Etwas vom Humor

 

Beim alten Schopenhauer steht, wie alles, so auch das: »Denn näher betrachtet, beruht der Humor auf einer subjektiven, aber ernsten und erhabenen Stimmung, welche unwillkürlich in Konflikt gerät mit einer ihr sehr heterogenen, gemeinen Außenwelt, der sie weder ausweichen, noch sich selbst ausweichen kann; daher sie zur Vermittlung versucht, ihre eigene Ansicht und jene Außenwelt durch die selben Begriffe zu denken, welche hierdurch eine doppelte, bald auf dieser, bald auf der andern Seite liegende Inkongruenz zu dem dadurch gebrachten Realen erhalten, wodurch der Eindruck des absichtlich Lächerlichen, also des Scherzes entsteht, hinter welchem jedoch der tiefste Ernst versteckt ist und durchscheint. Fängt die Ironie mit ernster Miene an und endigt mit lächelnder, so hält der Humor es umgekehrt.« Das ist keine Kathederdefinition eines Pedanten, sondern die tiefste Erkenntnis eines Stoffes, der alle lachen und so wenige nachdenken macht. Das ist seine Erklärung. Das ist Humor.

Die nordischen, die germanischen Völker haben Humor – die Engländer zum Beispiel einen grotesken (den der ernsthafte Deutsche leicht albern findet, was er aber nicht ist); jener englische Humor macht sich über das menschliche Gehirn und seine Funktionen lustig und schlägt die gedankliche Abstraktion mit der platten Nüchternheit der realen Welt. Das ist nichts Ausgedachtes – jeder gute Clown beweist es immer aufs neue.

Wir Deutschen haben Humor – ja, man kann fast versucht sein, zu sagen, deutscher Humor, das sei fast ein Pleonasmus, so wie deutsche Musik. Und beinahe ist es in der Tat auch so.

Doch haben wir nicht viele Humoristen. (Der oben zitierte alte Herr: »Demgemäß heißt heut zu Tage ein Humorist, was ehemals ein Hanswurst genannt wurde.«) Jeder Humorist ist ein Philosoph, und ein solcher arbeitet nicht schludrig. Gerade er muß das feinste Gefühl für die Form haben, für die Sprache – und er muß nicht nur fühlen, er muß auch arbeiten können. Daher sind in der Kunst die Humoristen so selten.

Nun gibt es aber – wie in der Lyrik – ein Naturburschentum des Humors, das mit Kunst nur sehr mittelbar etwas zu tun hat, insofern sein Niederschlag aufgeschrieben wird wie ein literarisches Kunstwerk auch. In den meisten Fällen wirds aber gar nicht aufgeschrieben.

In Walter Rathenaus »Reflexionen« stehen zwei gute Seiten, auf denen er sagt, dass der Mann des Lebens überhaupt nicht schreibt. (Wenn ers einmal tut, belügt er sich meist.) Er schweigt und lebt. Taut ihm aber einmal die Zunge auf, in einer gemütlichen Kneipstunde um einen runden Tisch herum, am Kaminfeuer, unterwegs auf einer stillen Wanderung zu zweien – dann kommen Köstlichkeiten ans Tageslicht, von denen sich der Literat nichts träumen läßt. Behaglich Tiefgeschautes, lächelnd Beobachtetes, schmunzelnd Festgestelltes. Und abermals: auch das ist Humor.

Wir haben uns der seltenen Fälle zu freuen, wo ein solcher Mann das aufgeschrieben hat, was er sonst – krafterfüllt und auf alles andere bedacht als auf Wirkung – seinen Freunden, mit der Pfeife in den Zähnen, zu erzählen pflegte. Solcher: das ist zum Beispiel Stefan v. Kotze; und was er erzählt hat, heißt »Australische Skizzen« (im Verlage der Täglichen Rundschau in Berlin neu herausgegeben). Stefan v. Kotze ist tot, berühmt ist er nie gewesen. Man darf ihn auch gar nicht literarisch werten; das verträgt er weder, noch kommt man ihm damit einen Schritt näher. Und doch strotzt er von Leben, und doch ist er ein Humorist.

Es sind einfach kleine Skizzen, Geschichtchen, lose Schilderungen Australiens der achtziger und neunziger Jahre. Kotze hat verteufelt wenig von Nationalökonomie und Prinzipien der Geschichte, von Geographie und Geologie gewußt, und vielleicht hat er auch nicht daran »geglaubt«. (Denn mit manchen Wissenschaften ist es wie mit dem Schwimmen: man muß daran glauben.) Er erzählt einfach so hin. Aber was ist für ein Saft und für eine Kraft in diesen kleinen Dingern!

In anekdotengespickten Aufsätzen macht er sich daran, das Leben und Tummeln fremder Menschen im fremden Erdteil zu ergründen. Was ihm sofort und zuallererst auffällt, ist das Getue. (Gustav Wied: »Der Mensch unterscheidet sich vom Tier hauptsächlich durch sein Getue.«) Wie die einfachen Cowboys ihre eingefleischten Sitten haben, wie sie spucken und wie sie sprechen, das hat er ihnen trefflich abgeguckt. Obgleich, nein, weil er von außen kommt, ist ihm die Komik ihrer ernst gemeinten Tätigkeiten aufgegangen. Jahrzehntelang treiben sie ihr Spiel, immer mit denselben Gebräuchen, denselben Worten, denselben Gedankenverbindungen und denselben Regeln. Und dann kommt einer und schöpft die Sahne ab: und wir müssen lächeln. Und spüren bei jedem Wort: das ist humoristisch, weil es so lebensecht ist.

Da ist eine Geschichte von einer Känguruhjagd – mir kullern noch jedesmal die hellen Tränen heraus, wenn ich das lese. Die Sache fängt ganz vergnügt an, die Reiter reiten aus, das Wetter ist gut, das Wild ist da; aber allmählich geht das Ding schief, der »alte Mann«, wie das Känguruh dort genannt wird, boxt beinahe den Herrn Viehstationsvorsteher zu Tode, es wird mit Mühe erlegt, ein Pferd geht durch, eins bockt, und schließlich rast die unvermutete Flut das bisher ausgetrocknete Flußbett herunter und verschlingt: Frühstück, Hunde, wahrscheinlich einen Nigger und die Hoffnung aufs Nachhausekommen. Und wie nun alles in die Binsen gegangen ist, wie auch nicht eine Sache bei dem ganzen Jagdausflug geklappt hat, da – »Der Vorsteher blickte wehmütig auf das wirbelnde Wasser. Dann drehte er sich langsam im Sattel um und sagte, ehrfurchtsvoll seinen Hut hebend: ›Gott segne dieses Land!‹« Das ist Humor.

Und es gibt eine andere Geschichte von einem, der von einem Baum halb totgeschlagen wurde, aber eben nur halb, und er warf seinen Lasso nach seiner Flinte, die ein paar Fuß davon lag, und er bekam sie nicht. Und dann kamen die großen Ameisen … Und so fanden sie ihn denn. Der Kutscher, der Kotze das erzählt, zeigt ihm auch das Grab. Und Kotze liest: »›Tantalus. 15.12.1890.‹ ›Tantalus?‹ wiederholte ich erstaunt. Der Alte schmunzelte. ›Und da ich ihn nicht selbst kannte, so schnitt mein Passagier das ausländische Wort da in die Rinde. Das wäre sein Familienname, sagte er. Aber er grinste dabei, und ich glaube, er hat mich aufziehen wollen. Haben Sie je so einen Namen gehört?‹ setzte er hinzu, mit der Peitsche knallend. Ich klammerte mich vorbereitend an die Lehne meines Sitzes. ›Ja‹, antwortete ich leise. ›Das ist sogar eine sehr weit verbreitete Familie.‹« –

Wem es da nicht den Buckel herunterläuft, dem ist nicht zu helfen. Und auch dies ist Humor.

Und Humor ist es, die tausenderlei Arten des Fluchens (im Englischen eine Art Eintrittbillet für das Fegefeuer) so pedantisch und scheinbar gewissenhaft zu schildern. »Er fluchte wirklich schön. Und offenbar tat es ihm wohl.«

Und Humor ist es, in all dem herzbrechenden Jammer, den das Wort Australien einschließt – die Menschen quälen sich und rackern sich ab, eigentlich nur, um sich auch weiterhin abquälen zu dürfen –, fast sachlich und bis zum Symbol gesteigert, still den Werdegang eines Buschreiters, eines Arbeiters festzustellen. Der Ritt, den ein Goldwäscher alljährlich mit gefüllter Brieftasche in die Stadt unternimmt, in die Freiheit, aber nicht an der nächsten Buschkneipe vorbeikommt, aus der er am nächsten Tage zerschunden, verkatert und mit leerem Beutel herausfliegt, das ist mehr als eine Allegorie.

Stil hat Kotze gar nicht. Wenn er bewußt spaßig sein will, erinnert er an den barocken Humor der Romantiker – aber das ist nichts. Am lustigsten bleibt er, wenn er so schnoddrigkoddrig seins hinschreibt, wie ihm der Schnabel wuchs. »Bewaffnet war er mit einem penetranten Geruch.« Oder von einem Wasserloch, in dem ein toter Ochse liegt, getrunken wird aber doch draus: »›Geben Sie mal den Topf her!‹ Der Squatter nahm das Geschirr, stieg in das Loch hinab und holte sich eine Quantität des flüssigen Düngers heraus, gerade wo ehemals der Magen des Seligen gewesen war.« Wer sich so über eine verdammte Mühsal lustig machen kann, der hat Humor.

Und Kotze war ein Mann. (Es gibt noch so einen unter den Weltenbummlern; ja nicht Hännschen Heinzchen Ewerschen, diesen Poseur der Roheit. Ich meine den Reichsfreiherrn Eugen v. Binder-Krieglstein, der sich zu Beginn des Krieges erschossen hat. Seine beiden Bücher sind im Verlage von Egon Fleischel erschienen. Sie heißen: »Zwischen Weiß und Gelb« und »Im Lande der Verdammnis«.) Kotze war ein Mann und erkannte das, was in ihm war, auch bei anderen: die Kraft. Und er kannte die Frauen – nicht so die Damen, aber das Weib. Allein den Satz »Hysterie ist keine Romantik, selbst bei einem Backfisch nicht!« – den kann man sich nicht ausdenken, den muß man aus einem ganzen Leben herausdestillieren.

Er war ein Mann, und er sah. So, wenn er von dem überflüssigen Missionswesen spricht, von der Wilhelmstraße und dem berliner Assessor (ein schmerzliches Thema!) – so, wenn er vorausschaut, welch ein großer Kampf sich einmal am Stillen Ozean abspielen wird. (Diese Prophezeiung steht auch bei Wilhelm Raabe, in den »Leuten aus dem Walde«.) Er war ein Mann und ein ganzer Kerl mit rotem deutschem Herzblut.

Man hat ihn zu Unrecht mit dem amerikanischen Erzähler Bret Harte verglichen. Das trifft nur die Form – manchmal glaubt man in der Tat, eine Übersetzung aus dem Englischen vor sich zu haben. Aber zutiefst in der Seele war Kotze kein Literat und kein Schriftsteller. Ihm schlug in der Brust das ewig unruhige, nie zufriedene, in Sehnsucht emporverlangende Herz des Deutschen. Und in einer Kammer dieses Herzens: da wohnt der Humor.

 

 

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Quelle: Frankfurter Zeitung, 23.10.1918.

Kurt Tucholsky zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Die Weltbühne erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. Zugleich war er Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor, Lyriker und Kritiker (Literatur, Film, Musik). Er verstand sich selbst als linker Demokrat und warnte vor der Erstarkung der politischen Rechten – vor allem in Politik, Militär und Justiz – und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus. „Der niemals zu unterdrückende Drang, die Wahrheit zu sagen“, ist Tucholskys Motiv, und als er erleben muss, dass in Deutschland die Republik versinkt und ein umjubelter Diktator mit ausgestrecktem Arm an die Macht kommt, verstummt die mahnende Stimme Tucholskys im schwedischen Exil: „Man kann nicht schreiben, wo man nur noch verachtet.“