die alten songs

 

und wieder: ich ging raus

die kalte straße ein stück wegs runter

atemschwaden wie zigarettenrauch

leicht fröstelnd an den zaunpfahl gelehnt

gedämpfte soundspuren durch den äther

und mir fällt ein wie hucky

über die mülltonne gebeugt

zu mir sagt:

‚ey mann, du stehst hier bei mir

und oben läuft dein WHISKY IN THE JAR …

und dann wieder ein schwall

und mir fällt ein wie moni

mit mir arm in arm

zur haltestelle runterlief

und ich arschloch die ganze zeit dachte

du müßtest sie jetzt küssen

und es nich‘ tat

und dann irgendwann: doch geküßt

und alles für die katz

die bomber starteten zum nachtschreckenhorror

elterliche mpis sägten teenagerideale um

und dann: scheiß auf alles!

und dann wieder diese fiese angst

die dir in die knochen kriecht

spießrutenlaufen mit achtzehn

und die welt war offen

für breakdown und sternenglück

und manchmal alles auf einmal

und du ziehst dich unter der jacke zusammen

und drehst dich nicht um

und läufst diesen serpentinenweg weiter bergab

eben kippt der minutenanzeiger um

und wieder ein jahr schiebt sich dazwischen

fett und mörderisch genug

diese alten songs zu hören

zu weinen, wohl wissend

du packst das noch ’ne weile

du machst das alles noch ’ne ganze weile

du machst das alles noch – ’ne ganze weile

denn: bei funkstille

sterben auch die alten songs …

 

 

 

***

Eine Erinnerung an Ossi Eichhorn, ein Lyriker derDirty Speech“-Bewegung, der den Social-Beat vorwegenommen hat.

Der Stuttgarter Autor Ossi Eichhorn dürfte heute nur noch einem kleinen Kreis von Literaturkennern ein Begriff sein – vielleicht eher als Gründer der Zeitschrift „Flugasche“ denn als Lyriker. 1958 in Sivac/Jugoslawien geboren, verbrachte er die letzten Jahre seines kurzen Lebens in Stuttgart, bis er, an den Folgen eines schweren Autounfalls leidend, 1982 selbstbestimmt aus dem Leben schied.

Ossi Eichhorn veröffentlichte Gedichte in Literaturzeitschriften und den Lyrikband „DIE ZEIT STEHT STILL IN DER LUFT LIEGT EIN LEICHTER DUFT VON VERMOUTH DOCH DU FEHLST …“ (mit Graphiken von Eva Wünsch). 1988 erschienen in der von Axel Kutsch und Michael Rupprecht herausgegebenen Anthologie „Wortnetze“, die Erich Fried und Ossi Eichhorn gewidmet war, vier seiner Gedichte mit der sein lyrisches Werk prägenden kraftvollen Verwendung von Alltagsparlando.

Axel Kutsch machte KUNO jetzt auf diesen (fast) vergessenen Lyriker aufmerksam. Mit der freundlichen Genehmigung seiner Schwester Emy Eichhorn veröffentlichen wir heute und in den kommenden Monaten drei Gedichte von Ossi Eichhorn und erinnern damit an einen Autor, den es wieder zu entdecken gilt.

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.

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