Die Redaktion hat sich schon immer für Pop interessiert, gerade dort wo er sich zu Trash vulgarisiert.
Einer Medientheorie zufolge verschwinden Medien nicht, die Palette des Ausdrucks verbreitet sich lediglich. Kassettenrekorder sind eine spezielle Form von Audiorekordern, bei denen die Tonaufzeichnung analog auf Kompaktkassetten geschieht. Sie sind eine in den 1960er-Jahren populär gewordene kleine Variante der Tonbandgeräte. Die Compact Cassette (quasi der analoge Vorläufer des MP3-Formats), auch Audio-Kassette genannt, wurde 1963 von Philips auf der Internationalen Funkausstellung in West-Berlin vorgestellt und in den Markt eingeführt.
Dem Nachwuchs gebührte der kantige kleine Kasten mit seinen Schüben wüster Gefrässigkeit, bei denen – natürlich – gerade die besonders geliebten Tapes wie braune Spaghetti aus ihrem Behältnis gesaugt wurden. Man ärgerte sich, wickelte das Band geduldig zurück, wickelte ein zweites, fünftes, zehntes Mal, bis die Sache nicht mehr zu retten war. Wie anheimelnd wirkt er heute, der stille Kummer, mit dem man die Kassette am Ende dem Abfalleimer überantwortete.
Angela Schader
Mit dem Siegeszug der digitalen Tonaufzeichnung – vor allem des MP3-Formats als Träger für private Musiksammlungen – nahm die Bedeutung von Kassettenrekordern ab etwa dem Ende der 1990er-Jahre stetig ab. Mittlerweile sind nur noch wenige Kassettenrekorder im Handel erhältlich. Dies reizt zunehmend Audiokünstler.
In Bad Mülheim befindet sich Ana Ott, ein Independent-Label, das sich vor allem im Bereich der Avantgarde-Musik engagiert, der freien Improvisation und des Krautrock. Den Herausgebern Dennis Dycks und Felix Möser geht es darum, des Graben zwischen U und E einzuebnen. Aus dem Allgemeinen und Unspektakulären des postmodernen Lebens verstehen es die Herausgaber, das Besondere, das Staunenswerte, oft Unbegreifliche des Daseins zu machen. Und das in einem Ton, der immer dann an Schärfe und Dringlichkeit gewinnt, wenn es um neue Musik geht. Die Veröffentlichungen des Labels erscheinen ausschließlich auf Kassette, Schallplatte und Digital. CDs werden konsequenterweise nicht angeboten!
Ana Ott veranstaltet eine langfristige Konzertreihe als Kernstück der Labelarbeit. Sie soll experimentierfreudige Künstler aus dem Ruhrgebeat mit internationalen Kollegen zusammenbringen und einen Austausch fördern. Ein bis zwei Konzerte pro Monat finden im Mülheimer Kunst- und Technikzentrum Makroscope statt. Unermüdlicher Initiator ist Klaus Urbons, den man hier in einem Hörfilm zuhören kann.
Erinnerung wird zunehmend auf neue Technologien ausgelagert. Das Grundproblem der Erinnerungskultur, der Zeugenschaft, der Autorschaft, ist die Frage: Wer erzählt, wer verarbeitet, wem eine Geschichte gehört?
Wie das englische Wort lyrics (für Liedtext) verrät, basierten die antiken Vorläufer der Popmusik auf Texten, die zu den Klängen der Lyra vorgetragen wurden. Tonmeister Tom Täger hat das 1989 produzierte Tape the last pop-songs (vom DAT) digital remastered. Frank Michaelis und A.J. Weigoni haben die Energie und die Einfachheit von Pop genutzt, um komplexere Emotionen auszudrücken. Es ist beeindruckend, wie unbekümmert sie Stile, Genres und Ausdrucksmittel mischen. So entsteht eine intermediale Literatur, Poetry slams und Songtexte werden als künstlerische Artefakte wahrgenommen, die es mit ‚klassischer‘ Literatur aufnehmen kann. Sie hören ein Denkspiel über Pop, das selbst Pop ist, weil es Pop als körperverwandelndes Medium versteht und Popgeschichte als Mediengeschichte. MetaPhon präsentiert in der Reihe Revisited einen Rückblick auf „The Best Of Jugendsünden“. Jede Generation hat eine eigene Vorstellung davon, was ein Album ist, ihnen ist die Erzählung am Wichtigsten, das Tonträgerformat ist eine Limitierung. Der erste Schriftsteller, der den künstlerischen Wert der CD erkannte war A.J. Weigoni. In 1991 produzierte er mit dem Komponisten Frank Michaelis die LiteraturClips auf CD (der Claim Hörbuch war noch nicht abgesteckt) realisierte, und das für das Label Constrictor, weil die großen Verlage weiterhin die Compact Cassette für das Medium der Zukunft hielten.
Magnetizdat ist eine Ableitung von „Samizdat“ und „Tamizdat“, womit in der Sowjetunion Spielformen der Gegenkultur beschrieben wurden. Magnetizdat steht für die geheim in Umlauf gebrachten Magnetband-Kassetten. Sie waren Ausdruck von ästhetischem Widerstand, Freiheit und künstlerisch gelebten Anderssein
Magnetizdat DDR ist der direkte Nachfolger des 2006 im Verbrecher Verlag erschienenen, legendären Sammelbands Spannung. Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979–1990. Hier wie dort hören wir einen Ausdruck von ästhetischem Widerstand, Freiheit und künstlerisch gelebten Anderssein. In Texten und Gesprächen kommen zu Wort: Cornelia Schleime und Annett Gröschner, Christoph Tannert und Bert Papenfuß und Bo Kondren – und viele andere der damals Beteiligten. Im Gegensatz zu den Parteiparolen hieß das Gegenprogramm der Punks: „Untergrund und Anarchie, Untergrund ist stark wie nie.“ Oder wie Dieter ‚Otze‘ Ehrlich von Schleim-Keim textete: „Du bist zur Norm geboren / Schaffst du keine Norm / bist du hier verloren.“
Der Grund, überhaupt eine Band zu machen, war, dass wir aufgrund einer Ausstellung, die wir noch während des Studiums gemacht hatten, Ausstellungsverbot bekamen. Da haben wir uns gefragt, was haben wir denn in der DDR noch für eine Zukunft, wenn wir nicht mal ausstellen dürfen? Du willst ja mit deinen Aggressionen auch nach außen. Das Medium Musik war genau richtig, um unserem Frust Luft und Platz zu verschaffen.
Cornelia Schleime
Aufschlussreich zu lesen sind die Beiträge über die Frauen in der DDR-Subkultur – der bei aller Avantgarde – auch ein von Männern und der Stasi kontrollierter Raum war. Dies spricht die Erfurter Kunstaktivistin Gabriele Stötzer aus:
frauen, die sich gestatten, was männern ihnen innerlich und gesellschaftlich äußerlich verweigerten. das ging gegen ekelgrenzen, gegen schamgrenzen. haßgefühle, eifersucht, verachtung, alles kam heraus und gehörte plötzlich zum leben, auch zu den frauen, die sich als einzel-frau in einem notdürftig aufrecht erhaltenen sozialgefüge flickschusternd verweigernd kastrieren mussten.
In den letzten Jahren der DDR fanden Punk und seine experimentellen Verästelungen in Elektronischer Musik und Avantgarde-Rock und Pop auch in dem stillen Land ihre Hörer. Wer hörte, wollte oft aber auch mehr. Magnetizdat DDR erzählt, wie aus Konsumenten schnell Produzenten wurden und DDR-weit eine sich selbst verlegende Kassettentäter-Szene entstand,ein Magnetizdat, in Ableitung von Samizdat und Tamizdat in der sowjetischen Gegenkultur. Vor der Einführung des Vierspurrecorders und ohne professionelles Tonstudio sind es interessante Zeitdokumente und befragbare Experimente, die gelegentlich zu Bandsalat führten. Ein – wenn man es so betrachten möchte – Gegenstück zum Festival Genialer Dilletanten, das im Berliner Tempodrom-Zelt stattfand. Hier wie dort war dabei Multimedialität das Gebot der Stunde. Literaten ließen sich von Bands befeuern, Musiker entdeckten Barock- und die DaDaistische Lyrik, Super-8-Filmer und bildende Künstler griffen zum Mikrofon, und es entstand ein Geflecht, das international renommierte Band- und Labelprojekte wie Tarwater, To Rococo Rot und Raster-Noton hervorbrachte.
Es gab tatsächlich nichts, worüber ich nicht mit denen gesprochen hätte.
Sascha Anderson über die Gespräche mit der Stasi über seine postmodernen Theorien
Den Herausgebern ist es mit viel Wohlwollen gelungen, die spannenden, obskuren, vergessenen oder bizarren Projekte, Künstler und Verstrickungen unter real-sozialistischen Bedingungen wieder zu entdecken. Denn in der Diktatur des Proletariats ging so einiges unter dem offiziellen Radar staatlich verordneter Kulturpolitik. „Gefangene, in Grenzen frei“, wie es der Waschzettel knackig formuliert. Eine Pflicktlektüre für jeden Soziologen, der sich mit dieser Zeit beschäftigt.
Parallel zum Buch erscheint die Compilation „Magnetizdat DDR“ als Triple-LP auf dem eng mit Zonic verbundenen Sublabel Edition Iron Curtain Radio.
Warum nicht auf Tape?
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Kassettentäter ist der Überbegriff für eine Vielzahl von Veröffentlichungen die Ende der 1970er und vor allem in den 1980er Jahren in Deutschland erschienen sind. Gemeinsam war den Veröffentlichungen der Tonträger Kassette.
→ KUNO empfiehlt darüber hinaus die Compilations „Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989″
→ „Magnetband (Experimenteller Elektronik-Underground DDR, 1984-1989)“, die man hier anhören kann.
→ Magnetizdat DDR. Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990, Verbrecher-Verlag, Berlin 2023
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Weiterführend →
KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert.
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→ Laut Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“. Herr Nipp erhebt Einspruch, 1986 wurden zum ersten Mal mehr CDs als Schallplatten gekauft. Nun hat Vinyl die CD wieder überholt. Die Redaktion läßt nach diesem Pro auch ein Contra zu Wort kommen.
→ Lesen Sie zum Kassettenuntergrund auch den einführenden Essay vom 31. Mai 1989 aus dem KUNO-Online-Archiv.