Alle Eigenschaften der Dinge, wodurch sie ästhetisch werden können, lassen sich unter viererley Klassen bringen, die sowohl nach ihrer objectiven Verschiedenheit, als nach ihrer verschiednen subjectiven Beziehung auf unser leidendes oder thätiges Vermögen ein nicht bloß der Stärke sondern auch dem Werth nach verschiedenes Wohlgefallen wirken, und für den Zweck der schönen Künste auch von ungleicher Brauchbarkeit sind; nämlich das Angenehme, das Gute, das Erhabene und das Schöne. Unter diesen ist das Erhabene und Schöne allein der Kunst eigen. Das Angenehme ist ihrer nicht würdig, und das Gute ist wenigstens nicht ihr Zweck; denn der Zweck der Kunst ist zu vergnügen, und das Gute, sey es theoretisch oder practisch, kann und darf der Sinnlichkeit nicht als Mittel dienen.
Das Angenehme vergnügt bloß die Sinne, und unterscheidet sich darinn von dem Guten, welches der bloßen Vernunft gefällt. Es gefällt durch seine Materie, denn nur der Stoff kann den Sinn afficieren, und alles, was Form ist, nur der Vernunft gefallen.
Das Schöne gefällt zwar durch das Medium der Sinne, wodurch es sich vom Guten unterscheidet, aber es gefällt durch seine Form der Vernunft, wodurch es sich vom Angenehmen unterscheidet. Das Gute, kann man sagen, gefällt durch die bloße vernunftgemäße Form, das Schöne durch vernunftähnliche Form, das Angenehme durch gar keine Form. Das Gute wird gedacht, das Schöne betrachtet, das Angenehme bloß gefühlt. Jenes gefällt im Begriff, das zweyte in der Anschauung, das dritte in der materiellen Empfindung.
Der Abstand zwischen dem Guten und dem Angenehmen fällt am meisten in die Augen. Das Gute erweitert unsre Erkenntniß, weil es einen Begriff von seinem Object verschafft, und voraussetzt: der Grund unsers Wohlgefallens liegt in dem Gegenstand, wenn gleich das Wohlgefallen selbst ein Zustand ist, in dem wir uns befinden. Das Angenehme hingegen bringt gar kein Erkenntniß seines Objectes hervor und gründet sich auch auf keines. Es ist bloß dadurch angenehm, daß es empfunden wird, und sein Begriff verschwindet gänzlich, sobald wir uns die Affectibilität der Sinne hinwegdenken, oder sie auch nur verändern. Einem Menschen, der Frost empfindet, ist eine warme Luft angenehm; eben dieser Mensch aber wird in der Sommerhitze einen kühlenden Schatten suchen. In beyden Fällen aber wird man gestehen, hat er richtig geurtheilt. Das Objective ist von uns völlig unabhängig, und was uns heute wahr, zweckmäßig, vernünftig vorkommt, wird uns (vorausgesetzt, daß wir heute richtig geurtheilt haben) auch in zwanzig Jahren eben so erscheinen. Unser Urtheil über das Angenehme ändert sich ab, so wie sich unsere Lage gegen sein Object verändert. Es ist also keine Eigenschaft des Objects, sondern entsteht erst aus dem Verhältniß eines Objects zu unsern Sinnen – denn die Beschaffenheit des Sinns ist eine nothwendige Bedingung desselben.
Das Gute hingegen ist schon gut, ehe es vorgestellt und empfunden wird. Die Eigenschaft, durch die es gefällt, besteht vollkommen für sich selbst, ohne unser Subject nöthig zu haben, wenn gleich unser Wohlgefallen an demselben auf einer Empfänglichkeit unsers Wesens ruht. Das Angenehme, kann man daher sagen, ist nur, weil es empfundenwird; das Gute hingegen wird empfunden, weil es ist.
Der Abstand des Schönen von dem Angenehmen fällt, so groß er auch übrigens ist, weniger in die Augen. Es ist darinn dem Angenehmen gleich, daß es immer den Sinnen muß vorgehalten werden, daß es nur in der Erscheinung gefällt. Es ist ihm ferner darinnen gleich, daß es keine Erkenntniß von seinen Object verschafft, noch voraus setzt. Es unterscheidet sich aber wieder sehr von dem Angenehmen, weil es durch die Form seiner Erscheinung, nicht durch die materielle Empfindung gefällt. Es gefällt zwar dem vernünftigen Subject bloß insofern dasselbe zugleich sinnlich ist, aber es gefällt auch dem sinnlichen nur, insofern dasselbe zugleich vernünftig ist. Es gefällt nicht bloß dem Individuum, sondern der Gattung, und ob es gleich nur durch seine Beziehung auf sinnlich-vernünftige Wesen Existenz erhält, so ist es doch von allen empirischen Bestimmungen der Sinnlichkeit unabhängig und es bleibt dasselbe, auch wenn sich die Privatbeschaffenheit der Subjecte verändert. Das Schöne hat also eben das mit dem Guten gemein, worinn es von dem Angenehmen abweicht, und geht eben da von dem Guten ab, wo es sich dem Angenehmen nähert.
Unter dem Guten ist dasjenige zu verstehen, worinn die Vernunft eine Angemessenheit zu ihren, theoretischen oder practischen Gesetzen erkennt. Es kann aber der nämliche Gegenstand mit der theoretischen Vernunft vollkommen zusammenstimmen, und doch der practischen im höchsten Grad widersprechend seyn. Wir können den Zweck einer Unternehmung mißbilligen und doch die Zweckmäßigkeit in derselben bewundern. Wir können die Genüße verachten, die der Wollüstling zum Ziel seines Lebens macht, und doch seine Klugheit in der Wahl der Mittel und die Konsequenz seiner Grundsätze loben. Was uns bloß durch seine Form gefällt ist gut, und es ist absolut und ohne Bedingung gut, wenn seine Form zugleich auch sein Innhalt ist. Auch das Gute ist ein Object der Empfindung, aber keiner unmittelbaren, wie das Angenehme, und auch keiner gemischten wie das Schöne. Es erregt nicht Begierde, wie das erste, und nicht Neigung wie das zweyte. Die reine Vorstellung des Guten kann nur Achtung einflößen.
Nach Festsetzung des Unterschiedes zwischen dem Angenehmen, dem Guten und dem Schönen leuchtet ein, daß ein Gegenstand häßlich, unvollkommen, ja sogar moralisch verwerflich und doch angenehm seyn, doch den Sinnen gefallen könne; daß ein Gegenstand die Sinne empören und doch gut seyn, doch der Vernunft gefallen könne; daß ein Gegenstand seinem innern Wesen nach das moralische Gefühl empören, und doch in der Betrachtung gefallen, doch schön seyn könne. Die Ursache ist, weil bey allen diesen verschiedenen Vorstellungen ein anderes Vermögen des Gemüths und auf eine andere Art interessiert ist.
Aber hiermit ist die Klassifikation der ästhetischen Prädikate noch nicht erschöpft; denn es giebt Gegenstände, die zugleich häßlich, den Sinnen widrig und schrecklich, unbefriedigend für den Verstand und in der moralischen Schätzung gleichgültig sind, und die doch gefallen, ja die in so hohem Grad gefallen, daß wir gerne das Vergnügen der Sinne, und des Verstandes aufopfern, um uns den Genuß derselben zu verschaffen.
Nichts ist reizender in der Natur als eine schöne Landschaft in der Abendröthe. Die reiche Mannichfaltigkeit und der milde Umriß der Gestalten, das unendlich wechselnde Spiel des Lichts, der leichte Flor der die fernen Objecte umkleidet, alles wirkt zusammen, unsere Sinne zu ergötzen. Das sanfte Geräusch eines Wasserfalls, das Schlagen der Nachtigallen, eine angenehme Musik soll dazu kommen, unser Vergnügen zu vermehren. Wir sind aufgelöst in süße Empfindungen von Ruhe, und indem unsere Sinne von der Harmonie der Farben, der Gestalten und Töne auf das angenehmste gerührt werden, ergötzt sich das Gemüth an einem leichten und geistreichen Ideengang, und das Herz an einem Strom von Gefühlen.
Auf einmal erhebt sich ein Sturm, der den Himmel und die ganze Landschaft verfinstert, der alle andere Töne überstimmt oder schweigen macht, und uns alle jene Vergnügungen plötzlich raubt. Pechschwarze Wolken umziehen den Horizont, betäubende Donnerschläge fallen nieder, Blitz folgt auf Blitz, und unser Gesicht wie unser Gehör wird auf das widrigste gerührt. Der Blitz leuchtet nur, um uns das schreckliche der Nacht desto sichtbarer zu machen; wir sehen wie er einschlägt, ja wir fangen an zu fürchten, daß er auch uns treffen möchte. Nichts destoweniger werden wir glauben, bey dem Tausch eher gewonnen als verloren zu haben, diejenigen Personen ausgenommen, denen die Furcht alle Freyheit des Urtheils raubt. Wir werden von diesem furchtbaren Schauspiel, das unsere Sinne zurückstößt, von einer Seite mit Macht angezogen, und verweilen uns bey demselben mit einem Gefühl, das man zwar nicht eigentliche Lust nennen kann, aber der Lust oft weit vorzieht. Nun ist aber dieses Schauspiel der Natur eher verderblichals gut (wenigstens hat man gar nicht nöthig an die Nutzbarkeit eines Gewitters zu denken, um an dieser Naturerscheinung Gefallen zu finden) es ist eher häßlich als schön, denn Finsterniß kann als Beraubung aller Vorstellungen die das Licht verschafft, nie gefallen, und die plötzliche Lufterschütterung durch den Donner, so wie die plötzliche Lufterleuchtung durch den Blitz widersprechen einer nothwendigen Bedingung aller Schönheit, die nichts abruptes, nichts gewaltsames verträgt. Ferner ist diese Naturerscheinung den bloßen Sinnen eher schmerzhaft als annehmlich, weil die Nerven des Gesichts und des Gehörs durch die plötzliche Abwechselung von Dunkelheit und Licht, von dem Knallen des Donners zur Stille peinlich angespannt und dann eben so gewaltsam wieder erschlafft werden. Und trotz allen diesen Ursachen des Mißfallens ist ein Gewitter, für den, der es nicht fürchtet, eine anziehende Erscheinung.
Ferner. Mitten in einer grünen und lachenden Ebene soll ein unbewachsener wilder Hügel hervorragen, der dem Auge einen Theil der Aussicht entzieht. Jeder wird diesen Erdhaufen hinweg wünschen, als etwas, das die Schönheit der ganzen Landschaft verunstaltet. Nun lasse man in Gedanken diesen Hügel immer höher und höher werden, ohne das geringste an seiner übrigen Form zu verändern, so daß dasselbe Verhältniß zwischen seiner Breite und Höhe auch noch im Großen beybehalten wird. Anfangs wird das Mißvergnügen über ihn zunehmen, weil ihn seine zunehmende Größe nur bemerkbarer, nur störender macht. Man fahre aber fort ihn bis über die doppelte Höhe eines Thurmes zu vergrößern, so wird das Mißvergnügen über ihn sich unmerklich verlieren, und einem ganz andern Gefühle Platz machen. Ist er endlich so hoch hinaufgestiegen, daß es dem Auge beynahe unmöglich wird, ihn in ein einziges Bild zusammen zu faßen, so ist er uns mehr werth, als die ganze schöne Ebene um ihn her, und wir würden den Eindruck, den er auf uns macht, ungern mit einem andern noch so schönen vertauschen. Nun gebe man in Gedanken diesem Berg eine solche Neigung, daß es aussieht, als wenn er alle Augenblicke herabstürzen wollte, so wird das vorige Gefühl sich mit einem andern vermischen; Schrecken wird sich damit verbinden, aber der Gegenstand selbst wird nur desto anziehender seyn. Gesetzt aber man könnte diesen sich neigenden Berg durch einen andern unterstützen, so würde sich der Schrecken und mit ihm ein großer Theil unsers Wohlgefallens verlieren. Gesetzt ferner, man stellte dicht an diesen Berg vier bis fünf andere, davon jeder um den vierten oder fünften Theil niedriger wäre als der zunächst auf ihn folgende, so würde das erste Gefühl, das uns seine Größe einflößte merklich geschwächt werden – etwas ähnliches würde geschehen, wenn man den Berg selbst in zehn oder zwölf gleichförmige Absätze theilte; auch wenn man ihn durch künstliche Anlagen verzierte. Mit diesem Berge haben wir nun anfangs keine andere Operation vorgenommen, als daß wir ihn, ganz wie er war, ohne seine Form zu verändern, größer machten, und durch diesen einzigen Umstand wurde er aus einem gleichgültigen, ja sogar widerwärtigen Gegenstand in einen Gegenstand des Wohlgefallens verwandelt. Bey der zweyten Operation haben wir diesen großen Gegenstand zugleich in ein Object des Schreckens verwandelt, und dadurch das Wohlgefallen an seinem Anblick vermehrt. Bey den übrigen damit vorgenommenen Operationen haben wir das Schreckenerregende seines Anblicks vermindert und dadurch das Vergnügen geschwächt. Wir haben die Vorstellung seiner Größe subjectiv verringert, theils dadurch, daß wir die Aufmerksamkeit des Auges zertheilten, theils dadurch, daß wir demselben in den daneben gestellten kleineren Bergen ein Maaß verschafften, womit es die Größe des Berges desto leichter beherrschen konnte. Größe und Schreckbarkeit können also in gewissen Fällen für sich allein eine Quelle von Vergnügen abgeben.
Es giebt in der griechischen Fabellehre kein fürchterlicheres und zugleich häßlicheres Bild als die Furien oder Erinnyen, wenn sie aus dem Orcus hervorsteigen, einen Verbrecher zu verfolgen. Ein scheußlich verzerrtes Gesicht, hagre Figuren, ein Kopf der statt der Haare mit Schlangen bedeckt ist, empören unsre Sinne eben so sehr, als sie unsern Geschmack beleidigen. Wenn aber diese Ungeheuer vorgestellt werden, wie sie den Muttermörder Orestes verfolgen, wie sie die Fakel in ihren Händen schwingen, und ihn rastlos von einem Orte zum andern jagen, bis sie endlich, wenn die zürnende Gerechtigkeit versöhnt ist, in den Abgrund der Hölle verschwinden, so verweilen wir mit einem angenehmen Grausen bey dieser Vorstellung. Aber nicht bloß die Gewissensangst eines Verbrechers, welche durch die Furien versinnlicht wird, selbst seine pflichtwidrige Handlungen, der wirkliche Aktus eines Verbrechens, kann uns in der Darstellung gefallen. Die Medea des griechischen Trauerspiels, Clytemnestra die ihren Gemahl ermordet, Orest der seine Mutter tödet, erfüllen unser Gemüth mit einer schauerlichen Lust. Selbst im gemeinen Leben entdecken wir, daß uns gleichgültige, ja selbst widrige und abschreckende Gegenstände zu interessieren anfangen, sobald sie sich entweder dem ungeheuren oder dem schrecklichen nähern. Ein ganz gemeiner und unbedeutender Mensch fängt an, uns zu gefallen, sobald eine heftige Leidenschaft, die seinen Werth nicht im geringsten erhöht, ihn zu einem Gegenstand der Furcht und des Schreckens macht; so wie ein gemeiner nichts sagender Gegenstand für uns eine Quelle der Lust wird, sobald wir ihn so vergrößern, daß er unser Fassungsvermögen zu überschreiten droht. Ein häßlicher Mensch wird noch häßlicher durch den Zorn, und doch kann er im Ausbruch dieser Leidenschaft, sobald sie nicht ins Lächerliche, sondern ins Furchtbare verfällt, gerade noch den meisten Reiz für uns haben. Selbst bis zu den Thieren herab gilt diese Bemerkung. Ein Stier am Pfluge, ein Pferd am Karren, ein Hund, sind gemeine Gegenstände; reizen wir aber den Stier zum Kampfe, setzen wir das ruhige Pferd in Wuth, oder sehen wir einen wüthenden Hund, so erheben sich diese Thiere zu ästhetischen Gegenständen, und wir fangen an, sie mit einem Gefühle zu betrachten, das an Vergnügen und Achtung grenzt. Der allen Menschen gemeinschaftliche Hang zum Leidenschaftlichen, die Macht der sympathetischen Gefühle, die uns in der Natur zum Anblick des Leidens, des Schreckens, des Entsetzens hintreibt, die in der Kunst soviel Reiz für uns hat, die uns in das Schauspielhaus lockt, die uns an den Schilderungen großer Unglücksfälle soviel Geschmack finden läßt, alles dieß beweißt für eine vierte Quelle von Lust, die weder das Angenehme, noch das Gute, noch das Schöne zu erzeugen im Stand sind.
Alle bisher angeführten Beyspiele haben etwas objectives in der Empfindung, die sie bey uns erregen, mit einander gemein. In allen empfangen wir eine Vorstellung von Etwas „das entweder unsere sinnliche Fassungskraft oder unsere sinnliche Widerstehungskraft überschreitet“, oder zu überschreiten droht, jedoch ohne diese Überlegenheit, biß zur Unterdrückung jener beyden Kräfte zu treiben, und ohne die Bestrebung zum Erkenntniß oder zum Widerstand in uns niederzuschlagen. Ein Mannichfaltiges wird uns dort gegeben, welches in Einheit zusammen zu fassen unser anschauendes Vermögen bis an seine Grenzen treibt. Eine Kraft wird uns hier vorgestellt, gegen welche die unsrige verschwindet, die wir aber doch damit zu vergleichen genöthigt werden. Entweder ist es ein Gegenstand, der sich unserm Anschauungsvermögen zugleich darbietet und entzieht, und das Bestreben zur Vorstellung weckt, ohne es Befriedigung hoffen zu lassen, oder es ist ein Gegenstand, der gegen unser Daseyn selbst feindlich aufzustehen scheint, uns gleichsam zum Kampf herausfodert und für den Ausgang besorgt macht. Eben so ist in allen angeführten Fällen die nämliche Wirkung auf das Empfindungsvermögen sichtbar. Alle setzen das Gemüth in eine unruhige Bewegung und spannen es an. Ein gewisser Ernst, der bis zur Feyerlichkeit steigen kann, bemächtigt sich unserer Seele, und indem sich in den sinnlichen Organen deutliche Spuren von Beängstigung zeigen, sinkt der nachdenkende Geist in sich selbst zurück, und scheint sich auf ein erhöhtes Bewußtseyn seiner selbständigen Kraft und Würde zu stützen. Dieses Bewußtseyn muß schlechterdings überwiegend seyn, wenn das Große oder das Schreckliche einen ästhetischen Werth für uns haben soll. Weil sich nun das Gemüth bey solchen Vorstellungen begeistert und über sich selbst gehoben fühlt, so bezeichnet man sie mit dem Namen des Erhabenen, ob gleich den Gegenständen selbst objektiv nichts Erhabenes zukommt, und es also wohl schicklicher wäre, sie erhebend zu nennen.
Wenn ein Objekt erhaben heißen soll, so muß es sich unseren sinnlichen Vermögen entgegensetzen. Es lassen sich aber überhaupt zwey verschiedene Verhältnisse denken, in welchen die Dinge zu unsrer Sinnlichkeit stehen können, und diesen gemäß muß es auch zwey verschiedene Arten des Widerstandes geben. Entweder werden sie als Objecte betrachtet, von denen wir uns ein Erkenntniß verschaffen wollen, oder sie werden als eine Macht angesehen, mit der wir die unsrige vergleichen. Nach dieser Eintheilung giebt es auch zwey Gattungen des Erhabenen das Erhabene der Erkenntniß und das Erhabene der Kraft.
Nun tragen aber die sinnlichen Vermögen nichts weiter zur Erkenntniß bey, als daß sie den gegebenen Stoff auffassen und das Mannichfaltige desselben im Raum und in der Zeit aneinander setzen. Dieses Mannichfaltige zu unterscheiden, und zu sortieren ist das Geschäft des Verstandes, nicht der Einbildungskraft. Für den Verstand allein giebt es ein Verschiedenes, für die Einbildungskraft (als Sinn) bloß ein Gleichartiges, und es ist also bloß die Menge des Gleichartigen (die Quantität nicht die Qualität) was bey der sinnlichen Auffassung der Erscheinungen einen Unterschied machen kann. Soll also das sinnliche Vorstellungsvermögen an einem Gegenstand erliegen, so muß dieser Gegenstand durch seine Quantität für die Einbildungskraft übersteigend seyn. Das Erhabene der Erkenntniß beruht demnach auf der Zahl oder der Größe, und kann darum auch das mathematische heißen.
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Quelle: G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig, 1793
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