Space Odyssey ctd?

Ein Gespenst geht um in der Debatten, ChatGPT. Künstliche Intelligenz ist ein irreführender und von popkulturellen modernen Mythen vernebelter Begriff. Ulrich Bergmann versucht im Dichtungsring etwas Licht in die Diskussion zu bringen.

Der Journalist und Blogger Sascha Lobo sprach von einem Durchbruch: Im Internet gibt es, frei zugänglich, seit Ende November 2022 einen schreibenden Chatbot, den das kalifornische Forschungslabor Open AI (Open Artificial Intelligence) in zehn Jahren Forschungsarbeit entwickelte und der weit mehr kann als bisherige Schreibautomaten: ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer). Die schreibende Maschine generiert Texte je nach Vorgaben, ähnlich wie bei Suchanfragen bei Google. Je geschickter oder angepasster die Vorgaben sind, umso zufriedenstellender die Ergebnisse, die sich im Chatverfahren ergänzen und verbessern lassen. Verblüffend sind: durchweg orthographische und grammatische Richtigkeit, syntaktische Logik der Sätze, logischer Textzusammenhang, inhaltliche Vermeidung von Wiederholungen und anderen Redundanzen. Ansprechend ist auch der klare und flüssige Sprachduktus. Die stilistische Varianz ist jedoch gering.

Wie so oft, hängen Fluch und Segen eng zusammen: In der Schule lassen sich jetzt Hausaufgaben – vor allem in den Fächern Deutsch, Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften, Religion … – auf die Schnelle generieren, nicht ganz so schnell auch Referate. Für die Universität reicht die Kompetenz der schreibenden Maschine noch nicht, zumal sie Quellen, Zitate und Zitatnachweise (noch) nicht liefert. Aber Briefe schreiben, etwa Trauerbriefe und Gratulationen, das geht schon ganz leicht.

Fluch oder auch Segen: Wahrscheinlich in Kürze lassen sich mit ChatGPT Ankündigungen von kulturellen Ereignissen, Texte für Präsentationen, Dramatisierungen von Romanen für die Bühne und Werbetexte schreiben, so dass bisherige Arbeitsplätze entfallen könnten.

„Die Maschine … kombiniert Daten mit statistischer Wahrscheinlichkeit wie jede andere künstliche Intelligenz. Sie rechnet, sie denkt nicht.“ (Tobi Müller, Der Midcult-Generator, in: ZEIT-Online, 31. Januar 2023) Der gigantische Wissensspeicher endet allerdings derzeit im Jahr 2021. Die Maschine lernt schnell, automatisch gesteuert. So heißt es. Aber wie eng ist hier der Lern-Begriff zu sehen …

Hohe Wahrscheinlichkeit ist das Prinzip, das sich für Sachtexte eignet, nicht aber für literarische Schreibkunst in Gedichten, Romanen, Dramen, wo das Außergewöhnliche, das Assoziative, Träumerische, Unbewusste, Überraschende wichtig ist. Das kann ChatGPT nicht. Oder noch nicht?

Die 8. Klasse eines Gütersloher Gymnasiums testete mit ihrem Deutschlehrer Hendrik Haverkamp die Fähigkeit von GPT – zu interpretieren war ein erst kürzlich erschienenes Gedicht. Da versagte GPT, weil der Verfasser nicht gespeichert war, und behalf sich mit einem ähnlichen Gedicht von Erich Kästner, kam aber trotzdem zu brauchbaren in sich schlüssigen Aussagen, orthographisch und grammatisch korrekt, allerdings recht allgemein, ohne Textbeweise und Epochen-Einordnung. (Martin Spiewak, Die 8a gegen die KI, in: DIE ZEIT Nr. 8, 16.2.2023) Die Schüler lernen den kritischen Umgang mit KI als Instrument, dessen konstruktiven Wert sie nutzen können. Das müsste auch im Alltag der Erwachsenen gelten. Aber was passiert, wenn der Lernerfolg von Chatbot GPT von der Quantität allmählich in Qualität umschlägt?

In dem Film 2001 – Odyssee im Weltraum (1968), dessen Drehbuch Stanley Kubrick mit dem Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke entwickelte, betreibt der Computer HAL (die jeweils nachfolgenden Buchstaben ergeben: IBM), die Liquidierung der Besatzung mit der Begründung, dass die im Gegensatz zu ihm fehlbaren Menschen das Projekt gefährden. Dieser Computer ist dialog- und lernfähig wie ChatGPT und handelt nach Maßgabe einer übergeordneten Logik, er emanzipiert sich von seinen Erzeugern und Befehlsgebern.

Konzerne wie AI und Google arbeiten an artificial general intelligence, einem Programm mit der Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns … Kann ChatGPT das verwirklichen?

Der Schriftsteller Rainald Goetz („Irre“, Roman; „Krieg“, Schauspiel-Trilogie; zuletzt: „Johann Holtrop“, Roman) hielt am 22.2.2023 im Wissenschaftskolleg, Berlin, eine Rede zur Feier der Zeitschriften und des schöpferischen und gedruckten Wortes, in der er auch auf Digitalität und KI eingeht (abgedruckt in: DIE ZEIT Nr. 10, 2.3.2023). Goetz betont die Wichtigkeit der sozialen Energie, die sich in dinglich fassbaren Texten, also im Buch, in der Zeitung und in Zeitschriften, nachhaltig konzentriert und offenbart. Für das Schreiben gilt: „Man muß im Zustand der HYSTERIE sein, um Texte schreiben zu können, die das wirklich sagen, was einem vorschwebt. Völlig überwertig besessen von Ideen, Worten, Konzepten, Details des Sprachlichen, den Feinstabwägungen von Ober- und Untertönen des Geschriebenen … Die Sprache ist allergisch gegen jede Art von Programmatik …“ In diesem Zusammenhang rühmt er das, was zur sozialen Energie gehört, „diesen Suadaspeed, das Ineinander von Erkenntnis und Erlebnis, Gedanke und Geschichte, die für mich immer noch schönste Textidee: LOSLABERN.“ In einer Zeitschrift kommt, so Goetz, „… fast mehr noch als beim Buch, die reale Materialität des ZUSAMMENSEINS der unterschiedlichen Autoren mit ihren Texten in diesem einen Objekt Zeitschrift dazu … Die in den Texten gespeicherte Hysterie wird hier so vergesellschaftet, daß sie in die Hysterie der menschlichen Begegnungen übergehen kann … das ist eigentlich der Idealvorgang.“ Wenn wir die überhöhten Worte etwas niedriger hängen, gelten sie auch für unsere Zeitschrift, den Dichtungsring.

 

 

 

Weiterführend Ulrich Bergmann nennt seine essayistischen Alltagsbetrachtungen ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.