Wenn der griechische Schauspieler in der Komödie des Aristophanes dem Sokrates auf dem Schauplatze und der Weise ihm im Leben nachahmt so ist das Nachahmen von beiden so sehr verschieden, daß es nicht wohl mehr unter einer und ebenderselben Benennung begriffen werden kann: wir sagen daher, der Schauspieler parodierte den Sokrates, und der Weise ahmt ihm nach.
Dem Schauspieler war es freilich nicht darum zu tun, dem Sokrates im Ernst nachzuahmen, sondern vielmehr nur, das Eigentümliche desselben oder seine Individualität in Gang, Miene, Stellung und Gebärden auf eine gewisse übertriebne Art, wodurch sie bei dem Zuschauer lächerlich werden sollte, nachzubilden. Weil dies nun der Schauspieler mit Bewußtsein und gleichsam im Scherz tat, so sagen wir: er parodierte den Sokrates.
Wäre aber der Schauspieler, den wir hier vor uns sehen, nicht Schauspieler, sondern irgendeiner aus dem Volke, der dem Sokrates, welchem er sich innerlich schon ähnlich dünkte, nun auch im Äußern, in Gang, Stellung und Gebärden, im Ernst nachzuahmen suchte so würden wir von diesem Toren sagen: er äfft dem Sokrates nach, oder, er verhält sich zum Sokrates ohngefähr so, wie der Affe in seinen possierlichen Stellungen und Gebärden sich zum Menschen verhält.
Der Schauspieler also schließt den Weisen aus und parodiert nur den Sokrates, denn die Weisheit läßt sich nicht parodieren; der Weise schließt in seiner Nachahmung den Sokrates aus und ahmt in ihm nur den Weisen nach, denn die Individualität des Sokrates kann wohl parodiert und nachgeäfft, aber nie nachgeahmt werden. Der Tor hat keinen Sinn für die Weisheit und hat doch Nachahmungstrieb: er ergreift also, was ihm am nächsten liegt, äfft nach, um nicht nachahmen zu dürfen, trägt die ganze Oberfläche einer fremden Individualität auf die seinige über, und die Basis oder das Selbstgefühl dazu legt ihm seine Torheit unter.
Wir sehen also aus dem Sprachgebrauch, daß Nachahmen, im edlern moralischen Sinn, mit den Begriffen von nachstreben und wetteifern fast gleichbedeutend wird, weil die Tugend, welche ich z.B. in einem gewissen Vorbilde nachahme, etwas Allgemeines, über die Individualität Erhabenes ist, das von jedermann, der darnach strebt, und also auch von mir sowohl als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu wetteifern suche, erreicht werden kann. Weil ich aber diesem Vorbilde doch einmal nachstehe und ein gewisser Grad von edler Gesinnung und Handlungsweise mir ohne dasselbe vielleicht nicht so bald oder gar nie denkbar geworden wäre, so nenne ich mein Streben nach einem gemeinschaftlichen Gute, das auch von meinem Vorbilde erst mußte errungen werden, eine Nachahmung dieses Vorbildes.
Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich strebe ihm nach; ich suche mit ihm zu wetteifern. – Durch mein Vorbild ist mir bloß das Ziel höher als von mir selbst hinaufgesteckt. Nach diesem Ziele muß ich nun nach meinen Kräften, auf meine Weise streben, zuletzt mein Vorbild selbst vergessen und suchen, wenn es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu stecken.
Durch diese Gesinnung muß das Nachahmen im edlern moralischen Sinn erst seinen eigentlichen Wert erhalten. – Und es frägt sich nun, wie von diesem Nachahmen im moralischen Sinn das Nachahmen in den schönen Künsten oder von der Nachahmung des Guten und Edlen die Nachahmung des Schönen unterschieden sei.
Diese Frage muß sich alsdann von selbst beantworten, wenn wir die Begriffe von schön und gut, wiederum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterscheiden: denn daß dieser sie oft verwechselt, darf uns hier nicht kümmern, wo es beim Nachdenken über die Sache bloß aufs Unterscheiden ankömmt und notwendig so wie auf dem Globus gewisse feste Grenzlinien, die in der Natur selbst nicht stattfinden, gezogen werden müssen, wenn die Begriffe sich nicht wiederum ebenso wie ihre Gegenstände unmerklich ineinander verlieren und verschwimmen sollen: ein getreuerer Abdruck der Natur können sie in diesem letztern Falle sein, aber das eigentliche Denken, welches nun einmal im Unterscheiden besteht, hört auf.
Nun schließt sich aber im Sprachgebrauch das Gute und Nützliche so wie das Edle und Schöne natürlich aneinander; und diese vier verschiednen Ausdrücke bezeichnen eine so feine Abstufung der Begriffe und bilden ein so zartes Ideenspiel, daß es dem Nachdenken schwer werden muß, das immer ineinander sich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinanderzuhalten und es einzeln und abgesondert zu betrachten. Soviel fällt demohngeachtet deutlich in die Augen, daß das bloß Nützliche dem Schönen und Edlen mehr als das Gute entgegenstehe, weil durch das Gute vom bloß Nützlichen zum Schönen und Edlen schon der Übergang gemacht wird.
Wir denken uns z.B. unter einem nützlichen Menschen einen solchen, der nicht sowohl an und für sich selbst als vielmehr nur in Beziehung auf irgendeinen Zusammenhang von Dingen außer ihm unsre Aufmerksamkeit verdienet: der gute Mensch hingegen fängt schon, an und für sich selbst betrachtet, an, unsre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und unsre Liebe zu gewinnen; insofern wir uns nämlich denken, daß er seinem innern Fonds von Güte nach uns nie durch Eigennutz und Selbstsucht schaden, in den Zusammenhang von Dingen, worin wir uns befinden, nicht leicht disharmonisch eingreifen, kurz, unsern Frieden nicht stören wird. – Der edle Mensch aber zieht für sich ganz allein unsre ganze Aufmerksamkeit und Bewundrung auf sich, ohne alle Rücksicht auf irgend etwas außer ihm oder auf irgendeinen Vorteil, der uns für unsre eigne Person aus seinem Dasein erwachsen könnte.
Und weil nun der edle Mensch, um edel zu sein, der körperlichen Schönheit nicht bedarf, so scheiden sich hier wiederum die Begriffe von schön und edel, indem durch das letztre die innre Seelenschönheit, im Gegensatz gegen die Schönheit auf der Oberfläche, bezeichnet wird. Insofern nun aber die äußre Schönheit zugleich mit ein Abdruck der innern Seelenschönheit ist, faßt sie auch das Edle in sich und sollte es ihrer Natur nach eigentlich stets in sich fassen. Hiedurch hebt sich aber demohageachtet der Unterschied zwischen schön und edel nicht wieder auf. Denn unter einer edlen Stellung denken wir uns z.B. eine solche, die zugleich eine gewisse innere Seelenwürde bezeichnet: irgendeine leidenschaftliche Stellung aber kann demohngeachtet immer noch eine schöne Stellung sein, wenngleich nicht eine solche innere Seelenwürde ausdrücklich dadurch bezeichnet wird; nur darf sie einem gewissen Grade von innerer Würde nie geradezu widersprechen, sie darf nie unedel sein.
Hieraus erklärt sich nun zugleich beiläufig der Begriff vom edlen Stil in Kunstwerken jeder Art, welcher kein andrer ist als derjenige, der zugleich mit eine innre Seelenwürde des hervorbringenden Genies bezeichnet. Ob nun gleich dieser edle Stil die andern untergeordneten Arten des Schönen nicht vom Gebiet des Schönen ausschließt, so schneidet er doch alles, was ihm geradezu entgegensteht, davon ab; er schließt das Unedle aus.
Insofern nun unter dem Edlen, im Gegensatz gegen das äußre Schöne, bloß die innre Seelenschönheit verstanden wird, können wir es auch so wie das Gute in uns selbst nachbilden. – Das Schöne aber, insofern es sich dadurch vom Edlen unterscheidet, daß, im Gegensatz gegen das innre, bloß das äußre Schöne darunter verstanden wird, kann durch die Nachahmung nicht in uns herein-, sondern muß, wenn es von uns nachgeahmt werden soll, notwendig wieder aus uns herausgebildet werden.
Der bildende Künstler kann z.B. die innre Seelenschönheit eines Mannes, den er sich in seinem Wandel zum Vorbilde nimmt, ihm nachahmend in sich übertragen. Wenn aber ebendieser Künstler sich gedrungen fühlte, die innre Seelenschönheit seines Vorbildes, insofern sie sich in dessen Gesichtszügen abdrückt, nachzuahmen, so müßte er seinen Begriff davon notwendig aus sich herauszubilden und außer sich darzustellen suchen, indem er nämlich diese Gesichtszüge nicht geradezu nachbildete, sondern sie gleichsam nur zu Hülfe nähme, um die in sich empfundne Seelenschönheit eines fremden Wesens auch außer sich wieder darzustellen.
Die eigentliche Nachahmung des Schönen unterscheidet sich also zuerst von der moralischen Nachahmung des Guten und Edlen dadurch, daß sie, ihrer Natur nach, streben muß, nicht wie diese in sich hinein-, sondern aus sich herauszubilden.
Wenden wir nun die Begriffe von gut, schön und edel wiederum auf den Begriff von Handlung an, so denken wir uns unter einer guten Handlung eine solche, die nicht allein um ihrer Folgen, sondern zugleich um ihrer Beweggründe willen unsre Aufmerksamkeit erregen und unsern Beifall verdienen kann; bei der Schätzung einer edlen Handlung vergessen wir ganz die Folge, und sie scheinet uns allein schon um ihrer Beweggründe, das ist um ihrer selbst willen, unsrer Bewundrung wert. Betrachten wir nun eine solche Handlung nach ihrer Oberfläche, von der sie einen sanften Schein in unsre Seele wirft, oder nach der angenehmen Empfindung, die ihre bloße Betrachtung in uns erweckt, so nennen wir sie eine schöne Handlung; wollen wir aber ihren innern Wert ausdrücken, so nennen wir sie edel. Jede schöne Handlung aber muß notwendig auch edel sein: das Edle ist bei ihr die Basis oder der Fonds des Schönen, durch welches sie in unser Auge leuchtet. Durch den Mittelbegriff des Edeln also wird der Begriff des Schönen wieder zum Moralischen hinübergezogen und gleichsam daran festgekettet. Wenigstens werden dem Schönen dadurch die Grenzen vorgeschrieben, die es nicht überschreiten darf.
Da wir nun einmal genötigt sind, uns den Begriff von der Nachahmung des eigentlichen Schönen, den wir nicht haben, aus dem Begriff von der moralischen Nachahmung des Guten und Edlen, den wir haben, zu entwickeln, und da wir uns die eigentliche Nachahmung des Schönen, außer dem Genuß der Werke selbst die dadurch entstanden sind gar nicht anders denken können, als insofern sie sich von der bloß moralischen Nachahmung des Guten und Edlen unterscheidet, so müssen wir nun schon die Begriffe von nützlich, gut, schön und edel noch weiter in ihre feinern Abstufungen zu verfolgen suchen.
Dadurch also, daß z.B. die Tat des Mucius Scaevola erwünschte Folgen hatte, wurde sie nicht im geringsten edler, als sie war und würde auch ohne den Erfolg von ihrem innern Wert nichts verloren haben: sie brauchte nicht nützlich zu sein, um edel zu sein, bedurfte des Erfolges nicht, eben weil sie ihren innern Wert in sich selber hatte; und wodurch anders hatte sie diesen Wert als durch sich selbst, [durch ihre Entstehung,] durch ihr Dasein?
Das Edle und Große der Handlung lag ja eben darin, daß der junge Held, auf jeden Erfolg gefaßt, das Alleräußerste wagte und, da es ihm mißlang, ohne Bedenken seine Hand in die lodernde Flamme streckte, ohne noch zu wissen, was sein Feind, in dessen Gewalt er war, über ihn verhängen würde. – So kann nur der handeln, welcher eine große Tat, deren Erfolg so äußerst ungewiß ist, um dieser Tat selbst willen unternimmt, wovon allein schon das große Bewußtsein ihn für jeden mißlungnen Versuch schadlos hält.
Wäre Mucius unter andern Umständen bloß das Werkzeug eines andern, dem er aus Pflicht gehorchte, zu einer ähnlichen Tat gewesen und hätte sie mit Beistimmung seines Herzens vortrefflich und so, wie er sollte, ausgeführt, so hätte er zwar noch nicht [im eigentlichen Sinne] edel, aber [sehr] gut gehandelt: denn obgleich seine Handlung auch schon vielen Wert in sich selber hat, so wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Erfolg bestimmt.
Hätte aber ebendieser Mucius den Angriff auf den Feind seines Vaterlandes meuchelmörderischerweise aus Privatrache und persönlichem Haß getan und sie wäre ihm nicht mißlungen, so hätte sie seinem Vaterlande, ohne gut und edel zu sein, dennoch genützt und hätte, ohne den mindesten innern Wert zu haben, dennoch durch den Erfolg eine Art von äußrem Wert erhalten.
Wie nun das Gute zum Edlen, ebenso muß das Schlechte zum Unedlen sich verhalten: das Unedle ist der Anfang des Schlechten, so wie das Gute der Anfang des Schönen und Edlen ist; und so wie eine bloß gute noch keine edle, so ist eine bloß unedle deswegen noch keine schlechte Handlung. Und wie das Nützliche zum Guten, ebenso verhält wiederum das Unnütze sich zum Schlechten; das Schlechte ist gleichsam der Anfang des Unnützen, so wie das Nützliche schon der Anfang des Guten ist. Wie das bloß Nützliche deswegen noch nicht gut ist, so ist auch das bloß Schlechte deswegen noch nicht unnütz.
Nun steigen die Begriffe von unedel, schlecht und unnütz ebenso herab, wie die Begriffe von nützlich, gut und schön heraufsteigen. Von den heraufsteigenden Begriffen steht das Edle und Schöne auf der [höchsten so wie von den herabsteigenden das Unnütze auf der] niedrigsten Stufe. Von allen diesen Begriffen nun stehen der vom Schönen und der vom Unnützen am weitesten voneinander ab und scheinen sich am stärksten entgegengesetzt zu sein, da wir doch vorher gesehen haben, daß das Schöne und Edle sich eben dadurch vom Guten unterscheidet, daß es nicht nützlich sein darf, um schön zu sein, und also der Begriff vom Schönen mit dem Begriff vom Unnützen oder nicht Nützlichen sehr wohl müßte zusammen bestehen können.
Hier zeigt es sich nun, wie ein Zirkel von Begriffen zuletzt sich wieder in sich selbst verliert, indem seine beiden äußersten Enden gerade da wieder zusammenstoßen, wo, wenn sie nicht zusammenstießen, von einem zum andern der weiteste Weg sein würde.
Der Begriff vom Unnützen nämlich, insofern es gar keinen Zweck keine Absicht außer sich hat, warum es da ist, schließt sich am willigsten und nächsten an den Begriff des Schönen an, insofern dasselbe auch keines Endzwecks, keiner Absicht warum es da ist, außer sich bedarf, sondern seinen ganzen Wert und den Endzweck seines Daseins in sich selber hat.
Insofern aber nun das Unnütze nicht zugleich auch schön ist fällt es auf einmal wieder am allerweitesten vom Begriff des Schönen bis unter das Schlechte hinab, weil es nun weder in sich noch außer sich eine Absicht hat, warum es da ist, und sich also gleichsam selbst aufhebt. Ist aber das Unnütze oder dasjenige, was außer sich keinen Endzweck seines Daseins hat, [warum es da ist,] zugleich auch schön so steigt es plötzlich auf die höchste Stufe der Begriffe bis über das Nützliche und Gute empor indem es eben deswegen keines Endzwecks außer sich bedarf weil es in sich so vollkommen ist, daß es den ganzen Endzweck seines Daseins in sich selbst hat.
Die drei aufsteigenden Begriffe von nützlich, gut und schön und die drei absteigenden von unedel, schlecht und unnütz bilden also aus dem Grunde einen Zirkel, weil die beiden äußersten Begriffe vom Unnützen und vom Schönen sich gerade am wenigsten einander ausschließen und der Begriff des Unnützen von dem einen für den Begriff des Schönen von dem andern Ende gleichsam die Fuge wird in die es sich am leichtesten hineinstehlen und unmerklich sich darin verlieren kann.
Steigen wir nun die Leiter der Begriffe herab, so verträgt sich schön und edel zwar mit unnütz, aber nicht mit schlecht und unedel; gut verträgt sich mit unedel, aber nicht mit schlecht und unnütz; nützlich mit schlecht und unedel, aber nicht mit unnütz; unedel mit gut und nützlich, aber nicht mit schön; schlecht mit nützlich, aber nicht mit schön und gut; unnütz mit schön, aber nicht mit gut und nützlich. – Die Begriffe müssen sich immer gerade da wieder entgegenkommen, wo sie am weitesten voneinander abzuweichen und sich zu verlassen scheinen.
Allein wir dürfen itzt dies Ideenspiel nur so weit verfolgen, als es unserm Zweck uns näherführt, unsre Vorstellung von der Nachahmung des Schönen durch den Begriff des Schönen aufzuhellen. Nun kann aber nur die Vorstellung von dem, was das Schöne nicht zu sein braucht, um schön zu sein, und was als überflüssig davon betrachtet werden muß, uns auf einen nicht unrichtigen Begriff des Schönen führen, indem wir uns alles, was nicht dazugehört um dasselbe her hinweg und also wenigstens den wahren Umriß des leeren Raumes denken wohinein das von uns Gesuchte wenn es positiv von uns gedacht werden könnte, notwendig passen müßte.
Da nun aus der vorhergegangenen Nebeneinanderstellung klar ist, daß die Begriffe von schön und unnütz nicht nur einander nicht ausschließen, sondern sogar sich willig ineinanderfügen so muß das Nützliche offenbar an dem Schönen als überflüssig und wenn es sich daran befindet, doch als zufällig und als nicht dazugehörig betrachtet werden, weil die wahre Schönheit, ebenso wie das Edle in der Handlung, durch das Nützliche dabei weder vermehrt noch durch den Mangel desselben auf irgendeine Weise vermindert werden kann.
Wir können also das Schöne im allgemeinen auf keine andre Weise erkennen als insofern wir es dem Nützlichen entgegenstellen und es davon so scharf wie möglich unterscheiden. Eine Sache wird nämlich dadurch noch nicht schön daß sie nicht nützlich ist sondern dadurch, daß sie nicht nützlich zu sein braucht. Um nun aber die Frage zu beantworten, wie denn eine Sache beschaffen sein müsse, damit sie nicht nützlich zu sein brauche müssen wir wiederum erst den Begriff des Nützlichen noch mehr zu entwickeln suchen.
Unter Nutzen denken wir uns nämlich die Beziehung eines Dinges als Teil betrachtet, auf einen Zusammenhang von Dingen, den wir uns als ein Ganzes denken. Diese Beziehung muß nämlich von der Art sein, daß der Zusammenhang des Ganzen beständig dadurch gewinnt und erhalten wird: je mehrere solcher Beziehungen nun eine Sache auf den Zusammenhang, worin sie sich befindet, hat um desto nützlicher ist dieselbe.
Jeder Teil eines Ganzen muß auf die Weise mehr oder weniger Beziehung auf das Ganze selbst haben: das Ganze, als Ganzes betrachtet, hingegen braucht weiter keine Beziehung auf irgend etwas außer sich zu haben. So muß jeder Bürger eines Staats eine gewisse Beziehung auf den Staat haben oder dem Staate nützlich sein; der Staat selbst aber braucht, insofern er in sich allein ein Ganzes bildet weiter keine Beziehung auf irgend etwas außer sich zu haben und braucht also auch nicht weiter nützlich zu sein.
Hieraus sehen wir also daß eine Sache um nicht nützlich sein zu dürfen notwendig ein für sich bestehendes Ganze sein müsse und daß also mit dem Begriff des Schönen der Begriff von einem für sich bestehenden Ganzen unzertrennlich verknüpft ist. – Daß aber dies demohngeachtet noch nicht zum Begriff des Schönen hinreicht sehen wir daraus weil wir z.B. mit dem Begriff vom Staat ob derselbe gleich ein für sich bestehendes Ganze ist dennoch den Begriff der Schönheit nicht wohl verknüpfen können, indem derselbe in seinem ganzen Umfange weder in unsern äußern Sinn fällt noch von der Einbildungskraft umfaßt, sondern bloß von unserm Verstande gedacht werden kann.
Aus ebendem Grunde können wir auch mit dem ganzen Zusammenhange der Dinge den Begriff von Schönheit nicht eigentlich verknüpfen, eben weil dieser Zusammenhang in seinem ganzen Umfange weder in unsre Sinnen fällt noch von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden kann, gesetzt daß er auch von unserm Verstande gedacht werden könnte.
Zu dem Begriff des Schönen, welcher uns daraus entsprungen ist, daß es nicht nützlich zu sein braucht, gehört also noch, daß es nicht nur oder nicht sowohl ein für sich bestehendes Ganze wirklich sei, als vielmehr nur wie ein für sich bestehendes Ganze in unsre Sinne fallen oder von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden könne.
Und so wie nun das Nützliche seine Grade hat, ebenso muß sie auch das Schöne haben: je mehr Zusammenhang befördernde Beziehungen nämlich eine nützliche Sache auf den Zusammenhang, worin sie sich befindet, hat, um desto nützlicher ist sie; und je mehrere solcher Beziehungen eine schöne Sache von ihren einzelnen Teilen zu ihrem Zusammenhange, das ist zu sich selber, hat, um desto schöner ist sie.
So wie nun das Schöne unbeschadet seiner Schönheit auch nützen kann, ob es gleich nicht um zu nützen da ist, so kann das Nützliche auch unbeschadet seines Nutzens in einem gewissen Grade schön sein, ob es gleich nur um zu nutzen da ist.
Allein es darf die Linie um kein Haarbreit überschreiten; sobald der Zweck des Nützlichen, wozu es da ist, unter der angemaßten Schönheit leidet, bleibt es weder schön noch nützlich mehr, sinkt unter sich selbst herab und hebt sich selber auf.
Wenn das Schöne sich an dem Nützlichen befindet, muß es sich auch dem Nützlichen unterordnen – es ist nicht um sein selbst willen da – es dient, das Nützliche aufzuschmücken – steigt also selbst zum Nützlichen herab und fließt mit ihm zusammen. – Es gibt seine Ansprüche mit seinem Namen auf, tritt in gemessene Schranken, wird zur bescheidnen Zierde, zur simplen Eleganz.
Aus der höchsten Mischung des Schönen mit dem Edlen, da, wo das äußere Schöne ganz in Ausdruck innrer Würde und Hoheit übergeht, erwächst der Begriff des Majestätischen. – Denken wir uns das Majestätische belebt, so muß es die Welt beherrschen, der Dinge Zusammenhang in sich fassen; der Erdkreis muß vor ihm sich beugen.
Wenn wir das Edle in Handlung und Gesinnung mit dem Unedlen messen, so nennen wir das Edle groß, das Unedle klein. – Und messen wir wieder das Große Edle und Schöne nach der Höhe, in der es über uns, unsrer Fassungskraft kaum noch erreichbar ist, so geht der Begriff des Schönen in den Begriff des Erhabnen über.
Insofern aber nun in einem schönen Werke die mannigfaltigen Beziehungen der einzelnen Teile zum Ganzen nicht nur oder nicht sowohl von unserm Verstande gedacht werden, als vielmehr nur in unsern äußren Sinn fallen oder von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden müssen, insofern schreiben unsre Empfindungswerkzeuge dem Schönen wieder sein Maß vor.
Sonst würde freilich der Zusammenhang der ganzen Natur, welcher zu sich selber, als zu dem größten uns denkbaren Ganzen, die meisten Beziehungen in sich faßt, auch für uns das höchste Schöne sein, wenn derselbe nur einen Augenblick von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden könnte.
Denn dieser große Zusammenhang der Dinge ist doch eigentlich das einzige, wahre Ganze; jedes einzelne Ganze in ihm ist wegen der unauflöslichen Verkettung der Dinge nur eingebildet – aber auch selbst dies Eingebildete muß sich dennoch als Ganzes betrachtet, jenem großen Ganzen in unsrer Vorstellung ähnlich und nach eben den ewigen, festen Regeln bilden, nach welchen dieses sich von allen Seiten auf seinen Mittelpunkt stützt und auf seinem eignen Dasein ruht.
Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im großen Ganzen der Natur, welche das noch mittelbar durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft, was unmittelbar nicht in ihren großen Plan gehörte.
Wem also von der Natur selbst der Sinn für ihre Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen und das Maß des Schönen in Aug und Seele gedrückt ward, der begnügt sich nicht, sie anzuschauen; er muß ihr nachahmen, ihr nachstreben, in ihrer geheimen Werkstatt sie belauschen und mit der lodernden Flamm im Busen bilden und schaffen, so wie sie:
Indem seine glühende Spähungskraft in das Innre der Wesen dringt, bis auf den Quell der Schönheit selbst, die feinsten Fugen löset und, auf der Oberfläche sie schöner wieder fügend, ihre edle Spur in weichen Ton eindrückt, in harten Stein sie bildet oder auf flachem Grunde mit trennender Spitze die Gestalt aus ihren Umgebungen sondert, durch kühnen Farbenanstrich die Masse selbst nachahmt und durch Mischung von Licht und Schatten die Fläche dem Auge entgegenrückt.
Die Realität muß unter der Hand des bildenden Künstlers zur Erscheinung werden, indem seine durch den Stoff gehemmte Bildungskraft von innen und seine bildende Hand von außen auf der Oberfläche der leblosen Masse zusammentreffen und auf diese Oberfläche nun alles das hinübertragen, was sonst größtenteils vor unsern Augen sich in die Hülle der Existenz verbirgt, die durch sich selbst schon jede Erscheinung aufwiegt.
Von dem reellen und vollendeten Schönen also, was unmittelbar sich selten entwickeln kann, schuf die Natur doch mittelbar den Widerschein durch Wesen, in denen sich ihr Bild so lebhaft abdrückte, daß es sich ihr selber in ihre eigene Schöpfung wieder entgegenwarf. – Und so brachte sie, durch diesen verdoppelten Widerschein sich in sich selber spiegelnd, über ihrer Realität schwebend und gaukelnd, ein Blendwerk hervor, das für ein sterbliches Auge noch reizender als sie selber ist.
Und obgleich auch der Mensch an seinem Platze in der Reihe der Dinge so beschränkt wie möglich ist, damit über ihm und unter ihm sich noch so viele verschiedne Arten des Daseins, wie nur möglich sind, drängen mögen, so gab ihm dennoch die Natur damit er in seiner Art so vollkommen wie möglich sei, außer dem Genuß noch Bildungskraft, ließ ihn mit sich selbst wetteifern und sich von ihm, damit keine Kraft in ihm unentwickelt bliebe, sogar dem Scheine nach übertreffen.
Der Sinn aber für das höchste Schöne in dem harmonischen Bau des Ganzen, das die vorstellende Kraft des Menschen nicht umfaßt, liegt unmittelbar in der Tatkraft selbst, die nicht ehr ruhen kann, bis sie das, was in ihr schlummert, wenigstens irgendeiner der vorstellenden Kräfte genähert hat. – Sie greift daher in der Dinge Zusammenhang, und was sie faßt, will sie der Natur selbst ähnlich, zu einem eigenmächtig für sich bestehenden Ganzen bilden. – Die Realität der Dinge, deren Wesen und Wirklichkeit eben in ihrer Einzelnheit besteht, widerstrebt ihr lange, bis sie das innre Wesen, in die Erscheinung aufgelöst, sich zu eigen macht und eine eigne Welt sich schafft, worin gar nichts Einzelnes mehr stattfindet, sondern jedes Ding in seiner Art ein für sich bestehendes Ganze ist.
Die Natur konnte aber den Sinn für das höchste Schöne nur in die Tatkraft pflanzen und durch dieselbe erst mittelbar einen Abdruck dieses höchsten Schönen der Einbildungskraft faßbar, dem Auge sichtbar, dem Ohre hörbar machen, weil der Horizont der Tatkraft mehr umfaßt, als der äußre Sinn und Einbildungs- und Denkkraft fassen kann.
In der Tatkraft liegen nämlich stets die Anlässe und Anfänge zu so vielen Begriffen, als die Denkkraft nicht auf einmal einander unterordnen, die Einbildungskraft nicht auf einmal nebeneinanderstellen und der äußre Sinn noch weniger auf einmal in der Wirklichkeit außer sich fassen kann.
Die Denkkraft muß sich, um dem, was die tätige Kraft in dunkler Ahndung auf einmal faßt, nachzukommen, so oft wiederholen, bis sie den ganzen Fonds von Anfängen und Anlässen zu Begriffen, der in der Tatkraft ihr unterliegt, erschöpft hat und alsdann den Kreislauf von neuem beginnen kann. – Die Einbildungskraft muß noch weit öfter sich wiederholen, weil sie nicht ineinander-, sondern nebeneinanderstellend jedesmal um so weniger fassen kann. – Der äußre Sinn ist ein immerwährendes Wiederholen seiner selbst, weil er jedesmal nur so viel faßt, als in dem Horizonte, der undurchdringlich ihn umschließt, wirklich nebeneinandersteht. – So wenig faßt der äußre Sinn, daß, um dem reichen Fonds von Anlässen zu Begriffen, die in der Tatkraft schlummern, nachzukommen und alle zum Anschaun und zur Wirklichkeit zu bringen, kein Leben hinreicht und, solange wir atmen, das Auge sich nimmer satt sieht, das Ohr sich nimmer satt hört.
Je lebhafter spiegelnd nun das Organ von der dunkelahndenden Tatkraft, durch die unterscheidende Denkkraft [und die darstellende Einbildungskraft,] bis zu dem hellsehenden Auge und [dem] deutlich vernehmenden Ohre wird, um desto vollständiger und lebendiger werden zwar die Begriffe, aber um desto mehr verdrängen sie sich auch und schließen einander aus. – Wo sie sich also am wenigsten einander ausschließen und ihrer am meisten nebeneinander bestehen können, das kann nur da sein, wo sie am unvollständigsten sind, wo bloß ihre Anfänge oder ersten Anlässe zusammentreffen, die eben durch ihr Mangelhaftes und Unvollständiges in sich selber den immerwährenden, unwiderstehlichen Reiz bilden, der sie zur vollständigen Wirklichkeit bringt.
Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber sein: das heißt, die Organisation muß so fein gewebt sein und so unendlich viele Berührungspunkte der allumströmenden Natur darbieten, daß gleichsam die äußersten Enden von allen Verhältnissen der Natur im Großen, hier im Kleinen sich nebeneinanderstellend, Raum genug haben, um sich einander nicht verdrängen zu dürfen.
Wenn nun eine Organisation von diesem feinern Gewebe bei ihrer völligen Entwicklung auf einmal in der dunklen Ahndung ihrer tätigen Kraft ein Ganzes faßt, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr, weder in ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken kam, so muß notwendig eine Unruhe, ein Mißverhältnis zwischen den sich wägenden Kräften so lange entstehen, bis sie wieder in ihr Gleichgewicht kommen.
Bei einer Seele deren bloß tätige Kraft schon das edle, große Ganze der Natur in dunkler Ahndung faßt, kann die deutlich erkennende Denkkraft, die noch lebhafter darstellende Einbildungskraft und der am hellsten spiegelnde äußre Sinn mit der Betrachtung des Einzelnen im Zusammenhange der Natur sich nicht mehr begnügen.
Alle die in der tätigen Kraft bloß dunkel geahndeten Verhältnisse jenes großen Ganzen müssen notwendig auf irgendeine Weise entweder sichtbar, hörbar oder doch der Einbildungskraft faßbar werden: und um dies zu werden, muß die Tatkraft, worin sie schlummern, sie nach sich selber, aus sich selber bilden. – Sie muß alle jenen Verhältnisse des großen Ganzen, und in ihnen das höchste Schöne, wie an den Spitzen seiner Strahlen in einen Brennpunkt fassen. – Aus diesem Brennpunkte muß sich, nach des Auges gemessener Weite, ein zartes und doch getreues Bild des höchsten Schönen ründen, das die vollkommensten Verhältnisse des großen Ganzen der Natur ebenso wahr und richtig wie sie selbst in seinen kleinen Umfang faßt.
Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen notwendig an etwas haften muß, so wählt die bildende Kraft, durch ihre Individualität bestimmt, irgendeinen sichtbaren, hörbaren oder doch der Einbildungskraft faßbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen im verjüngenden Maßstäbe überträgt. – Und weil dieser Gegenstand wiederum, wenn er wirklich [das], was er darstellt, wäre [durch seine Bildung zu einem für sich bestehenden Ganzen], mit dem Zusammenhange der Natur, die außer sich selber kein wirklich eigenmächtiges Ganze duldet, nicht ferner bestehen könnte, so führet uns dies auf den Punkt, wo wir schon einmal waren: daß jedesmal das innre Wesen erst in die Erscheinung sich verwandeln müsse, ehe es durch die Kunst zu einem für sich bestehenden Ganzen gebildet werden und ungehindert die Verhältnisse des großen Ganzen der Natur in ihrem völligen Umfange spiegeln kann.
Da nun aber jene großen Verhältnisse, in deren völligem Umfange eben das Schöne liegt, nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen, so kann auch der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des Schönen nur im Gefühl der tätigen Kraft, die es hervorbringt, im ersten Augenblick der Entstehung stattfinden, wo das Werk, als schon vollendet, durch alle Grade seines allmählichen Werdens in dunkler Ahndung auf einmal vor die Seele tritt und in diesem Moment der ersten Erzeugung gleichsam vor seinem wirklichen Dasein da ist; wodurch alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher das schaffende Genie zur immerwährenden Bildung treibt.
Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung des Schönen, mit dem reinen Genuß der schönen Kunstwerke selbst vereint, kann zwar etwas jenem lebendigen Begriff Näherkommendes uns entstehn, das den Genuß der schönen Kunstwerke uns erhöht. – Allein da unser höchster Genuß des Schönen dennoch sein Werden aus unsrer eignen Kraft unmöglich mit in sich fassen kann – so bleibt der einzige höchste Genuß desselben immer dem schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber; und das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck in seiner Entstehung, in seinem Werden schon erreicht: unser Nachgenuß desselben ist nur eine Folge seines Daseins – und das bildende Genie ist daher im großen Plane der Natur zuerst um sein selbst und dann erst um unsertwillen da, weil es nun einmal außer ihm noch Wesen gibt, die selbst nicht schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es einmal hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft umfassen können.
Die Natur des Schönen besteht ja eben darin, daß sein innres Wesen außer den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem eignen Werden liegt. Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen nicht mehr fragen kann, warum es schön sei, ist es schön. – Denn es mangelt ja der Denkkraft völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach sie das Schöne beurteilen und betrachten könnte. Was gibt es noch für einen Vergleichungspunkt für das echte Schöne als mit dem Inbegriff aller harmonischen Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, die keine Denkkraft umfassen kann? Alles einzelne hin und her in der Natur zerstreute Schöne ist ja nur insofern schön, als sich dieser Inbegriff aller Verhältnisse jenes großen Ganzen mehr oder weniger darin offenbart. – Es kann also nie zum Vergleichungspunkte für das Schöne der bildenden Künste, ebensowenig als der wahren Nachahmung des Schönen zum Vorbilde dienen, weil das höchste Schöne im Einzelnen der Natur immer noch nicht schön genug für die stolze Nachahmung der großen und majestätischen Verhältnisse des allumfassenden Ganzen der Natur ist. – Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muß hervorgebracht – oder empfunden werden.
Denn weil in gänzlicher Ermanglung eines Vergleichungspunktes einmal das Schöne kein Gegenstand der Denkkraft ist, so würden wir, insofern wir es nicht selbst hervorbringen können, auch seines Genusses ganz entbehren müssen, indem wir uns nie an etwas halten könnten, dem das Schöne[re] näherkäme als das Minderschöne – wenn nicht etwas die Stelle der hervorbringenden Kraft in uns ersetzte, das ihr so nahe wie möglich kömmt, ohne doch sie selbst zu sein – dies ist nun, was wir Geschmack oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die, wenn sie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des höhern Genusses bei der Hervorbringung des Schönen durch die ungestörte Ruhe der stillen Betrachtung ersetzen kann.
Wenn nämlich das Organ nicht fein genug gewebt ist, um dem einströmenden Ganzen der Natur so viele Berührungspunkte darzubieten, als nötig sind, um alle ihre großen Verhältnisse vollständig im Kleinen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völligen Schluß des Zirkels fehlt, so können wir statt der Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schöne haben: jeder Versuch, es außer uns wieder darzustellen, würde uns mißlingen und uns desto unzufriedener mit uns selber machen, je näher unser Empfindungsvermögen für das Schöne an das uns mangelnde Bildungsvermögen grenzt.
Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt soviel als tausend, denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in welche sie gehören. – Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt, so verlohnt ein Werk der Kunst der Mühe des Anfangs und der Zeit seines Werdens nicht; es fällt unter das Schlechte bis zum Unnützen herab, und sein Dasein muß notwendig durch die Vergessenheit, worin es sinkt, sich wieder aufheben.
Ebenso schadet auch dem in das feinere Gewebe der Organisation gepflanzten [unvollendeten] Bildungsvermögen der letzte zu seiner Vollständigkeit fehlende Punkt soviel als tausend. – Der höchste Wert, den es als Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm als Bildungskraft ebensowenig wie der geringste in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfindungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muß es notwendig unter sich selber sinken, sich aufheben und vernichten.
Je vollkommner das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf die Weise durch tausend mißlungne Versuche seinen Frieden mit sich selbst zu stören.
Es blickt z.B. beim Genuß des Schönen in irgendeinem Werke der Kunst zugleich durch das Werden desselben in die bildende Kraft, die es schuf, hindurch und ahndet dunkel den höhern Grad des Genusses eben dieses Schönen im Gefühl der Kraft, die mächtig genug war, es aus sich selbst hervorzubringen.
Um sich nun diesen höhern Grad des Genusses welchen sie an einem Werke, das einmal schon da ist unmöglich haben kann auch zu verschaffen, strebt die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung vergebens etwas Ähnliches aus sich selbst hervorzubringen, haßt ihr eignes Werk, verwirft es und verleidet sich zugleich den Genuß alle des Schönen, das außer ihr schon da ist und woran sie nun eben deswegen, weil es ohne ihr Zutun da ist, keine Freude findet.
Ihr einziger Wunsch und Streben ist, des ihr versagten, höhern Genusses, den sie nur dunkel ahndet, teilhaftig zu werden: in einem schönen Werke, das ihr sein Dasein dankt, mit dem Bewußtsein von eigner Bildungskraft sich selbst zu spiegeln.
Allein sie wird ihres Wunsches ewig nicht gewährt, weil Eigennutz ihn erzeugte und das Schöne sich nur um sein selbst willen von der Hand des Künstlers greifen und willig und folgsam von ihm sich bilden läßt.
Wo sich nun in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die Vorstellung vom Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet ist, gewähren soll, und wo diese Vorstellung der erste und stärkste Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb gewiß nicht rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen fällt in die Wirkung über das Werk hinaus, die Strahlen gehen auseinander, das Werk kann sich nicht in sich selber ründen.
Dem höchsten Genuß des aus sich selbst hervorgebrachten Schönen sich so nah zu dünken und doch darauf Verzicht zu tun, scheint freilich ein harter Kampf – der dennoch äußerst leicht wird, wenn wir aus diesem Bildungstriebe, den wir uns einmal zu besitzen schmeicheln, um doch sein Wesen zu veredeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch finden, tilgen und jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir hervorbringen wollen, wenn es nun dasein wird, durch das Gefühl von unsrer eignen Kraft gewähren soll, soviel wie möglich zu verbannen suchen, so daß [wir], wenn wir auch mit dem letzten Atemzuge es erst vollenden könnten, es dennoch zu vollenden strebten.
Behält alsdann das Schöne, das wir ahnden, bloß an und für sich selbst in seiner Hervorbringung noch Reiz genug, unsre Tatkraft zu bewegen, so dürfen wir getrost unserm Bildungstriebe folgen, weil er echt und rein ist.
Verliert sich aber mit der gänzlichen Hinwegdenkung des Genusses und der Wirkung auch der Reiz – so bedarf es ja keines Kampfes weiter – der Frieden in uns ist hergestellt – und das nun wieder in seine Rechte getretne Empfindungsvermögen eröffnet sich zum Lohne für sein bescheidnes Zurücktreten in seine Grenzen dem reinsten Genuß des Schönen, der mit der Natur seines Wesens bestehen kann.
Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs- und Empfindungskraft sich scheidet, so äußerst leicht verfehlt und überschritten werden, daß es gar nicht zu verwundern ist, wenn immer tausend falsche, angemaßte Abdrücke des höchsten Schönen gegen einen echten durch den falschen Bildungstrieb in den Werken der Kunst entstehen.
Denn da [auch] die echte Bildungskraft sogleich bei der ersten Entstehung ihres Werks auch schon den ersten, höchsten Genuß desselben als ihren sichern Lohn [schon] in sich selber trägt und sich nur dadurch von dem falschen Bildungstriebe unterscheidet, daß sie den allerersten Moment ihres Anstoßes durch sich selber, und nicht durch die Ahndung des Genusses von ihrem Werke, erhält, und weil in diesem Moment der Leidenschaft die Denkkraft selbst kein richtiges Urteil fällen kann, so ist es fast unmöglich, ohne eine Anzahl mißlungner Versuche dieser Selbsttäuschung zu entkommen.
Und selbst auch diese mißlungnen Versuche sind noch nicht immer ein Beweis von Mangel an Bildungskraft, weil diese selbst da, wo sie echt ist, oft eine ganz falsche Richtung nimmt, indem sie vor ihre Einbildungskraft stellen will, was vor ihr Auge, oder vor ihr Auge, was vor ihr Ohr gehört.
Eben weil die Natur die inwohnende Bildungskraft nicht immer zur völligen Reife und Entwicklung kommen oder sie einen falschen Weg einschlagen läßt, auf dem sie sich nie entwickeln kann, so bleibt das echte Schöne selten.
Und weil sie auch aus dem angemaßten Bildungstriebe das Gemeine und Schlechte ungehindert entstehen läßt, so unterscheidet sich eben dadurch das echte Schöne und Edle durch seinen seltnen Wert vom Schlechten und Gemeinen.
In dem Empfindungsvermögen bleibt also stets die Lücke, welche nur durch das Resultat der Bildungskraft sich ausfüllt. – Bildungskraft und Empfindungsfähigkeit verhalten sich zueinander wie Mann und Weib. Denn auch die Bildungskraft ist bei der ersten Entstehung ihres Werks, im Moment des höchsten Genusses, zugleich Empfindungsfähigkeit und erzeugt wie die Natur den Abdruck ihres Wesens aus sich selber.
Empfindungsvermögen sowohl als Bildungskraft sind also in dem feinern Gewebe der Organisation gegründet, insofern dieselbe in allen ihren Berührungspunkten von den Verhältnissen des großen Ganzen der Natur ein vollständiger oder doch fast vollständiger Abdruck ist.
Empfindungskraft sowohl als Bildungskraft umfassen mehr als Denkkraft, und die tätige Kraft, worin sich beide gründen, [um]faßt zugleich auch alles, was die Denkkraft faßt, weil sie von allen Begriffen, die wir je haben können, die ersten Anlässe, stets sie aus sich herausspinnend, in sich trägt.
Insofern nun diese tätige Kraft alles, was nicht unter das Gebiet der Denkkraft fällt, hervorbringend in sich faßt, heißet sie Bildungskraft; und insofern sie das, was außer den Grenzen der Denkkraft liegt, der Hervorbringung sich entgegenneigend in sich begreift, heißt sie Empfindungskraft.
Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß tätige Kraft hingegen kann ohne eigentliche Empfindungs- und Bildungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich allein stattfinden.
Insofern nun diese bloß tätige Kraft ebenfalls in dem feinern Gewebe der Organisation sich gründet, darf das Organ nur überhaupt in allen seinen Berührungspunkten ein Abdruck der Verhältnisse des großen Ganzen sein, ohne daß eben der Grad der Vollständigkeit erfordert würde, welche die Empfindungs-und Bildungskraft voraussetzt.
Von den Verhältnissen des großen Ganzen, das uns umgibt, treffen nämlich immer so viele in allen Berührungspunkten unsres Organs zusammen, daß wir dies große Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch selbst zu sein: die in unser Wesen hineingesponnenen Verhältnisse jenes Ganzen streben, sich nach allen Seiten wieder auszudehnen, das Organ wünscht, sich nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzusetzen. Es will das umgebende Ganze nicht nur in sich spiegeln, sondern, so weit es kann, selbst dies umgebende Ganze sein.
Daher ergreift jede höhere Organisation ihrer Natur nach die ihr untergeordnete und trägt sie in ihr Wesen über. Die Pflanze den unorganisierten Stoff durch bloßes Werden und Wachsen – das Tier die Pflanzen durch Werden, Wachsen und Genuß – der Mensch verwandelt nicht nur Tier und Pflanze durch Werden, Wachsen und Genuß in sein innres Wesen, sondern faßt zugleich alles, was seiner Organisation sich unterordnet, durch die unter allen am hellsten geschliffne, spiegelnde Oberfläche seines Wesens in den Umfang seines Daseins auf und stellt es, wenn sein Organ sich bildend in sich selbst vollendet, verschönert außer sich wieder dar.
Wo nicht, so muß er das, was um ihn her ist, durch Zerstörung in den Umfang seines wirklichen Daseins ziehn und verheerend um sich greifen, so weit er kann, da einmal die reine unschuldige Beschauung seinen Durst nach ausgedehntem wirklichem Dasein nicht ersetzen kann.
Mit dem sich angeschliffnen Stahle seines eingeschränkten Daseins nicht mehr froh, strebt er, außer sich selber ein größeres Ganze als er selbst zu sein, stellt sich, zu einem Volk, zu einem Staat sich bildend, mit Wesen seiner Art zusammen, um Wesen seinesgleichen, die sich ihm unterordnend ihm nicht dienen, mit ihm nicht eins sein wollen, zu zerstören.
Er steht auf dem höchsten Punkte seiner Wirksamkeit; der Krieg, die Wut, das Feldgeschrei, das höchste Leben ist nah an den Grenzen seiner Zerstörung da.
Kommen dann endlich die strebenden Kräfte wieder in ein glückliches Gleichgewicht und macht die unruhige Wirksamkeit der stillen Beschauung Platz, so muß notwendig in dem zum erstenmal in sich versunknen Menschen der Sinn für die umgebende Natur erwachen, die nie zerstört, als wo sie muß, und schonet, wo sie kann. – Er lernt allmählich das Einzelne im Ganzen und in Beziehung auf das Ganze sehen, fängt die großen Verhältnisse dunkel an zu ahnden, nach welchen unzählige Wesen auf und ab sowenig wie möglich sich verdrängen und doch so nah wie möglich aneinanderstoßen.
Dann steigt in seinen ruhigsten Momenten die Geschichte der Vorwelt, das ganze wunderbare Gewebe des Menschenlebens in allen seinen Zweigen vor ihm auf. – In allem, was seine ruhige Einbildungskraft ihm spiegelt, sondert sich das Große und Edle vom Gemeinen nach einem dunkel empfundnen Maßstabe in ihm selber ab und strebt aus ihm heraus.
So geht die um sich greifende, zerstörende Tatkraft, sich auf sich selber stützend, in die sanfte schaffende Bildungskraft durch ruhiges Selbstgefühl hinüber und ergreift den leblosen Stoff und haucht ihm Leben ein.
Auf diese Weise bildete unter jedem Himmelsstrich die Natur das Schöne, sich in den reinsten Seelen in ihren ruhigsten Momenten spiegelnd.
Sie allein führt an ihrer Hand den bildenden Künstler, den Dichter in ihr innerstes Heiligtum, wo sie dem sich neu entwickelnden Bildungstriebe schon seit Jahrhunderten vorgearbeitet und seine Bahn ihm vorgezeichnet hat.
Denn alles, was die Vorwelt erfunden, ist ja, in den Umfang der Natur zurücktretend, mit ihr eins geworden und soll mit ihr vereint harmonisch auf uns wirken. – – Das Schöne der bildenden Künste steht, sobald es einmal da ist, mit auf ihrer großen Stufenleiter und will nicht mit ihr in ihren einzelnen Teilen verglichen, sondern in ihrem ganzen Umfange, als zu ihr gehörend, mitgedacht und empfunden sein.
Unser Naturgenuß soll durch die Betrachtung des Schönen in der Kunst verfeinert und unser Gefühl für das Schöne in der Kunst soll wechselseitig durch den Genuß der schönen Natur gestärkt und zugleich seine Grenzen ihm vorgezeichnet werden.
Strömt dann das Maß der Empfindung über und wird zur Bildungskraft, so ahmt es in jedem Einzelnen der Natur nicht mehr das Einzelne und in dem höchsten Kunstwerke nicht das Kunstwerk, sondern die große Harmonie des mitempfundnen Ganzen nach, das sich in beiden abdrückt.
Der einmal aufgeweckte, echte Bildungstrieb findet nichts Einzelnes in der Natur, das ganz ihm gnügte, auch selber das höchste Kunstwerk nicht, das als der erste Abdruck des höchsten Schönen doch immer nur Abdruck bleibt.
Das bildende Genie will, wo möglich, alle die in ihm schlummernden Verhältnisse jener großen Harmonie, deren Umfang größer als seine eigne Individualität ist, selbst umfassen: das kann es nun nicht anders als in verschiednen Momenten schaffend, bildend, aus seiner eignen eingeschränkten Individualität gleichsam heraus in ein Werk, das außer ihm sich darstellt, hinüberschreitend und mit diesem Werke nun das umfassend, was seine Ichheit selber vorher nicht fassen konnte.
Allein der Anblick von dem reinsten Abdruck des höchsten Schönen in dem vollkommensten Kunstwerke mußte dem Bildungstriebe den ersten Anstoß geben, bloß durch Gefühl der Möglichkeit sich in einem Kunstwerke außer sich selbst zu stellen und das in einer Folge von Momenten bildend und schaffend zu umfassen, was keine Empfindung auffaßt, wofür das Selbstgefühl zu beschränkt ist und die Ichheit keinen Raum hat.
Und jeder Stoff, den dann die Bildungskraft ergreift, wird jeden nachfolgenden Versuch vereiteln, denselben Stoff zu einem neuen Werke noch einmal ebenso schön zu bilden.
Je mehrere Reize der Stoff an sich hat, um desto mehr wird es den nachfolgenden Bildungstrieb in Verzweiflung setzen. Der falsche Bildungstrieb wird am ersten darnach haschen, Anfang, Mittel und Ende tauschen und dies verzerrte, entstellte Ganze, das unverzerrt und unentstellt vor ihm schon da war, als sein eignes Werk betrachten, das ihm sein Dasein dankt.
Dergleichen Nachäffungen des echten Schönen könnten nie Beifall Enden, wenn Empfindungsfähigkeit und Bildungskraft bei ihrer Entwicklung immer gleichen Schritt hielten und nicht eine der andern ängstlich nach- oder vorzukommen strebte: denn da das Empfindungsvermögen seiner Natur nach so nah an die Bildungskraft grenzt, daß diese nur gleichsam die letzte Lücke ausfüllt, deren Ausfüllung dem Geschmack zur eignen Hervorbringung des Schönen aus sich selber fehlt, so muß auch die Empfindungsfähigkeit selbst schon den Sinn für das Schöne haben, das die Bildungskraft hervorbringen soll; sie muß sich mit dieser zugleich, in ihrem Maße, auf gleiche Art entwickeln.
Das Schöne will ebensowohl bloß um sein selbst willen betrachtet und empfunden als hervorgebracht sein. – Wir betrachten es, weil es da ist und mit in der Reihe der Dinge steht und weil wir einmal betrachtende Wesen sind, bei denen die unruhige Wirksamkeit auf Momente der stillen Beschauung Platz macht.
Betrachten wir das Schöne nicht um sein selbst willen, sondern um erst unsern Geschmack dafür zu bilden, so bekömmt ja eben dadurch unsre Betrachtung schon eine eigennützige Richtung. Unser Urteil ist uns alsdann mehr wert als die Sache, worüber wir urteilen: und statt daß also unsre Beurteilungskraft durch ruhige Betrachtung sich erweitern sollte, wird vielmehr der Gesichtspunkt für das Schöne nach den zu engen Grenzen unsrer Fassungskraft sich verschieben müssen.
Der Geschmack oder die Beurteilung des Schönen gehört ja ebenso wie das Schöne selbst zu den Sachen, die wir nicht brauchen, sobald wir sie nicht kennen, und nicht entbehren, sobald wir sie nicht haben, deren Bedürfnis erst durch den Besitz entsteht, wo es sich durch sich selbst befriedigt; geht also das Bedürfnis vor dem Besitz vorher, so kann es nicht anders als eingebildet und erkünstelt sein.
Was uns daher allein zum wahren Genuß des Schönen bilden kann, ist das, wodurch das Schöne selbst entstand: vorhergegangne ruhige Betrachtung der Natur und Kunst als eines einzigen großen Ganzen, das, in allen seinen Teilen sich in sich selber spiegelnd, da den reinsten Abdruck läßt, wo alle Beziehung aufhört, in dem echten Kunstwerke, das, so wie sie in sich selbst vollendet, den Endzweck und die Absicht seines Daseins in sich selber hat.
Auf die Weise entstand ohne alle Rücksicht auf Nutzen oder Schaden, den es stiften könnte, das Schöne der bildenden Künste in jeder Art bloß um sein selbst und seiner Schönheit willen und konnte auf keine andere Weise entstehen, weil der Begriff der Schönheit selbst schon jede Rücksicht auf Nutzen oder Schaden seiner Natur nach ausschließt und der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen Hervorbringung des Schönen sich von selbst aufhebt.
Denn suchen wir uns nun noch zuletzt den Begriff des Schädlichen näher zu entwickeln, so ist nur jede unvollkommnere Sache insofern schädlich, als eine vollkommnere darunter leidet. – Das wirklich Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern, dem weniger Organisierten nie das höher Organisierte schaden.
Wir sagen: es ist schade um den Teil der Pflanzenwelt, den die hereinbrechende Flut verschlingt, aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zerstört, in eine höhere Organisation hinübergeht, denn weit mehr schade als um die Pflanzenwelt wäre es um die lebende Welt, wenn sie deswegen aufhören sollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbeschädigt bliebe.
Und weit mehr schade als um die unterjochte Tierwelt wäre es wieder um die Menschenwelt, wenn diese deswegen nicht stattfinden sollte, damit alles übrige in dem Zustande seiner natürlichen Freiheit bliebe.
So ließe sich nun weiter schließen, daß es in der Menschenwelt auch mehr schade um die überwiegende Stärke wäre, wenn diese deswegen nicht stattfinden sollte, damit die Schwäche ihre Schwachheit nicht gewahr werde, als es um den schwächern Teil der Menschen schade ist, daß sie der Obermacht des Stärkern weichen und ihre Schwäche empfinden müssen.
Und daß es folglich auch wieder um das Schöne, welches am meisten um sein selbst willen da ist, weit mehr schade wäre, wenn es deswegen vertilgt sein sollte, damit keine unbefriedigte Sehnsucht dadurch entstehn und keine tätige Kraft darunter erliegen könne, als es um die tätige Kraft schade ist, die unter der unbefriedigten Sehnsucht endlich erliegen muß.
Da überdem das Schöne mit dem Leiden, das sein versagter Genuß erweckt, zusammengenommen, in unsrer Vorstellung erst seinen höchsten Reiz erhält, dem durch kein schöneres Opfer als dieses kann gehuldigt werden.
Denn so wie die Liebe die höchste Vollendung unsres empfindenden Wesens ist, so ist die Hervorbringung des Schönen die höchste Vollendung unsrer tätigen Kraft – und die höchste Liebe muß wieder in Hervorbringung, in Zeugung, wo nicht in die süßeste Auflösung des liebenden Wesens hinübergehn.
Nun sind freilich die Begriffe von Aufopferung, Liebe und Sehnsucht selber viel zu süß, als daß wir sie wieder entbehren könnten, sobald wir sie einmal haben, oder ihr Dasein nicht wünschen sollten, sobald wir sie einmal kennen.
Es scheint nichts Höheres zu geben, dem die Aufopferung selbst wieder müßte aufgeopfert werden. – Und das Schöne hinwegwünschen, weil unter ihm die Stärke erliegt, hieße auch die Stärke hinwegwünschen, weil unter ihr die Schwäche erliegt; den Menschen, weil er mit zerstörender Hand die freie Tierwelt sich unterjocht; die ganze lebende Welt, weil sie unaufhörlich die unschuldige Pflanzenwelt zerstört; und zuletzt auch die leblose Pflanzenwelt, weil sie die unzerstörbaren Teile des organisierten Stoffs aus ihrer natürlichen Gleichheit reißt und sie durch die trügerische Bildung und Form zum ersten Male der Zerstörung unterwirft.
Das einfachste Pflanzengewebe muß für seinen Raub an den noch einfachern Elementen schon durch Auflösung und Verwelkung, das geringste Lebende für seinen Raub an dem Organisierten mit körperlichen Schmerzen und dem Tode und die Menschheit für den Raub ihres höhern Daseins an der ganzen umgebenden Natur mit dem Leiden der Seele büßen. – Und das Individuum muß dulden, wenn die Gattung sich erheben soll.
Die Menschengattung aber muß sich heben, weil sie den Endzweck ihres Daseins nicht mehr außer sich, sondern in sich hat und also auch durch die Entwicklung aller in ihr schlummernden Kräfte bis zur Empfindung und Hervorbringung des Schönen sich in sich selber vollenden muß. – Zu dieser Vollendung aber gehört das duldende Individuum selber mit, dessen Duldung eben, wenn sie vorüber ist, durch die Darstellung zugleich in den höchsten Vollendungspunkt des Schönen mit hinübergeht.
So löst sich die Duldung in die Erscheinung auf, indem sie da, wo sie wirklich geduldet ward, nicht mehr empfunden, nicht mehr geduldet wird.
Das individuelle Leiden in der Darstellung geht in das erhabnere Mitleiden über, wodurch eben das Individuum aus sich selbst gezogen und die Gattung wieder in sich selber vollendet wird.
Höher aber kann die Menschheit sich nicht heben als bis auf den Punkt hin, wo sie durch das Edle in der Handlung und das Schöne in der Betrachtung, das Individuum selbst aus seiner Individualität herausziehend, in den schönen Seelen sich vollendet, die fähig sind, aus ihrer eingeschränkten Ichheit in das Interesse der Menschheit hinüberschreitend, sich in die Gattung zu verlieren.
Ehe sie aber bis dahin sich erhebt, muß die Duldung des Einzelnen vorhergehen. – Die Gattung ist mit dem Individuum, die Erscheinung mit der Wirklichkeit im ewigen Kampfe.
Sobald die Erscheinung in der Gattung über die Wirklichkeit in dem Individuum gesiegt hat, geht das bitterste Leiden durch das über die Individualität erhabne Mitleid in die süßeste Wehmut über, und der Begriff des höchsten Schädliche in der Wirklichkeit löst sich in den Begriff des höchsten Schönen in der Erscheinung auf.
Und so wie jedes Schöne in der Erscheinung nur in dem Maße schön ist, als es nicht nützlich zu sein braucht, so ist es auch nur in dem Maße schön, als es, wenn es wirklich wäre, schädlich sein würde; und doch auch wieder nicht schädlich sein würde – insofern das Wort schädlich von untergeordneten, selbst der Schönheit huldigenden Wesen ausgesprochen wird, die nicht wünschen können, daß das Schöne vertilgt sein möchte, damit es keine Zerstörung anrichte, sondern die Schuld der Zerstörung von der Schönheit ab auf die Notwendigkeit der Dinge oder höhere Mächte wälzen, wie der Greis Priamus beim Homer, der die erhabne, selbst über den durch sie gestifteten Jammer weinende Schönheit mit sanften Worten tröstet:
Tochter, du bist nicht, die unsterblichen Götter sind schuldig,
Welche den traurigen Krieg mir mit Achaja erregten.
Und die zürnenden Trojaner, welche die verderbliche Ursach des Krieges laut verwünschen, können sich nicht enthalten, bei der Ankunft des göttlichen Weibes sich ins Ohr zu flüstern:
Wahrlich, sie sind nicht zu schelten, die schön gestiefelten Griechen,
Und die Trojaner, um solch ein Weib so vieles zu dulden:
Denn den Unsterblichen gleicht sie an Wuchs und schöner Gebärde.
Der Kampf muß also durchgekämpft, das große Opfer muß dargebracht werden. – Das Geklirr der Waffen und das Geschrei der Sterbenden muß gen Himmel tönen – Hektor muß fallen und Hekuba ihr Haar zerraufen.
Hat dann die Zeit über die Zerstörung ihre Furche hingezogen, so nimmt die Nachwelt den Jammer der Vorwelt in ihren Busen auf und macht ihn, wie ein köstliches Kleinod, sich zu eigen, durch welches der Menschheit ihr dauernder Wert gesichert und ihre edelste und zarteste Bildung vollendet wird.
Denn in der Duldung liegt der Kern zu jeder höhern Entwicklung, und die Freude selbst nimmt, wo sie am höchsten steigt, von der jungfräulichen Hoffnung und dem geliebten Kummer mit süßen Tränen Abschied. – Der freudige Stoff der Dichtkunst löst sich in sich selber, der tragische in der Veredlung unsres Wesens durch das Mitleid auf.
Je weniger wir nämlich das schadende und vernichtende [Vollkommnere] selbst vertilgt wünschen und uns dennoch nicht enthalten können, vor der nahen, unvermeidlichen Vernichtung eines Wesens unsrer Art zu zittern, um desto edler und reiner muß unser Mitleid werden, weil es mit keiner Bitterkeit und keinem Haß gegen die zerstörende Obermacht mehr vermischt ist, sondern, ganz in sich selbst versunken, sich zu der unaufhaltbaren Träne ründet, worin unser ganzes mitleidendes Wesen aus seinem zartesten Vollendungspunkte sich aufzulösen und zu zerfließen strebt.
Wir können aber das vernichtende Vollkommnere insofern nicht vertilgt wünschen, als wir uns zugleich selbst in ihm doppelt vernichtet fühlen würden.
Denn insofern das Schöne alles Mangelhafte von sich ausschließt, begreift es auch alles Wirkliche in sich, das bloß durch sein Mangelhaftes sich von dem Schönen unterscheidet und eben deswegen sich unwiderstehlich von ihm angezogen fühlt und mit ihm eins zu sein strebt, weil es in dem Schönen das Ganze erkennt, von dem es selber nur ein Teil ist.
Indem nun aber das Schöne alles Mangelhafte von sich ausschließt und alles Wirkliche in sich begreift, ohne doch alles Wirkliche selbst zu sein, Endet es selbst da, wo es wirklich ist, für jedes Individuum, das mit ihm nicht eins werden kann, immer nur in der Erscheinung statt.
Wenn nun bei diesem Individuum die Empfindung die Tatkraft überwiegt und also die Tatkraft durch Zerstörung sich nicht rächen kann, so muß das Individuum für den Raub, den es durch die Erkenntnis des ihm unerreichbaren Schönen an seiner Individualität begangen hat, mit Höllenqualen büßen.
Sisyphus wälzt den Stein – Tantalus lechzt nach der von seinen Lippen ewig weichenden Flut.
Allein die Qualen sind nur dem Individuum schrecklich und werden in der Gattung schön – sobald daher die Gattung in dem Individuum sich vollendet, löst sein Leiden sich von ihm ab und geht in die Erscheinung, die Empfindung geht in die Bildung über – was von dem bildenden Wesen sich zerstört, ist sein Phantom – das veredelte Dasein bleibt zurück.
Eben diese Erscheinung aber faßt das alles in sich, was die Wirklichkeit hätte zerstören müssen, wenn sie nicht die Macht gehabt hätte, es von sich abzulösen und bildend außer sich darzustellen. – So wie jedes vollkommne Kunstwerk seinen Urheber, oder was ihn umgibt, würde zernichtet haben, wenn es sich aus seiner Kraft nicht hätte entwickeln können.
In diesem Punkte treffen also Zerstörung und Bildung in eins zusammen. – Denn das höchste Schöne der bildenden Künste faßt dieselbe Summe der Zerstörung ineinandergehüllt auf einmal in sich, welche die erhabenste Dichtkunst, nach dem Maß des Schönen, auseinandergehüllt in furchtbarer Folge uns vor Augen legt.
Ist es nicht die immerwährende Zerstörung des Einzelnen, wodurch die Gattung in ewiger Jugend und Schönheit sich erhält?
Und ist es nicht die durch die reinste Imagination zum Gott verkörperte Jugend und Schönheit selbst, welche mit sanftem Geschoß die Menschen tötet oder mit Köcher und Bogen zürnend einhertritt, düster und furchtbar wie Schrecken der Nächte – den silbernen Bogen spannt – und die verderbenden Pfeile in das Lager der Griechen sendet?
Sobald nämlich in der vollendeten Schönheit die Gattung sich selbst erblickt, kann sie das, worin sie eigentlich erst sich selbst besitzt, nicht anders als für das größte Kleinod halten, welches, insofern es nicht als Erscheinung, sondern als wirklich betrachtet wird, alles Einzelne aufwiegt.
Weil es nun von jedem als wirklich betrachtet werden kann, so wird das Einzelne dadurch gezwungen, sich wieder untereinander aufzuwiegen, damit sein verhältnismäßiger Wert gegen das Schöne sichtbar werde, der sich nicht anders als durch die Zerstörung des Schwächern durch das Stärkre und des Unvollkommnern durch das Vollkommnere zeigen kann.
Auf die Weise schreibt die Schönheit der Zerstörung selbst ihr edles Maß vor – wo nicht, so regen die Zähne des Drachen sich in der lockern Erde – die Saat des Kadmus keimt in geharnischten Männern auf, die ihre Schwerter gegeneinanderkehren und eher vom Streit nicht ruhn, bis ihre Leiber wieder den Boden küssen.
Weil nun durch die Erscheinung der individuellen Schönheit dieselbe Summe der Zerstörung des Einzelnen in einem kürzern Zeitraume sichtbar wird, welche zur Erhaltung der immerwährenden Jugend und Schönheit in der Gattung überhaupt durch Alter und Krankheit fast unmerklich ihren Fortschritt hält:
Und weil wir diese Zerstörung mit der individuellen Schönheit, durch welche sie unmittelbar bewirkt wird, uns zusammendenken:
So gibt das Schöne, in welches die Zerstörung selbst sich wieder auflöst, uns gleichsam ein Vorgefühl von jener großen Harmonie, in welche Bildung und Zerstörung einst Hand in Hand hinübergehn.
Und die immerwährende Zerstörung des Schwächern durch das Stärkre und des Unvollkommnern durch das Vollkommnere scheint uns in ebendem Maße wie die unaufhörliche Bildung des Unvollkommnern zum Vollkommnern dem ewigen Schönen nachzuahmen, das, über Zerstörung und Bildung selbst erhaben, in der Himmelswölbung und auf der stillen Meeresfläche ruhend, sich uns am reinsten darstellt.
Allein unser Begriff des Schönen verliert sich zuletzt doch immer wieder in den Begriff der Nachahmung von etwas, worin das Vollendete sich wieder zu vollenden und unser eignes Wesen in jeder Äußrung seines Daseins, uns unbewußt, sich aufzulösen strebt.
Wo nun die Auflösung eines Wesens unsrer Art am unmittelbarsten durch die schönen Verhältnisse des Ganzen selbst bewirkt wird und in der edelsten Bildung dieses Wesens selbst sich gründet, da scheinet in der Darstellung seiner Leiden die immerwährende Auflösung unsres eignen Wesens auf einige Augenblicke uns bewußt zu werden, indem uns dünkt, als ob, im schönen Widerschein herbeigezaubert, ein Stück aus jenem großen Zirkel vor uns schwebte, in welchen unsre kleinere Laufbahn sich einst verlieren wird.
So vollendet die Liebe unser Wesen – das erhabnere Mitleid aber blickt tränend auf die Vollendung selbst herab – weil es Aufhören und Werden, Zerstörung und Bildung in eins zusammenfaßt.
Und wenn jemals ein schwacher Schimmer des über Zerstörung und Bildung erhabnen Schönen sich uns zeigen kann, so muß es auf dem Punkte sein, wo es aus der über unserm Haupte schwebenden Zerstörung selbst uns wieder entgegenlächelt.
Das Auge blickt dann, sich selber spiegelnd, aus der Fülle des Daseins auf.
Die Erscheinung ist mit der Wirklichkeit, die Gattung mit dem Individuum eins geworden.
Tod und Zerstörung selbst verlieren sich in den Begriff der ewig bildenden Nachahmung des über die Bildung selbst erhabnen Schönen, dem nicht anders als durch immerwährend sich verjüngendes Dasein nachgeahmt werden kann.
Durch dies sich stets verjüngende Dasein sind wir selber.
Daß wir selber sind, ist unser höchster und edelster Gedanke.
Und von sterblichen Lippen läßt sich kein erhabneres Wort vom Schönen sagen als: es ist!
***
Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Frankfurt a.M: Insel
Karl Philipp Moritz inszeniert seinem Roman Anton Reiser ein Spannungsfeld zwischen der beengenden Herkunft des Protagonisten und seinem Bestreben, um Erfolg und Anerkennung zu kämpfen. So will der Autor in der Tradition des Entwicklungsromans die Entwicklung eines Jugendlichen beschreiben – zwischen Ehrgeiz, sozialer Not und moralischem Verfall auf der einen Seite und sozialen Klischees und individuellen Hoffnungen auf der anderen. Probleme und Misserfolge werden hier nicht als Ergebnis der Herkunft dargestellt, sondern vielmehr als Folge der Fehlentscheidungen Anton Reisers und der Borniertheit und des Eigennutzes seiner Erzieher und Lehrherren. In diesem Sinne fungiert dieser Entwicklungsroman, der einen begabten jungen Menschen zum Protagonisten hat, erstens als Zerrbild überkommener pädagogischer Konzepte, zweitens aber auch als Beispiel überzogener Empfindsamkeit eines Zöglings, die sich vor allem in dessen Neigung zur Hypochondrie und der Überempfindlichkeit gegenüber seiner Umwelt zeigt. Das Theater wird für Reiser zur Bühne der Selbstdarstellung, aber auch zum Schauplatz einer Empfindsamkeit.
Weiterführend → Einen Essay von Jutta Ludwig über Karl Philipp Moritz finden Sie hier.
→ Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.