Glosse

 

Da in früheren Jahren der mir feindselige Kretinismus zu dem Argumente gegriffen hat, daß es meine Beschäftigung sei, die Druckfehler der Tagespresse zu korrigieren, so will ich diese Meinung einmal ins Recht setzen und mitteilen, daß ich bei der Lektüre eines Aufsatzes über Edgar Poe im ‚Fremdenblatt‘ den folgenden Satz gefunden habe: »Poe, der Instinktmensch, Poe, der ehrliche Phantast im ehrlichen Trance Kleipert, sein berühmtestes Gedicht mit handwerksmäßig kühler Berechnung«. Nach der Lektüre dieses Satzes hatte ich sofort eine grauenhafte Poe’sche Vision. Ich stellte mir den Bildungszuwachs vor, der beim Normalleser in solchem Falle eintritt. Dieser Kleipert beginnt ihn zu interessieren. Wer ist Kleipert? Ein Instinktmensch, ein ehrlicher Phantast im Stile Poes? Nein, sagt ein anderer, der Satz ist zwar unklar, aber darüber kann kein Zweifel sein, daß Kleipert kein Autor ist, sondern bloß der Titel eben jenes Poe’schen Gedichtes. Aber er sucht, und findet es in den Werken Poes nicht. So muß es doch wohl der Name eines ollen ehrlichen Phantasten sein, den das Konversationslexikon aus irgend einem Grunde nicht nennt? Wer ist Kleipert? Man weiß es nicht; aber die Frage wird so oft gestellt werden, daß der Name bleibt. Europa wird sich an den Namen gewöhnen und gerade weil niemand weiß, wen er vorstellt, werden sich viele dadurch hervortun, daß sie es zu wissen behaupten. Und wenn man das Problem dieses neuen Ruhmes behorcht, so muß man sich fragen, wie viele Meinungen in der Welt durch Druckfehler entstanden sein mögen, und ob nicht die Druckfehler überhaupt der verläßlichere Teil dessen sind, was die Tagespresse bietet. Man sagt viel zu wenig, wenn man einen Autor, der sich der Druckpresse anvertraut, mit dem Troste beruhigt, das Publikum merke Druckfehler nicht. Das Publikum beachtet gerade sie und zieht aus ihnen den besten Gewinn an Bildung. Ich erinnere mich an meine erste kritische Arbeit. Sie erschien und enthielt den Satz: »Die Inhaltsangabe des ersten Aktes sollte etwas weniger dürftig sein«. Es war eine schlichte Bemerkung, die der Redakteur zu dem Zwecke ins Manuskript geschrieben hatte, um mir eine Ergänzung zu empfehlen. Das Manuskript wurde aber vorschnell gedruckt, und ich glaube, daß die Leser einen starken Eindruck von dieser kritischen Bemerkung empfangen haben. In derselben Zeitschrift, die sich damals infolge ihrer originellen Druckfehler ein Publikum erobert hatte, erschien einmal die Kritik einer Burgtheateraufführung, in der die Schauspielerin Stella Hohenfels nicht mit jener Anerkennung bedacht wurde, die sie verdiente. Das scheint auch der Redakteur empfunden zu haben. Denn an die Reihe kritischer Bemerkungen des Autors schloß sich der Satz: »Wäre mir unangenehm wegen meiner Verbindung mit Berger«. Ich bin davon überzeugt, daß gerade dieser Satz seine Wirkung auf die Leser nicht verfehlt hat. Die Druckfehler sind die Opposition des Setzers gegen Lüge und Unverstand, und der Setzer ist der erste Leser. Schon deshalb ist es töricht, sie zu korrigieren. Sie sind das, was von einem Artikel bleibt. Ich warf einem Moralisten einen »Salto morale« vor. Das gibts nicht, sagte der Setzer, der den Standpunkt der Intelligenz vertrat, und wollte einen Salto mortale daraus machen. Ich telegraphierte an die Druckerei, es solle nicht Salto mortale, sondern Salto morale heißen. Der Telegraphenbeamte, der der zweite intelligente Leser war, fragte mich, ob ich das nicht umgekehrt habe sagen wollen, und als ich dabei blieb, ergab er sich mit einem Kopfschütteln in seinen schweren Dienst. Der Leser hat immer recht, also auch der Setzer. Als ich einmal aus der Sprache des Herrn Harden die Wendung übersetzen wollte: »Innerer Hader, der sich an die Stelle des Festens drängt«, sagte der Setzer nein und behauptete, es müsse heißen: Immer der Harden, der sich an die Stelle des Fechters drängt. Hat er nicht recht gehabt? Und als einer sich vermaß, zu sagen, daß Poe, der ehrliche Phantast, sein berühmtestes Gedicht mit Berechnung klempnert, half sich der Setzer und sagte: Kleipert. Denn es ist besser, daß sich bei den Lesern des ‚Fremdenblatts‘ der Glaube an diesen als ein Mißtrauen gegen Poe festsetzt.

 

 

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Edgar Allan Poe 1848 (Daguerreotypie)

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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