Verweigerung, Anpassung, Identität – was hat das mit der Sprache überhaupt, mit der Sprache einer Minorität zu tun, in welcher Beziehung stehen hier diese Bereiche zueinander? Wer verweigert? Wer paßt sich an? Wer wird zur Anpassung verleitet, verführt oder gar gezwungen? Verweigerung als Akt des Neinsagens, als willentlich gesetzte Handlung oder Unterlassung. Die Anpassung wiederum mehr ein Prozeß, ein persönlicher, der sich mit einem allgemeinen verbindet, der einem vorherrschenden, kollektiven Trend folgt, sich ihm – oft bedenkenlos – ausliefert. Ein Nachgehen, das zu Nachgeben führt, zur Aufgabe der eigenen Position. Wem gegenüber die Verweigerung und warum? Und Anpassung woran und warum? Und wieweit? Bis zur Selbstaufgabe? Und was hat das mit Identität, ihrer Bewahrung, Verteidigung oder ihrem Verlust, ihrem Wegwerfen zu tun? Dies im Zusammenhang mit der Sprache, mit der eigenen Sprache einer Minorität, einer Minderheit, einer Volksgruppe, deren Dezimierung nicht Gefahr sondern Ereignis, eben Tatsache ist. Was kann, was muß hier gedacht, gesagt und wie muß hier endlich richtig gehandelt werden; außerhalb des Rahmens eigener Bezugsgegebenheiten und des eigenen Betroffenseins, aber eben auf Grund von diesen, aus dem Betroffensein heraus.
Verweigerung, Anpassung als persönliche oder kollektive Haltung – da läßt sich leichter etwas sagen, mitteilen, das der eigenen Erfahrung, dem eigenen Betroffensein entspricht; dieser Bereich ist leichter faßbar, eingrenzbar, definierbar. Aber wie ist das mit Sprache und Identität? Beides entwickelt sich, verändert sich, ist Einflüssen, auch Trends und einem gewissen Druck von außen ausgeliefert, manchmal sogar unterworfen. Beides kann nicht allein aus der Tradition heraus erklärt und festgelegt werden, weil es nicht nur aus der Tradition, aus der Vergangenheit bestimmt ist, sondern in seiner Entwicklung in die Zukunft hinein immer ein Fragezeichen, etwas noch nicht Fixiertes in sich trägt, etwas Unbestimmtes auch, das sowohl Risiko als auch Chance zugleich mit sich bringt. Die Frage nach der Identität – auch, ja vorallem im Zusammenhang mit der Sprache und dem Sprachverhalten – einer Volksgruppe, einer Minderheit, kann nicht nur allein aus der Tradition und ihrem Verständnis, kann nicht nur von der Vergangenheit her gestellt, erörtert und beantwortet werden, sondern diese Frage ist eine Frage an die Zukunft und nach der Zukunft einer Volksgruppe. Sie postuliert die Antwort, wie diese Zukunft aussehen soll, kann und wird, vorallem aber, wie die Zukunft bewältigt werden kann. Mit dieser Frage und der zu findenden Antwort ist auch die Frage nach der Identität aufs engste verknüpft.
Was bedeutet dies nun für die Sprache, für die Sprache einer Volksgruppe – in diesem Fall die der burgenländischen Kroatinnen und Kroaten?
Was bedeutet Identität in Bezug auf Sprache; und dabei nicht nur und nicht sosehr auf die Sprache der Bücher, sondern auf die der Menschen, auf ihr Sprachverhalten, auf ihr Ihre-Sprache-Sprechen? Eines sei gleich vorweggenommen: Sprache ist nie nur Identitätsmerkmal sondern Sprache ist Identitätsträger, die eigene Sprache sprechen ist Identitätsvollzug. Die Sprache und diese Sprache sprechen – und zwar so, daß man der Sprache auch gerecht wird – das sind die beiden wesentlichsten, voneinander untrennbaren Voraussetzungen, auf denen die Identität einer Volksgruppe und ihrer Angehörigen beruht, in ihr und dadurch realisiert wird. Nicht im traditionellen Brauchtumsverhalten, das ohnedies oft genug zum Folklorekitsch verkommt und wo etwas Wesentliches darin und damit mißbraucht wird, nicht in der Tracht, nicht – jedenfalls nicht nur – in der Tamburicamusik und im Volkslied liegt der Hort der Bewahrung der eigenen Identität, sondern in der lebendigen Sprache, sowohl in der des Alltags, als auch in jener der Kunst, der Literatur.
Ja gerade die Lebendigkeit der Sprache und die gelebte Identität werden zum Kriterium fürs Überleben. Dies gilt für jede Minderheit, für jede Minorität, also auch für die Volksgruppen, somit auch für Sprache und Kultur der Burgenland-Kroatinnen und -Kroaten. Nur was lebendig bleibt, d.h. sich richtig entwickelt, kann und wird überleben. Das ist keine Frage der Verweigerung und/oder der Anpassung. Das ist eine Frage der Definierung, vielleicht der notwendigen Neudefinierung von Identität, jener einer Volksgruppe; und dies im schmalen und unsicher gewordenen Grenzbereich zwischen den Koordinaten von eigener und fremder Nationalität; vorallem aber im Hinblick auf eine – ich sage: wünschenswerte – multikulturelle Zivilisationsgemeinschaft. Und dies nicht nur mit der Hoffnung, sondern mit dem Ziel, auf das gemeinsam hingearbeitet werden muß, in dieser Gemeinschaft die eigene Sprache und das Die-eigene-Sprache-Sprechen als etwas Eigenständiges, eben als seine Identität zu bewahren; und somit nicht nur selber zu überleben und am Leben zu bleiben, sondern damit auch einen wesentlichen Beitrag zu leisten zur Erhaltung einer bunten und vielfältigen Kulturlandschaft, gerade in einem vielleicht einmal wirklich geeinten Europa.Verwendet man irgendwo die Bezeichnung ,,Österreichische Literatur“, so wird mit diesem Begriff stets eine Reihe von Namen prominenter, deutschsprachiger österreichischer Autoren als Kenn- und Markenzeichen assoziiert, niemand aber kommt auf den Gedanken, unter dieser Bezeichnung die Mehrsprachigkeit als ldentitätsmerkmal der österreichischen Literatur anzumerken und zu verstehen. Zu lange haben die Literaturen unserer österreichischen Volksgruppen einen tiefen Dornröschenschlaf im abgelegenen Kämmerlein der auch oft selbst aufgebauten Volksgruppenghettos gehalten, bis zum nicht mehr Wahrnehmen und fast bis zum Ersticken unter den Erfolgen der deutschsprachigen österreichischen Literatur, oft auch in den großen deutschen oder internationalen Verlagen.
Was vordem im gemeinsamen Kulturraum der Donaumonarchie Jahrhunderte hindurch eine Selbstverständlichkeit war – Multisprachlichkeit als Ausdruck der kulturellen Vielfalt eines Vielvölkerstaates – wurde dann nicht einmal mehr als etwas Besonderes, als kostbares Relikt, als Bereicherung geschätzt, sondern als etwas Unwesentliches, ja oft sogar als etwas Lästige, im neuen Reststaat angesehen und so verdrängt, vergessen, diskriminiert, verachtet und bekämpft. Die Kultur der Volksgruppen in Österreich, die der Slowenen, Kroaten, Ungarn, Tschechen und Slowaken, von der jener Roma und Sinti gar nicht erst zu reden, sind nur zugelassen als Trachtenpärchengruppen – wie auf einer bekannten Limonadeflasche – zum folkloristischen Aufputz in der Tourismusbranche mit ihren Österreichklischees.
Da war und ist für das Echte, Ursprüngliche, Wesentliche der österreichischen Volksgruppen kein Platz in diesem Staat. Und so auch nicht für deren Literatur. Was deutsch oder international (amerikanisch) war, das war gut, was anders war, war fremd und unerwünscht in diesem Land; so sehr, daß man auch nicht die fremde Sprache ertrug, auf den Qrtstafeln im Land Kärnten, im “Rechtsstaat” Österreich. Der Abwehrkampf gegen das Andere, Fremde, jetzt Ausländische, war und ist immer ein Programm, mit dem man in diesem Land “Staat machen” konnte und kann, iin der Zweiten Republik Österreich. Daß eine solche Haltung nichts anderes ist als Kulturfeindlichkeit, als Kulturverachtung, als Kulturlosigkeit, kam und kommt den Vertretern einer so beschränkten Geisteshaltung und Wir-sind-wir-Mentalität erst gar nicht zu Bewußtsein; ebensowenig, woran ein solcher Uberlegenheitsmythos mit der implizierten Aufforderung, die Minderheit habe sich der Mehrheit anzupassen, ja unterzuordnen, sich in deren Sprach- und Kulturnorm einzufügen, darin ein- und aufzugehen, eigentlich anschließt. Daß hier Rechte mit Füßen getreten wurden und werden, Menschen- und Volksgruppenrechte, Grundrechte, das interessierte und interessiert dabei sowieso niemanden. Minderheitenprobleme sind hierzulande immer die Probleme der Minderheiten. Das war immer und ist weiterhin der banale, dumme, undemokratische, unreife, aber um so bequemere, weil die eigenen Probleme ignorierende Standpunkt und gemeinsame Parteien- und Gesellschaftskonsen in diesem Land, in diesem Staat, ist. Das Muster der Kleinkariertheit als Staatsdesign. Osterreichkultur, wie man sie kennt.
Wie kann auf einem solchen Boden Literatur von Minderheiten entstehen und gedeihen? Aus welchem Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl heraus? Und welche Art von Literatur entsteht da, kann aus diesem politischen Kontext heraus sich entwickeln, aus der Gegenposition heraus, aus dem Abgeschobensein, aus der Nichtgleichwertigkeit, aus der öffentlich und politisch praktizierten Zurücksetzung, aus dieser Stigmatisierung, aus dieser Ghettoisierung; und dies Jahrzehnte lang? Kann sich da etwas anderes entwickeln als eine Literatur der Gegenposition oder eine der Ausgrenzung, auch eine der eigenen, selbstgewollten und/oder selbstverschuldeten Abgeschiedenheit? Eine Literatur, die aus der persönlichen und kollektiven Ausgrenzung, Zurücksetzung, Verletzung, aus der Schmach, aus der Melancholie, aus der eigenen Wehleidigkeit, aus Verbitterung und Trauer, aber auch aus dem ungeduldigen, ja zornigen Aufbegehren dagegen entstanden ist und entsteht.
Das alles, so scheint es mir, ist das breite Spektrum und gleichzeitige Merkmal der österreichischen Literatur der ethnisch-sprachlichen Minoritäten, der Volksgruppen, der Minderheiten in Osterreich. Und dies ist ein großer, ein wichtiger, ein sehr wertvoller Beitrag zur österreichischen Literatur. Dies auch, weil sie ein Spiegel ist, in dem wir unser Zerrbild sehen. So weit ist es nicht so gut, ist es nicht so unproblematisch für dieses Land, was die Volksgruppen, die Demokratiereife, die Toleranz und anderes betrifft. Die Konflikte werden hierzulande immer zugedecktm, mit Besänftigungs- und Beschwichtigungspolitik, manchmal auch mit Verfälschung und Lüge, mit dem Verleugnen, daß es überhaupt Konflikte gibt. Das ist die politische und gesellschaftliche Praxis, das gehört hganz wesentlich zu Österreich.
Immer wieder tauchen die Geknechteten, die Entrechteten, die Verachteten, die An-den-Rand-Gedrängten, die Ausgestoßenen in der Literatur der Minderheiten auf, in Lyrik und Prosa, im Theater und im Film. “Der Zögling Tjaž” von Florjan Lipuš, die slowenische Mutter, in ,,Wunschloses Unglück“ von Peter Handke; die eigene Rebellion und der Zorn eines Janko Messner, ein Leben lang. Die leise Melancholie oder die Schwermut in den Gedichten von Milka Hartmann, Valentin Polanšek, Andrej Kokot, GustavJanuš, Janko Ferk, Maja Haderlap und anderen. Aber auch ein neues Selbstbewußtsein ensteht in und mit dieser Literatur, wird durch sie verdeutlicht und übermittelt. ,,Mladje“ (“das Jungholz”), wie die neue Bewegung und Zeitschrift heißt, gibt Zeugnis davon. Die Parole von Janko Messner ,,Zasramovanci … združite se!“ (,,Verachtete, vereinigt Euch !“) von 1974 hat anscheinend gewirkt. Der Film ,,Das Dorf an der Grenze“ von Thomas Pluch (1983) über das Schicksal der Kärntner Slowenen, von der Volksabstimmung über die NS-Aussiedlung bis zur Zwangsassimilierung in der wieder errichteten Republik Österreich, im Femsehen als vierteilige Serie gezeigt und von und von einer großen Zuschauerschaft gesehen, hat zum ersten Mal die breiten Bevölkerungsschichten mit dem Problem ,,Volksgruppe“ konfrontiert, informiert, aber auch emotionalisiert.
Mit diesem neuen Selbstbewußtsein, geboren aus der Auflehnung gegen das Gefühl der eigenen Ohnmacht, setzte bei den Kärntner Slowenen, vor allem bei der Bildungsschichte, bei den Intellektuellen und somit auch bei den Schriftstellern, ein neuer Aufschwung ein. Ein Gymnasium, neue Verlage, neue Bücher und Zeitschriften, neue Vereine und Institutionen, und somit mehr Offentlichkeitspräsenz, waren wichtige Ergebnisse und Fortschritte auf diesem Weg der eigenen Emanzipation. Aus dem schmerzlichen ,,Betroffensein“ – so der Titel eines Buches, nämlich ,,Texte zu Kärnten im Herbst 1980″, mit solidarischen Beiträgen von deutschsprachigen Autoren, wie Peter Turrini, Helmut Eisendle, Gustav Ernst, Elfriede Jelinek, Julian Schutting, Heinz Richard Unger u.a. zum “Slowenenproblem” in Kärnten – war Auflehnung und Widerstand geworden; auch einer in und mit der Literatur. Dieser neue Aufschwung der slowenischsprachigen österreichischen Literatur brachte neue Beiträge und ein neues Kolorit in die österreichische deutschsprachig Literaturlandschaft. Dies war etwa zur gleichen Zeit, als der “Erste Österreichische Schriftstellerkongreß” in Wien stattfand (1981).
Ganz anders war und ist die Situation und die Entwicklung bei den Burgenland-Kroaten und somit auch bei den dortigen kroatischsprachigen österreichischen Schriftstellern. Dies aus vielerlei Gründen, sicher aber auch aus Selbstverschulden, wenn man diesen Begriff in diesem Zusammenhang verwenden darf. Hier orte ich zuwenig wirkliches Betroffensein, zuwenig Aufmerksamkeit und Auflehnung, zuwenig Widerspruch und Widerstand, ein Zuviel an Bequemlichkeit, Resignation und Desorientierung; auch bei den wenigen ohnedies kaum bekannten Schriftstellern dieser Volksgruppe. Weiß man denn dort nicht, was mit der Sprache einer Minorität geschieht, wenn ihr die Dichter und Schriftsteller abhandenkommen; worauf sich die Sprache dann reduziert?! Ist das nicht jedem einzelnen dieser Dichter und Schriftsteller, ist es den Intellektuellen, ist es der Bildungsschichte nicht klar, daß und wie sehr sich Problemstellung und Problembewußtsein in Bezug auf Identität und Position einer Minderheit auch und gerade in der eigenen Literatur aktuell, kritisch und zugleich literarisch qualitätsvoll manifestieren und so ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Entwicklung leisten müssen; daß sich nur so, auch in der literarischen Artikulierung, Problembewußtsein entwickelt werden kann, das die Voraussetzung ist, um Probleme richtig aufzugreifen und zu lösen? “Tamburizzalyrik”, wie ich sie sarkastisch nenne, und die elegische Klage um das verlorene Zymbal erfüllen solche Anforderungen nicht. Mögen solche literarische Ergüsse auch noch so gemütsvoll und bewegend sein, einen wirklichen Beitrag zur Bewegung im Sinne der Emanzipation einer Volksgruppe leisten sie nicht.
Bloß am Leben zu bleiben, das ist zuwenig für eine Minderheit, für eine Volksgruppe. Ein solches Programm unterstützt die Assimilierung, führt zur Dezimierung der Volksgruppe, zu ihrem Verschwinden. Das gilt auch und vor allem für die Literatur. Nur Spuren zu hinterlassen ist zuwenig. Spuren haben etwas mit dem Nichtmehrdasein zu tun. Leben aber heißt lebendig sein, sich entwickeln, einwirken, kämpfen, Widerstand leisten. So wünsche ich mir für die burgenländisch-kroatische Literatur eine ähnliche Renaissance, wie es sie bei den Kärntner Slowenen gegeben hat und gibt. Und einen ähnlichen von ihr ausgehenden Einfluß auf die anderen, auf die Mehrheitssprache und somit auf die deutschsprachige österreichische Literatur, wünsche ich mir und erachte ihn als dringend notwendig.
Ich weiß schon, die Burgenland-Kroaten haben keinen Handke, kein Äquivalent dazu, so wie eben die Kämtnerslowenen diesen HaIbslowenen Handke hatten und haben, der auch als Übersetzer, als Nachdichter wichtige österreichische slowenischsprachige Literatur ins Deutsche transportiert hat. Das war auch mitentscheidend für den Aufbruch, für den Erfolg. Trotzdem – man möge mich aus dem jetzt Gesagten heraus nicht mißverstehen – gehört meine Liebe, vielleicht eben nicht so sehr meine Bewunderung, dieser kleinen burgenländisch-kroatischen Literatur; vielleicht deshalb, weil ich weiß, wie schwer sie es hat, sich überhaupt zu Wort zu melden, auch und sogar bei den eigenen Leuten. Auch das ist dort anders als bei den Kärntner Slowenen. Um so mehr plädiere ich deshalb dafür, daß wir unser Interesse, aber auch unsere Sorge diesem zarten Pflänzchen auf steinigem Boden, dieser burgenländisch-kroatischen Literatur und ihren Autoren zuwenden. Auch hier ist ein Mehr an Solidarität und Unterstützung seitens der deutschsprachigen österreichischen Autoren gefordert. Wir müssen die burgenländisch-kroatischen Autorinnen und Autoren und ihr literarisches Schaffen aus diesem Niemandsland, aus der eigenen Umzäunung, aus der Abgeschiedenheit, aus der Isolation, aus dem (Sprach-/Volksgruppen-) Ghetto herausholen. Ihren literarischen Anspruch müssen sie selbst definieren und formulieren, aber vielleicht können wir ihnen dabei helfen, ihn leichter einzulösen; auch indem wir gemeinsam bessere Organisationsstrukturen für sie entwickeln. Auf jeden Fall brauchen sie einen eigenen Verlag, ein ähnliches Verlagswesen wie die Kärntner Slowenen.
Die ,,klassischen“ burgenländisch-kroatischen Autoren – wie z. B. Augustin Blazovic und Anton Leopold – sind alt, jenseits der oder bald an die Siebzig; ihr Werk liegt vor. Die Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation – wie z. B. Jurica Csenar, Herbert Gassner, Ewald Höld, Dorothea Lipković, Nikola Benčić, Andi Novosel, Petar Tyran und Ana Schoretits – sind auch schon zwischen Vierzig und Fünfzig, somit in ihrem literarischen Stil festgelegt. Wo sind die Jungen, von denen die Erneuerung – sowohl was Themen und Inhalte, als auch war neue Ausdrucksformen betrifft – kommen muß? Es gibt einige junge Talente – etwa Fred Hergovich, Katarina Dragsić, Inge Kuktits u. a. Aber diese ,,jungen Talente“ sind auch schon um oder jenseits der Dreißig. Und im Gesamten gibt es bei dieser burgenländisch-kroatischen zeitgenössischen Literatur verhältnismäßig zuviel Lyrik und da noch viel zuviel Ich-Lyrik; und viel zuwenig Prosa. Was fehlt, was seit langem, eigentlich seit Jahrzehnten fehlt, ist der Roman, ist die Prosa “mit langem Atem“, mit einer größeren Dimension und wirklichen literarischen Qualität und mit neuen, aktualitäts- und wirklichkeitsbezogener Thematik. Dies wünsche ich der burgen ländisch-kroatischen Literatur am meisten, weil sie dies am notwendigsten braucht, um sich entwickeln, ja um überleben zu können. Vor allem aber braucht die Minderheiten-Literatur eines am dringendsten, nämlich Leser. Davon hängt alles ab. Sonst brauchen wir über diese Probleme erst gar nicht mehr zu reden; denn dann erledigt sich das alles sowieso von selbst, durch die komplette Assimilierung, durch das Aussterben der Volksgruppe und ihrer Sprache und Kultur.
Ein es dürfen wir auch nicht übersehen: Wir Schriftsteller gehören selber zu einer Minderheit, zu der von kritischen und schöpferischen Menschen. Und wir wenden uns auch bereits an eine Minderheit, nämlich an die Bücher-Leser. Wir machen ein Minderheitenprogramm für Minderheiten. Was also sind in diesem Rahmen die Schriftsteller einer ethnisch-sprachlichen Minderheit im Land, in dem sowieso die Mehrheit den Ton angibt und alles bestimmt? Aber: Wie wichtig, wie wesentlich und vor allem wie schön ist es, daß es ein Gedicht, einen Satz zum Bedenken gibt; auch auf Slowenisch und Slowakisch, auf Kroatisch, auf Ungarisch, auf Tschechisch oder in Romanes; daß es etwas Anderssprachiges als Deutsch in der österreichischen Literatur gibt. Es geht hier nicht um Unwichtiges, Unbedeutendes, sondern um etwas Substantielles und Wesentliches der menschlicher Kultur und Zivilisation, nämlich um das Denken und um die Sprache. Und keines der beiden kann ohne das Andere sein. ,,Tudi najbolj preposte misli se izrecejo jeziku”, sagt Fabjan Hafner in einem Gedicht. Zu Deutsch: ,,Auch die einfachsten Gedanken werden in Sprache gefaßt.“
Verweigerung, Anpassung, Identität – was hat das mit der Sprache überhaupt, mit der Sprache einer Minorität zu tun, in welcher Beziehung stehen hier diese Bereiche zueinander?
Wer verweigert? Wer paßt sich an? Wer wird zur Anpassung verleitet, verführt oder gar gezwungen? Verweigerung als Akt des Neinsagens, als willentlich gesetzte Handlung oder Unterlassung. Die Anpassung wiederum mehr ein Prozeß, ein persönlicher, der sich mit einem allgemeinen verbindet, der einem vorherrschenden, kollektiven Trend folgt, sich ihm – oft bedenkenlos – ausliefert. Ein Nachgehen, das zu Nachgeben führt, zur Aufgabe der eigenen Position. Wem gegenüber die Verweigerung und warum? Und Anpassung woran und warum? Und wieweit? Bis zur Selbstaufgabe? Und was hat das mit Identität, ihrer Bewahrung, Verteidigung oder ihrem Verlust, ihrem Wegwerfen zu tun? Dies im Zusammenhang mit der Sprache, mit der eigenen Sprache einer Minorität, einer Minderheit, einer Volksgruppe, deren Dezimierung nicht Gefahr sondern Ereignis, eben Tatsache ist. Was kann, was muß hier gedacht, gesagt und wie muß hier endlich richtig gehandelt werden; außerhalb des Rahmens eigener Bezugsgegebenheiten und des eigenen Betroffenseins, aber eben auf Grund von diesen, aus dem Betroffensein heraus.
Verweigerung, Anpassung als persönliche oder kollektive Haltung – da läßt sich leichter etwas sagen, mitteilen, das der eigenen Erfahrung, dem eigenen Betroffensein entspricht; dieser Bereich ist leichter faßbar, eingrenzbar, definierbar. Aber wie ist das mit Sprache und Identität? Beides entwickelt sich, verändert sich, ist Einflüssen, auch Trends und einem gewissen Druck von außen ausgeliefert, manchmal sogar unterworfen. Beides kann nicht allein aus der Tradition heraus erklärt und festgelegt werden, weil es nicht nur aus der Tradition, aus der Vergangenheit bestimmt ist, sondern in seiner Entwicklung in die Zukunft hinein immer ein Fragezeichen, etwas noch nicht Fixiertes in sich trägt, etwas Unbestimmtes auch, das sowohl Risiko als auch Chance zugleich mit sich bringt. Die Frage nach der Identität – auch, ja vorallem im Zusammenhang mit der Sprache und dem Sprachverhalten – einer Volksgruppe, einer Minderheit, kann nicht nur allein aus der Tradition und ihrem Verständnis, kann nicht nur von der Vergangenheit her gestellt, erörtert und beantwortet werden, sondern diese Frage ist eine Frage an die Zukunft und nach der Zukunft einer Volksgruppe. Sie postuliert die Antwort, wie diese Zukunft aussehen soll, kann und wird, vorallem aber, wie die Zukunft bewältigt werden kann. Mit dieser Frage und der zu findenden Antwort ist auch die Frage nach der Identität aufs engste verknüpft.
Was bedeutet dies nun für die Sprache, für die Sprache einer Volksgruppe – in diesem Fall die der burgenländischen Kroatinnen und Kroaten? Was bedeutet Identität in Bezug auf Sprache; und dabei nicht nur und nicht sosehr auf die Sprache der Bücher, sondern auf die der Menschen, auf ihr Sprachverhalten, auf ihr Ihre-Sprache-Sprechen? Eines sei gleich vorweggenommen: Sprache ist nie nur Identitätsmerkmal sondern Sprache ist Identitätsträger, die eigene Sprache sprechen ist Identitätsvollzug. Die Sprache und diese Sprache sprechen – und zwar so, daß man der Sprache auch gerecht wird – das sind die beiden wesentlichsten, voneinander untrennbaren Voraussetzungen, auf denen die Identität einer Volksgruppe und ihrer Angehörigen beruht, in ihr und dadurch realisiert wird. Nicht im traditionellen Brauchtumsverhalten, das ohnedies oft genug zum Folklorekitsch verkommt und wo etwas Wesentliches darin und damit mißbraucht wird, nicht in der Tracht, nicht – jedenfalls nicht nur – in der Tamburicamusik und im Volkslied liegt der Hort der Bewahrung der eigenen Identität, sondern in der lebendigen Sprache, sowohl in der des Alltags, als auch in jener der Kunst, der Literatur.
Ja gerade die Lebendigkeit der Sprache und die gelebte Identität werden zum Kriterium fürs Überleben. Dies gilt für jede Minderheit, für jede Minorität, also auch für die Volksgruppen, somit auch für Sprache und Kultur der Burgenland-Kroatinnen und -Kroaten. Nur was lebendig bleibt, d.h. sich richtig entwickelt, kann und wird überleben. Das ist keine Frage der Verweigerung und/oder der Anpassung. Das ist eine Frage der Definierung, vielleicht der notwendigen Neudefinierung von Identität, jener einer Volksgruppe; und dies im schmalen und unsicher gewordenen Grenzbereich zwischen den Koordinaten von eigener und fremder Nationalität; vorallem aber im Hinblick auf eine – ich sage: wünschenswerte – multikulturelle Zivilisationsgemeinschaft. Und dies nicht nur mit der Hoffnung, sondern mit dem Ziel, auf das gemeinsam hingearbeitet werden muß, in dieser Gemeinschaft die eigene Sprache und das Die-eigene-Sprache-Sprechen als etwas Eigenständiges, eben als seine Identität zu bewahren; und somit nicht nur selber zu überleben und am Leben zu bleiben, sondern damit auch einen wesentlichen Beitrag zu leisten zur Erhaltung einer bunten und vielfältigen Kulturlandschaft, gerade in einem vielleicht einmal wirklich geeinten Europa.
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Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.