La voix du Pirandello

Ein paar Gedanken zu Pirandellos Drama „Sechs Personen suchen einen Autor“

Das ist „Tricktheater“, meinte Emil Faktor in seiner Kritik vom 31.12.1924 im Berliner Börsen-Kurier zum Stück Pirandellos. Das Spiel der sechs Personen, die ihr Leben (in einer fiktiven Theater-Probe) auf die Bühne bringen wollen, kippt zuletzt um in tödliche Wirklichkeit: zwei Kinder werden erschossen und sind tot.

Es ist natürlich nur ein Spiel des Autors, dessen Personen ihre Probleme im Theater lösen wollen – aber nie kann dies geschehen, sie bleiben Gefangene ihres mit ihnen spielenden Autors, den sie nicht suchen, wie es der Titel des Dramas besagt. Sie sind sich ihrer Abhängigkeit von einem Autor nicht bewusst, und das ist ja immer so im Drama, es sei denn sie halten Gott oder die Götter für den Autor.

Kann eine erfundene Geschichte wie die der sechs Personen real sein? Ja, auch umgekehrt kann es sein: dass eine erfundene Geschichte erst später real wird.

Pirandello sucht die perfekte aristotelische Illusionierung – der Zuschauer soll glauben, was er auf der Bühne sieht. Dazu muss die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gegeben sein. Pirandellos Trick: Der Spielort ist das Theater, die Bühne. Der Autor spielt mit der Poetik des Aristoteles, die er – im Gegensatz zu Bert Brecht – vollkommen einhält, was die Illusionierung des Zuschauers betrifft. In ironischer Distanz, wenn man’s recht bedenkt, insofern kippt sein Konzept ein wenig um in Richtung episches Theater.

Das Stück selbst ist ja nur als Theaterprobe gedacht – es könnte auch nur eine einzige geben, weil am Ende zwei Kinder der ihr Leben probenden Personen sterben. Es käme also eigentlich nie zur Aufführung des Dramas, da es kein Theaterstück sein kann.

So gesehen handelt es sich tatsächlich um die Selbstnegation des Kunstwerks. Oder lässt sich die Selbstnegation als Bestandteil des Kunstwerks auffassen?

Pirandello nannte sein Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit „Umorismo“. Dazu lassen sich auch ältere Auffassungen rechnen – das Leben ein Traum, das Leben ein Spiel … Bei Pirandello spielt der Autor mit, er spielt mit seinen dramentheoretischen Gedanken, er spielt auch mit sich selbst. Meint er damit die Selbstnegation seines Werks? Keineswegs! Zwar wird die Geschichte seiner sechs Personen sekundär, ja zum Mittel seines dramentheoretischen Spiels, denn die Akteure sind sich ihres instrumentalisierten Spiels nicht bewusst. Negiert sich das Ganze, wenn dieses Spiel eines Spiels über sich selbst reflektieren würde (was durchaus möglich wäre, z. B. durch einen Spielleiter als Regisseur)? Nein. Zwar verlieren die sechs Personen ihren Autor, der sie fallen lässt in ihre emotionale Katastrophe. Vielleicht geht es nicht anders, auch wenn Pirandello sagen will, die Sechs müssen sich selbst finden und erfinden, also sich selbst zu Autoren machen. Wenn es ihnen nicht gelingt, dann soll es dem Zuschauer gelingen. Er kann Pirandellos Stück „Sechs Personen suchen einen Autor“ heute auch als conceptual art auffassen. So wird er selber zum Autor, vielleicht auch zum Autor seines eigenen Lebens.

 

 

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Weiterführend →

Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie einen Artikel zu Schlangegeschichten.