Es gibt keinen Grund, der nicht einen ihm entgegenstehenden habe, sagt die weiseste Partei der Philosophen. Neulich sann ich diesem schönen Spruche nach, den einer der Alten für die Verachtung des Lebens anführt: kein Gut kann uns Vergnügen gewähren, es sei denn dasjenige, auf dessen Verlust wir vorbereitet sind: In aequo est dolor amissae rei, et timor amittendae; wodurch er erweisen wollte, daß der Genuß des Lebens nicht wirklich angenehm sein könne, wenn wir in Furcht stehen, es zu verlieren. Man könnte indessen gerade im Gegenteil sagen, daß wir das Gute um desto fester umfassen und mit unserer Seele daran hängen, um so ungewisser uns sein Besitz ist, und je mehr wir finden, daß es uns geraubt werde. Denn man fühlt es ganz deutlich, daß, wie das Feuer durch den Beistand der Kälte heftiger wird, auch unser Wollen durch Widerstand sich schärft.
Si nunquam Danaen habuisset ahenea turris,
Non esset Danae de Jove facta parens.
Und daß unserm Geschmacke natürlicherweise nichts so sehr entgegensteht als die Sattheit, welche aus der Leichtigkeit der Befriedigung entsteht; daß nichts ihn mehr reizt als die Seltenheit und Schwierigkeit. Omnium rerum voluptas ipso quo debet fugare, periculo crescit.
Galla, nega; satiatur amor, nisi gaudia torquent.
Um die eheliche Liebe in Atem zu erhalten, verordnete Lykurg, daß die verehelichten Lakedämonier sich nicht anders als verstohlnerweise begehen sollten und daß es gleich schimpflich sein solle, sie beide beieinander anzutreffen als mit einer fremden Person. Die Schwierigkeit, sich einander an einen sichern Ort zu bestellen, die Gefahr bei der Überraschung, die Gefahr des Schimpfs des folgenden Tages.
Et languor, et silentium,
… et latere petitus imo spiritus.
Das ist es, was die Brühe so lecker macht. Wie viele sehr üppig angenehme Spiele entstehen nicht aus der bescheidenen und schamhaften Art, über die Werke der Liebe zu sprechen. Die Wollust selbst sucht sich durch den Stachel der Schmerzen zu reizen; sie ist viel verzuckerter, wenn sie kocht und wenn sie durch die Haut brennt. Die Kebse Flora sagte, sie habe den Pompejus niemals umarmt, ohne daß er Zeichen von ihren Bissen davongetragen habe.
Quod petiere, premunt arcte, faciuntque dolorem
Corporis, et dentes inlidunt saepe labellis …
Et stimuli subsunt, qui instigant laedere id ipsum,
Quodcumque est, rabies unde illae germina surgunt.
So geht es mit allem. Schwierigkeiten geben den Dingen einen größern Wert. Die Einwohner der Mark Ancona tun ihr Gelübde lieber dem St. Jakob, und die Einwohner von Galizien unser lieben Frauen von Loretto. Zu Lüttich macht man ein großes Werk aus den Bädern zu Lucca und in Toskana von den Spawassern. Auf den Fechtböden zu Rom sieht man wenig Römer, dagegen sind sie voll von Franzosen. Der große Cato fand sich ebensogut wie wir von seiner Frau bis zum Ekel gesättigt, solange sie die seinige war, und begehrte ihrer, nachdem sie einem andern angehörte. Ich habe einen alten Hengst aus der Stuterei geworfen, mit dem in seinem Harem nichts mehr anzufangen war. Die Leichtigkeit bei seinen gewöhnlichen Stuten ließ ihn alsbald die Ohren hängen; gegen fremde aber, wenn nur eine an seinem Weideplatz vorbeiging, ließ er sich immer mit seinem schändlichen Wiehern hören und geriet in die wütendste Hitze wie vorher. Unser Gelüsten verachtet, was ihm zur Hand liegt, und fährt darüber hin, um demjenigen nachzuhaschen, was ihm schwer zu erreichen ist.
Transvolant in medio posita, et fugienta capta.
Uns etwas verbieten, heißt uns darnach lüstern machen.
Nisi tu servare puellam
Incipis, incipiet desinere esse mea.
Es uns völlig überlassen, heißt es uns verächtlich machen. Mangel und Überfluß tun ebendieselbe Wirkung.
Tibi quod superest, mihi quod defit, dolet.
Die Begierde und der Genuß sind uns beide drückend. Die strenge Sprödigkeit der Geliebten verursacht uns Verdruß; aber ihre Willigkeit und Nachgiebigkeit tut es, die Wahrheit zu sagen, noch mehr; weil die Unzufriedenheit und der Zorn aus der Hochachtung entspringen, in der bei uns die gewünschte Sache steht, und die Liebe schärfen und erhitzen; die Sättigung aber gebiert Ekel. Es ist eine stumpfe, abgenutzte, müde und schläfrige Leidenschaft.
Se qua volet reguare diu, contemnat amantem.
Contemnite, amantes:
Sic hodie veniet, si qua negavit heri.
Warum brauchte Poppäa die Erfindung, eine Larve vor ihr schönes Gesicht zu nehmen, als solchem bei ihren Liebhabern einen höhern Wert zu geben? Warum hat man bis über die Absätze diese Schönheiten verhüllt und verschleiert, welche jede zu zeigen wünscht, welche jeden gelüstet zu sehen. Warum verdecken sie mit so vielen Gewändern eins über das andere die Teile, die hauptsächlich der Gegenstand unserer Begierden und der ihrigen sind? Und wozu dienen diese großen Reifen, womit neulich unsre Weiber ihre Hüften bewaffnet haben, als unsre Begierden anzukörnen und uns dadurch anzuziehen, daß sie uns in der Ferne halten.
Et fugit ad salices, et se cupit ante videri.
Interdum tunica duxit operta moram.
Wozu dient diese jungfräuliche Verschämtheit? Diese ruhige Kälte, diese strengen Mienen, diese ausgekramte Unwissenheit in Dingen, die sie besser wissen als wir, die wir sie darin unterrichten? Wozu anders, als unsern Wunsch nach ihnen zu verstärken; als unser Verlangen zu erhitzen und ihm endlich alle diese Zeremonien und Schwierigkeiten aufzuopfern? Denn es ist nicht nur Vergnügen, sondern auch Ehre dabei, dieses sanfte Widerstreben, diese kindliche Schamhaftigkeit zu überwinden und zu verführen, und eine kalte und gestrenge Ehrbarkeit der Gnade und Ungnade unserer Begierden zu unterwerfen. Es ist eine Ehre, sagt man, über die Bescheidenheit, die Keuschheit und die Mäßigkeit zu triumphieren: und wer den Weibern rät, diese Sitten abzulegen, der wird an ihnen und an sich selbst zum Verräter. Man muß sich stellen, als glaubte man, ihr Herz zittere vor Schrecken; der Schall unserer Worte beleidige die Reinigkeit ihrer Ohren; daß sie uns hassen und unserm Ungestüm aus notgedrungener Not nachgeben. Die Schönheit, so mächtig sie ist, kann sich doch ohne diese Nebenhilfen nicht recht genießbar machen. Man sehe nur in Italien, wo die meiste und die feinste Schönheit käuflich ist, wie sehr sie nach fremden Mitteln und andern Künsten suchen muß, um sie angenehm zu machen; und bei dem allen bleibt sie dennoch, was sie auch tun mag, da es eine käufliche Ware ist, schwach und wenig gesucht, gradeso wie es selbst mit der Tugend unter zwei ähnlichen Wirkungen geht. Wir halten diejenige für die schönste und die würdigste, welche die meisten Schwierigkeiten und Gefahren zu überwinden hat. Es ist eine Wirkung der göttlichen Vorsehung, zuzulassen, daß ihre heilige Kirche beunruhigt werde, wie wir sie von so vielen Stürmen und Ungewittern beunruhigt sehen, um durch diesen Kampf die frommen Seelen zu erwecken und aus der Lässigkeit und Schläfrigkeit zu reißen, in welche sie eine so lange Ruhe versenkt hatte. Wenn wir den Verlust, den wir durch die Anzahl derjenigen erlitten haben, welche den Weg des Irrtums betreten, gegen den Gewinn aufwägen, der uns dadurch wird, daß es uns wieder in Atem setzt, unsern Eifer und unsere Kraft von neuem belebt, daß wir Anlaß zum Kampf haben, so weiß ich nicht, ob der Schaden so groß sei als der Nutzen. Wir haben geglaubt, das Band unserer Ehen fester zu knüpfen, dadurch, daß wir es ganz und gar unauflösbar machten; aber in eben dem Maß, wie der Zwang fest zugeschürzt hat, in eben dem Maß hat die Verknüpfung des Willens und der Neigung nachgelassen und ist schlaffer geworden. Und im Gegenteil, was in Rom die Ehen so lange Zeit in Ehren und Sicherheit erhielt, war die Freiheit, daß jeder, wer nur wollte, sich scheiden konnte. Sie hielten ihre Weiber besser, weil sie solche verlieren konnten, und bei aller uneingeschränkten Freiheit der Scheidung vergingen fünfhundert und mehr Jahre, ohne daß sich jemand derselben bediente.
Quod licet, ingratum est; quod non licet, acrius urit.
Zu dem Vorgesagten könnte man auch noch die Meinung eines Alten hinzufügen, daß die Todesstrafen die Verbrechen vielmehr häufen als verringern, daß sie nicht den Willen recht zu tun erzeugen (denn das ist das Werk der Vernunft und der Sittenlehre), sondern bloß die Behutsamkeit, sich nicht über den Übeltaten ertappen zu lassen.
Latius excisae pestis contagia serpunt.
Ich weiß nicht, ob diese Meinung ganz wahr sei, aber dies weiß ich aus Erfahrung, daß niemals eine Polizei dadurch verbessert worden. Ordnung und Regelmäßigkeit der Sitten hängt von ganz andern Mitteln ab.
Die griechischen Geschichtschreiber erwähnen der Argippäer, eines in der Nachbarschaft von Skythien wohnenden Volks, welche ohne Ruten und Stöcke zum Schlagen lebten, die sich nicht nur niemand getraute anzugreifen, sondern jeder, der sich zu ihnen flüchtete, war in völliger Freiheit, wegen ihrer Tugend und der Heiligkeit ihres Lebens. Keiner war so kühn, dagegen zu verstoßen. Man wandte sich an sie, um Zwistigkeiten auszugleichen, die anderwärts unter Menschen entstanden. Es gibt Nationen, wo die Befriedigung der Gärten und Felder, die man einschließen will, in einem gesponnenen Faden bestehet, die sich sicherer befinden und eingeschlossener als durch unsere Gräben und Hecken. Furem signata sollicitant … Aperta effractarius praeterit. Vielleicht dient auch unter andern die Leichtigkeit, in mein Haus zu kommen, dazu, es vor Gewalttätigkeiten in unsern bürgerlichen Kriegen zu sichern. Verteidigungsanstalten reizen das Unternehmen und Mißtrauen den Angriff. Ich habe das Vorhaben der Kriegsmächte dadurch geschwächt, daß ich ihnen die Schwierigkeiten aus den Augen rücke und zugleich die Gefahr und jeden andern Stoff zum militärischen Ruhm, der ihnen gewöhnlicherweise zur Entschuldigung und Rechtfertigung dient. Das, was mit Mut getan wird, führt in den Zeiten, wo die Gerechtigkeit so gut als tot ist, immer Ehre bei sich. Ich mache ihnen die Eroberung meines Hauses zur Niederträchtigkeit und Dieberei. Einem jeden, der anklopft, steht mein Haus offen. Zu meiner ganzen Beschützung habe ich nichts weiter als einen Türsteher nach altem Brauch und alter Sitte, welcher nicht sowohl dazu dient, meine Tür zu verteidigen, als sie freundlicher und anständiger zu eröffnen. Ich habe keine andere Haus- oder Schildwache, als welche die Sterne für mich stehen. Ein Landedelmann hat sehr unrecht zu tun, als ob er sich verteidigen wollte, wenn er sich nicht richtig verteidigen kann. Wer nur von einer Seite schutzlos ist, der ist es allenthalben. Unsere Vorväter hatten keinen Gedanken daran, Grenzfestungen zu bauen. Die Mittel anzugreifen, ich meine unsere Häuser ohne Batterien und Kanonen zu überraschen, werden von Tage zu Tage stärker als die Mittel, sich davor hüten. Die Menschen werden von jener Seite immer pfiffiger. Verheeren und verwüsten ist die Sache fast aller; Verteidigen und Beschirmen bloß die Sache der Wohlhabenden. Mein Landsitz war ziemlich befestigt für die Zeit, da er erbaut wurde; von dieser Seite habe ich nichts hinzugetan und würde fürchten, daß seine Haltbarkeit mir selbst zum Nachteil ausschlagen möchte. Dazu kommt noch, daß friedfertige Zeiten es notwendig machen könnten, die Verteidigungswerke zu vermindern. Es ist gefährlich, sie nicht wiederherstellen zu können, und unsicher, sich darauf zu verlassen. Denn in bürgerlichen Kriegen kann es unser Bedienter mit der Partei halten, die wir fürchten. Und wenn nun gar noch die Religion zum Vorwand dienet, da werden selbst Blutsverwandte unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit Menschen, denen man nicht sicher trauen kann. Der öffentliche Schatz erhält unsere Hausbesatzung nicht. Dadurch würde er völlig erschöpft werden. Wir können solche nicht erhalten, ohne zu verarmen, oder wenigstens mit größerer Beschwerde und Lasten, wenn das Volk nicht dazu beitrüge. Der Staat wird durch meinen Untergang nicht sonderlich viel leiden. Übrigens, wenn man dabei zugrunde geht, so halten sich unsre Freunde selbst mehr über unsere Unvorsichtigkeit und Unklugheit auf, als daß sie uns unsere Unwissenheit und die Vernachlässigung unserer Geschäfte beklagen sollten. Daß so viele bewachte Landsitze zerstört sind, wenn andere sich erhalten haben, läßt mich den Verdacht fassen, daß sie sich dadurch geschadet haben, daß sie bewacht waren. Das gibt die Lust und den Vorwand, sie anzugreifen. Alles Bewachen gibt einen Anschein vom Kriege: der mag auch mich überfallen, wenn Gott es will; so viel ist aber gewiß, daß ich ihn nicht herbeirufen werde. Durch meine Ruhe hoffe ich, vor dem Kriege sicher zu sein. Ich tue, was ich kann, um diesen Winkel vom öffentlichen Sturme zu entfernen, wie ich es mit einem andern Winkel in meiner Seele mache. Mag doch unser Krieg die Gestalt verwandeln, sich vermehren und in verschiedene Parteien verändern, ich meinesteils wanke nicht aus der Stelle. Unter so vielen Landsitzen, die sich bewaffnet haben, bin ich, soviel ich weiß, der einzige meines Standes, der sich, in Ansehung des Meinigen, einzig und allein auf den Schutz des Himmels verlassen hat. Ich habe nicht einmal weder mein Silberzeug noch meine Familienpapiere oder Tapeten in Sicherheit bringen lassen. Ich will mich weder halb fürchten noch halb mich retten. Wenn ein völliges Vertrauen den Schutz des Himmels erwirbt, so wird er mir bis ans Ende angedeihen, wo nicht, so bin ich lange genug dagewesen, um mein Dasein merk- und denkwürdig zu machen. Wieso? Nun, seit dreißig Jahren her.
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Anmerkung der Redaktion: Würde Michel de Montaigne im 21. Jahrhundert leben, so er wäre wahrscheinlich der beliebteste Blogger. Nicht nur in Frankreich. Wir kommen ihm näher, indem wir seine Essais lesen. Und zwar Wort für Wort. Oder wir nehmen einen charmanten Umweg und lesen Sarah Bakewells Wie soll ich leben?. Dies ist nicht nur der Titel ihrer ungewöhnlichen Biographie, sondern zeigt zugleicht die Methode an, mit der sich die Autorin dem Denken Montaignes nähert.
Weiterführend → Lesen Sie auch einen KUNO-Beitrag zu Gattung des Essays.