Gezeitengespräch 7

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.

 

Zeitnah (Raum Zeit): Du siehst das Magische, nicht weil es ist, sondern weil du bereit bist, es zu sehen. Ja, es ist. Natürlich gibt es das. Es kann ein Ort sein, eine Zeit vielleicht. Es kann in einer Situation liegen oder ganz mit einer Person verbunden. Das große Magische ist nicht fassbar, sondern stellt sich in ganz unbedachten Augenblicken in den Weg, stellt ganz unverblümt eine bestimmte Sicht auf die Dinge in den Raum. Manchmal denke ich, das eigentliche Wort hierfür ist „Heimat“.

Zeitfern:   Ist Magie Heimat? Ich stelle mir unter Magie was Großes vor. Hokuspokus. Doch du hast Recht, Magie entsteht nur im inneren Kreis des Lebens. Dem Erlebten. Also schließe ich daraus, wir sind alle, in irgendeiner Form, Magier. Das mit dem Kalibrieren hat leider nicht geklappt. Also begeben wir uns in die Zwischenreiche, wie immer.

Zeitnah (hier und wieder):        Dieses Gefühl hier wieder, alles sei mit allem Verbunden, magisch. Banal könnte ich vom Zauber der Situation sprechen, dem schräg roten Lichteinfall beim Sonnenuntergang. Den tanzenden Frühjahrsschwärmen der Mücken, die versehentlich durch zu große Wärme geweckt wurden. Das Lächeln dieser Frau, wenn sie denn einmal lächelt. So kurz bevor ihr Zug geht. Sie legt mir einen Stein in den Magen und verschließt alles. Ja, magisch wohl auch das. Die überschwappenden Gerüchte die mich zu verschlingen drohen. Wie nah die Menschen der Realität doch kommen und so weit entfernt liegen, von allem was ist und sein wird. Da sitze ich auf jener Bank unter der Autobahnbrücke und sehe zu zweit den gelborangenen Sonnenball wandern, den Horizont entlang. Kann die Bewegung sehen, die mich unvorstellbar lähmt, sitzenbleiben und ganz plötzlich kommen Dunkelheit und empfindliche Kälte, lassen zittern. Und im Hintergrund spielt eine Band ihre Songs. So seltsam vertraut, auch wenn ich sie nicht kenne. Diese Augen in einem zukunftsvollen Gesicht. Das ist vielleicht die Magie des Auenblicks und genau dann zur Leinwand gehen, weil das Bild vor Augen steht.

Zeitfern:   Sollten wir also mal über das reden, was in unseren Herzen ist. Unsere Berufung, um uns auszudrücken. Zu zeigen, wie wir denken, ohne Wörter geschrieben zu haben. Sollen wir? Malen enthält Malen und Malen enthält Schreiben. Stumm geht nicht. Würde eventuell doch. Dann mit Bild. Also schweigen wir mal für einige Minuten.———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————-Und reden wir über Schwänze. Schlangen. Fischschwänze. Grasschlangen. Unkaputtbare Menschen, die es nicht gibt. Die Fangeisen der Malerei. Da, wo man beginnt, nett zu sein. Dem Auge schmeicheln will. Die größte Versuchung nach diesen Adam und Eva und Schlange. Ihr nicht zu erliegen ist wohltuend. Bilder, die nicht schmeicheln. Natürlich, weil nicht im System, keine Verkäufe. Aber Zufriedenheit. Selbst die Vulva eröffnet nicht das Geschäft. Ich will mich darin verlieren. Ich bin. Was bist du?

 

 

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Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse in der Edition Das Labor, Neheim 2014

Weiterführend

Eine Einführung zum Projekt Gezeitengespräch findet sich hier. Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421