Rückblende

Nachbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machten wir das Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar. Für alle, die er eher als bibliophile Ausgabe mögen, der Katalog ist in limitierter und handsignierter Auflage erhältlich. Als Besucher der Werkstattgalerie Der Bogen erinnert sich Herr Nipp daran:

Mal wieder eine lange Nacht. Vier Uhr daheim. Schlafen bis 9 Uhr. Der Morgen zerknittert. Herr Nipp schleicht holprig zur Küche. Freizeit, hosengebeult am Knie, hängt am Hüftknochen. Shirt. Alles schwarz. Kein Zähneputzen. Aber Hunger und Sucht auf Kaffee, Belabung und Weißbrot. Aufstrich wie immer süß. Unkonzentriert zur Kaffeemaschine. Das übliche Prozedere, wie jeden Morgen. Die Beine schmerzen leicht und dumpf. Die Maschine bestücken. Zwei Tassen, schwarz. Und drücken. Ja. Rot, rot nochmal: Die Tasten leben. Herr Nipp noch nicht. Nun die Zeitung hochholen. Sechs Treppen. Also zwölf. Und die Mitbewohner. Gehste runter normal. Geht immer eine Tür auf. Hallo guten Morgen, und wie geht es. „War die Post schon da?“ Sie sehen schlecht aus. Nippschock. Wird sich ändern. Nach dem Kaffee.

Herr Nipp ist frohgemut, fast heiter. Wie immer, weil gewöhnt.

Alles hinstellen. Also den Ablauf im Auge haben. Weißbrot mit Grafschafter Goldsaft. Lecker.  So, fertig, und nun die Überschriften. Wer legt hier wen flach? Lesen, sofort. Doch jetzt in diesem Moment, während Herr Nipp liest, läuft dieser Goldsaft, sprich Rübenkraut auf das Brettchen ab. Gefahr ja. Alles klebrig – Herr Nipp, der Logistiker, kommt durch: Messer unter das Brot schieben. Abwägen.

Nipp – Feinmotorik: eine gerade Ebene, ohne Gefälle. Nicht einfach. Stuhl nach hinten. Zeitung zur Seite. Auguren auf Knien. Augen auf Knien. Zeitung zur Seite, Augen auf, knien, also Froschperspektive. Tisch/ Brettchen/ Brotscheibe. Finger kleben. Nipp nervös. Messergriff klebt. Nipp nervös. Zeigefinger, Daumen klebt. Eine Hand frei für die Zeitung. Das Papier gibt nach. Schrift. Entzieht sich seinen Augen. Herr Nipp genervt. Der Tag beginnt nicht gut. Wie damals im zweiten Schuljahr. Die Pausenbrote in Pergamentpapier eingewickelt, braun, dunkel durchtränkt mit Rübenkraut. Dann essen (sehr lecker), das Heft klebrig. Und gleich noch Religion, Neues Testament. Der Barabas. Mein Gott. Manche Sachen bleiben immer gleich. Das Wort >Ablauf< hat plötzlich eine andere Bedeutung.“

Nein, er fühlte sich nicht konkret erinnert. Ja, er hatte immer gerne Rübenkraut gegessen und das gab es nur von dieser Firma. Nie aber hatte die Mutter Schulbrote damit geschmiert. Für die Schule gab es Hausmacherleberwurst, Hausmacherblutwurst. Herr Nipp hatte diese Butterbrote nie gerne gegessen, manchmal aber gab es Käse, lecker.

Tage später fragte sein Freund Karl Hosse, was er denn von dem Text halte, den er über Herrn Nipp geschrieben habe.

 

 

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Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse in der Edition Das Labor, Neheim 2014

Die Künstlerbücher Unbehaust, Faszikel und Idole sind ebenso wie die Neuerscheinung Etwa 40 % Prozent erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0157 889 239 67

Weiterführend

Lesen Sie bitte auch das Kollegengespräch zwischen Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, es ist eine Ergänzung zum Projekt Kollegengespräche. Zum Thema Künstlerbucher lesen Sie bitte auch den Artikel von J.C. Albers.