in seiner Qualität gelungenen Wurf an. Irgendjemand hatte dazu den externen Massenspeicher sorgsam auf die mit treibender Musik rhythmisch pulsierende 250-Watt-Box gelegt, damit niemand versehentlich darauf treten würde.
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Unerhörte Möglichkeiten, von Herrn Nipp. Edition Das Labor 2012
Dieser short-short ist Teil der Reihe, die KUNO anläßlich der 10-jährigen Erscheinens der Kurznovellen Unerhörte Möglichkeiten präsentiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muß man keinen Falken mehr verzehren, um novellistisch tätig zu sein. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist Mikroblogging eine auflebende Form. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle zu Twitteratur ein. Der Band mit den Kurznovellen ist kein Künstlerbuch. Was aber, wenn plötzlich Originalholzschnitte auf dem Deckblatt zu finden, die Ameisengleich über das Titelblatt krabbeln?
Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus als bibliophile Kostbarkeit: Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421