Zischender Zustand

teil seiner ganzenlebensarbeit ist ja wohl auch, durch übersteigerte ordnung subversive unordnung und verwischung der grenzen zu schaffen

Crauss

Du spürst es nicht, kannst die bis in Fingerbeere, Haarspitze, Pore emp­fundene und am liebsten wortlose ›Be­geisterung‹ für die dialo­gisch polyphonen »sprachlichen Gebilde, die in sich stehen«, wie Gadamer es ins Wort faßt, nicht nach­emp­finden? »Hier spricht die Sprache« · Roland Bar­thes. Und Bensch blickt mich, ein wenig rat­los, an, Kraus mit kühlen Augen, in denen ich die »Unlesbarkeit dieser / Welt« (P.C.) zu erkennen ver­meine. Bin ich also alleingelassen? Oh, nein. Ich lausche Hélène Gri­maud, wie sie, zauberhaft luft­malerisch, Mozarts Klavierkonzert Nr. 19 spielt, und die Augen gehen hin zu dem von Gedicht­büchern einge­rahm­ten Trip­tychon, das, rechts vom Schreibtisch, den Blick immer wieder, ma­gisch, anzieht. ›Vollen­det‹ ist diese kleine »petersburger hängun’« (Thomas Kling), seit A. J. Weigoni (dem ich zudem Gri­maud ver­danke), mir den post­kartenklei­nen apfelsinengelbfarbenen Akt von Haimo Hieronymus schenkte, den ich, im Zusammenspiel mit R. A. Westphals grauem »Schama­nen«, der, naturgemäß, pfeiferau­chend, trommelschlagend im Weltenbaum hockt, und Gunter Lo­renz tieftrau­rigschwar­zem »Stein­kreuz Schmer­zensmann« unmittelbar als Drei­klang erlebe, der mich seitdem, in hellbraunen Rahmen, rund um die Uhr begleitet. – – – »Mach die Augen zu, hör diese Stille«, sagt meine Begleiterin, als wir, an einem Tag im Februar, gegen 14 Uhr, aus dem Wald heraustreten, »ich steh auf den Treppen des Windes« (Rolf Bossert), aber nein, aus­nahms­weise ruht ›das himmlische Kind‹ einmal, und der Blick fließt über viele Kilome­ter hin zum weiten Hori­zont, hinweg über die sanf­ten, weiterhin weißen Weidenhügel, »redefined by the snow and, at the same time, perfected, made abstract, like the world in a blueprint« (J.B.), wo kalthellgrellblauer Himmel und schneebedeckte Erde in meinen Augen zusammenfinden, »a brilliant circle of light« (J.B.), dasz ich blin­zeln musz, heute morgen schreibt Christel Fallen­stein : »Hier liegt auf allem auch schon eine dicke Schnee­schicht – und die Schneeflocken rieseln und tanzen und wirbeln manchmal sogar auf­wärts – Wien hat viel Wind – sogar in diesem völlig um­bauten Innen­hof, in dem mein einziger, nun fast weißer Baum steht«, und ich schließe, augen­blicklang, die Augen und höre das Summen der Stille, für einen Moment zieht sich der Gedanke an Reise durch die Nacht, das ich am Morgen bestellt habe, zu­rück, wir stehen still; schon gehen wir wieder – »Dreifach ist der Schritt der Zeit, / Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, / Pfeil­schnell ist das Jetzt entflogen, / Ewig still steht die Vergangenheit« (Friedrich Schiller) –, auf dem­selben Weg, den wir gekommen sind, nach Hause, auf die große Runde verzich­ten wir heute, zu sehr zieht es, was ist ›es‹ (ist es die Zukunft?), mich zurück nach Hause, wo Burn­sides ›sinister‹ »Glister«, das ich seit dem Vor­abend lese, mich ungeduldig erwartet, schweigend gehen wir ne­ben­einander, da fällt mir Tonino Guerra vor die Füße : »Diesen Winter saß ich stun­denlang am Fenster und schaute zu, wie der Schnee fällt«, und indem ich dem fortwährenden Knirschen der kleinen Schritte von Mrs C. und der größeren Schritte von mir lausche, denke ich zum erstenmal, und hätte ich dieses mein Schreiben nicht, Wort für Wort im Rhythmus meiner Schritte vor mich hin­murmelnd, den Ge­danken (wie viele Gedanke denke ich dutzende, hunderte, tau­sende Mal?) : Wir zerstampfen die ›Gegenwart‹, lassen sie, Schritt für Schritt, als ›Vergangenheit‹ hinter uns liegen, ren­nen, blind­lings, in die ›Zukunft‹. Und frage mich hernach, mit Augustinus : »Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fra­genden erklären, weiß ich’s nicht.« In Sophie Reyers Gedicht steht »die ge­zirpte zeit«, und im Garten fliegt, kein Som­merlaub in Sicht, ein Spat­zenschwarm, mitSchneeindenAugen, auf.

 

 

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Zischender Zustand . Mayröcker Time von Theo Breuer. Reihe Lesezeichen Band 1 – POP VERLAG, 2017

Friederike Mayröckers Texte radikalisieren die Frage nach der Autorschaft. Sie suchen nicht nach einer Personalisierung, sondern führen eine Bewegung in den Text ein, die den Ursprung der Rede  unbehaftet läßt. Bei ihr wird das Konzept der Herrschaft über einen Text zugunsten einer unüberschaubaren – nur zeitweiligen – Perspektivierung aufgelöst. Mayröckers „Liebesspiel mit der Sprache“ kennt keine logischen Grenzen, es sucht und findet „das zärtliche Durchwachsensein grenzüberschreitender Honigkeiten“. Daß diese sprachlich avancierte Lyrik eine starke Wirkung auch auf die jüngeren Autorengenerationen ausübt, ist nicht verwunderlich. In sprachreflexiven Gedichten österreichischer und auch deutscher Lyriker (wie beispielsweise Thomas Klings und Sophie Reyer) ist ihr Einfluß spürbar. In Mayröckers Texten ist Autorschaft keine in der Verkleidung einer Erzählung mit Figuren und deren Entwicklung verborgene Frage, sondern artikuliert sich in der Frage nach Herkunft, Status und Professionalität des Schreibens. Diese Befragung möglicher Autorschaft wird von Theo Breuer in seinem Gebrauchslesebuch als Hyperautorschaft gelesen. Dieser Zischende Zustand ist eine spektakuläre, hyperaktive Hommage, die zu explodieren scheint vor Einfällen, Einsprengseln und Meta-Reflexionen und es doch immer wieder schafft, Inseln zum Verharren in den sprudelnden Textfluß einzubauen. So elegant und witzig kann eine schreibende Selbstvergewisserung sein, und ebenso geistreich und anregend ist dieses journalistische Produkt. Die beim ersten Band in der Reihe LESEZEICHEN versammelten Texte sind literarische Kleinode und damit das Beste des Genres; kaum einer Reflexion gereicht das hohe Tempo, das typisch für das Feuilleton ist, zum Nachteil. Niemand wird an diesen essayistisch-poetischen Reflexen einer Mayröckerrezeption (und immer wieder darüber hinaus) vorbeikommen – außer Stan Libuda.

Weiterführend →

Einen Essay über das Tun von Theo Breuer lesen Sie hier.