Meine Anklage gegen meine Verleger
Ich habe mich entschlossen, ohne Rücksicht auf meine noch ungedruckten Manuskripte, aufzuräumen. Einer von uns Dichtern muß seinen Ehrgeiz opfern, auf seine Sehnsucht verzichten, den Nachklang seiner Schöpfung zu erleben, ihr ins Antlitz zu blicken. Ich bin bereit, und unentwegt gehe ich gegen den verdammungswürdigsten Buchhandel vor. Ich werde die Händler aus ihren Tempeln jagen, die wir Dichter ihnen aufgerichtet haben. Ich streite für mich und für alle Dichter, vor allen Dingen für die Dichtung, die schließlich immer von neuem erlischt im geschwächten Körper. Ich räume auf, mich treibt die Gerechtigkeit, bin heilig zwangserfüllt und rufe Ihnen, hochzuverehrendes Publikum, ermahnend zu: Wir wollen aufräumen! Bis unser Ruf durch den Spalt der Wolken himmelschreiend in die Ewigkeit dringt. Räumen Sie auf mit mir, h. P., da es sich auch hier handelt um eine Weltordnung.
»Das ist der Prinz Jussuf von Theben, die Else Lasker-Schüler, die Blume meines Verlags!« pflegte mich mein Hauptverleger: Paul Cassirer, stolzen Mutes seinen Gästen vorzustellen.
»Die größte Dichterin der Jetztzeit.«
Wenn ich dann seinen Lobgesang, allerdings geschmeichelt, rügte, erklärte mir mein Hauptverleger, ich sei nicht allein die größte Dichterin der Jetztzeit, sondern die Dichterin aller Zeiten. Verzeihen Sie, h. P., diesen wortgetreuen Bericht, er soll Ihnen ja nur zum Beweis dienen in meiner Anklage, warum mein Hauptverleger, Paul Cassirer, der Herausgeber meiner gesammelten Bücher und der nachfolgenden, also meiner zwölf Bücher, sich selbst verurteilt zur ewigen Schmach. Ich räume auf für mich, für die lebenden und toten Dichter. Gehungert haben wir ja alle und es konnte oft durch den Ertrag unserer Bücher vermieden werden. Statt dessen etablierten wir bücherlustige Herren, die eben aus Laune, wie Albert Flechtheim frech, aber ehrlich hinwarf, den Querschnittverlag eröffnete, um ihn dann mal wieder nicht gerade abzugeben, doch in eine Gesellschaft mit höchst gerissener Haft umzuwandeln, aus der er nun zwar schon längst ausgetreten sein will. Er hört nämlich nicht gern klagen… Daß aber die größere Hälfte des Querschnitts ihm zufällt, über diese Frage brauchen wir Opfer uns keine grauen Haare wachsen lassen. Sein Vorbild entlastet irgendwie in seiner Schuld gegen mich, den frisch gebackenen zweiten Inhaber und Verleger der Firma Querschnitt: Albert Dreyfuß.
Ich kolorierte gerade mein Buch: Theben in der Galerie Flechtheim und wurde unfreiwillig Ohrenzeuge der mannigfaltigen Vertrauensbrüche, die nach kaum vollzogener Verlagsehe sich Alfred Flechtheim gegen seinen Kompagnon Albert Dreyfuß zuschulden kommen ließ. Täglich versuchte Flechtheim vor mir und den angestellten Damen dem armen Albert Dreyfuß einen Idiotenstempel auf dem allerwertesten Pegasus seiner Dichterstirn zu drücken, bürdete ihm nach Mutwillen Kosten auf. Ja, Alfred Flechtheim ist und bleibt ein Schalk und er hätte sich den Bauch vor Lachen gehalten über die Naivität seines Geschäftsteilhabers. Am Ostersonntag trat er in mein läutendes Dachzimmer, legte ein Schokoladenosterei in mein Strickkörbchen und erkundigte sich dann zart, wieviel elektrisches Licht ich wohl beim Kolorieren in der Galerie Flechtheim verbraucht haben könne? Die Summe erschien ihm doch höchst verdächtig. Ich verweigerte ihm die Aussage, den ehemaligen Poeten in seinem einträchtlicheren Beruf, nicht kopfscheu zu machen, denn den Verlag Querschnitt avancieren zu lassen, Arm in Arm mit Flechtheim, befriedigte des ahnungslosen Poeten Alberts erwachendes Herz. Hingegen operierte Flechtheim weit verschwenderischer drauf los. Morgens erfrischt vom Sektbade überschäumt der Rest seines Geldes seine Duzfreunde, die lieben Maler, mit Rutenbegleitung, Tritten und ehrenrührigen Beschimpfungen. Es handelt sich allerdings um Summen, die die Künstler für ihre Bilder und Skulpturen zu fordern längst berechtigt sind. Senor Alfredos versteht außerdem mit einer Fertigkeit zu jonglieren, daß es einem schwindlig vor Augen werden kann. So schloß er sich im Nu zwei meiner Zeichnungen für die fünftausend Mark, die ich ihm schuldete, die dazumal jedes meiner Bilder zu rahmen kostete, einfach in sein Fach. Aber ich verlangte sie baldigst zurück, endlich in der Lage, ihm bar meine Schuld abzuzahlen. Meinen Fahnenträger erwarb er sich selbst mit billigster Grandezza. Überall erobert nun der spanische Rheinländer, Alfred Flechtheim, Salons. Er tut mit seiner spanischen Abkunft und pfändet sich selbst, indem er mit dem spanischen Pflaster sein Furunkel, sein wahres Milieu verklebt.
»Wir beide sind gleichen Blutes, Prinz von Theben«, brüllte er mich bei jeder Begegnung schon von weitem an. Ich sagte ihm einmal:
»Ich möchte es auf eine Blutuntersuchung ankommen lassen.«
Das war im Romanischen Café, vor etwa drei Monaten. Ich ahnte schon, daß für mich kein Sonntag mehr kommen würde und äußerte es auch einem meiner verehrten Freunde, der mit mir trauernd am Tische saß. Ich war wieder mit einem Verlag hereingefallen.
Trotz großer ehrenwörtlicher Versprechungen und juristischen Schutzes, den man mir, mich vor Flechtheim warnend, dringend empfahl. Diese berechtigte Vorsicht gab Herrn Flechtheim wahrscheinlich Mut zur öffentlichen Beschimpfung, die sich sonst zwischen vier Wänden und den anliegenden viermal acht Wänden seiner Galerie beschränkte. Jeden Tag, h. P., bewegte mich dieselbe Frage, wie es möglich ist zu begreifen, daß eine so gemeine Kreatur von den feinsten Menschenqualitäten zu leben berechtigt ist? Können Sie mir darauf antworten, h. P.? Und verstehen Sie, daß ich endlich aufräumen möchte? Ich räume auf! Und zwar nicht durch die Blume eines lyrischen Gedichts oder durch das Rauschen des Lindenbaums einer sentimentalen Novelle, oder durch das Guckloch eines Schlüsselromans. Nein, ich klage die – Verbrecher – hätte ich beinahe gesagt, ich klage die Verleger an, die die Dichtungen auf den Märkten für ihre Taschen ausschreiben. Ich kenne kaum einen Dichter, der nicht mit grenzenloser Mißachtung sich über seinen Verleger äußert. Aus Idealismus hat wohl selten ein Verleger Bücher gedruckt, daß wohl auch kaum zu verlangen ist. Es kommt uns Dichtern ja auch nur darauf an, mit gewissenhaften und großzügigen Verlegern zu tun zu haben. Aber ich möchte Ihnen, h. P., weiter erzählen, was sich am Sonntagabend im Romanischen Café abspielte. Bevor ich mich zu meinem Freunde an den Tisch setzte, begab ich mich in den kleineren Raum des Cafés, wo mir von einem stark von Künstlern besetzten Tisch der Maler Rudolf Levy zurief:
»Frau Lasker-Schüler, ich habe mir heute ihr neuestes Buch Theben gekauft und mache Ihnen mein Kompliment.«
Erst, nachdem wir uns begrüßt hatten, gewahrte ich an dem langen Tisch Herrn Flechtheim, der mich vor versammelter Gesellschaft mit undelikatesten Redensarten schmähte. Im Verlagsteil seiner Galerie war ich ja täglich Ohrenzeuge gewesen, wenn er sich grinsend nach dem Stuhlgang seiner Angestellten erkundigte. Er rühmt sich seiner Perfidien, sie seien rheinisch. Ich aber und hoffe auch Sie, h. P., Sie finden es schweinisch. Das sagte ich ihm. Seine Angestellten, unter ihnen seine Nichte, mußten sich wohl oder übel an des Chefs Exzesse gewöhnen. Ich bekam einmal, ohne wehleidig oder hysterisch zu sein, einen Schreikrampf, wahrscheinlich durch die Folgen aller Ratlosigkeit. Die Prokuristin aber faßte den Entschluß, den Chef Flechtheim nicht mehr ernst zu nehmen und für ihre Untergebenen im Verlag Kapitalien herauszuschlagen, der Hausknecht gehörte auch zu ihrem Regimente. Ebenfalls Nichtuntergebene erteilte das gerüstete Fräulein manchen Trick. Ihr wurde indes ein über den andern Tag gekündigt, oder von Flechtheim zu Rat gezogen, bis sie die wahre Intrige vom Meister abgeklügelt hatte. Und sie inszenierte einen Streik unter den Leuten des Bureaus, sich gut und vor allen Dingen sich unentbehrlich Kind zu machen, der mit dem Ultimatum endete: Arbeitsverweigerung oder ihre Abdankung! Ich warnte das tapfere Fräulein H., wenigstens den Huskneit, den ehemaligen Burschen, nicht gegen seinen Herrn aufzuhetzen, da er den doch im Grunde liebe. Später reiste sie, wie man mir erzählte, als Flechtheims Agentin, mit einigen Mustergemälden und einem Päckchen Querschnittware für Half und Half im Auftrag der Firma in das geheimnisvolle Land China. Ich floh mit meinen bunten Bleistiften, ich die gepeinigte Ohrenzeugin, aus dem entwürdigten Hause, daß ich je im Leben betrat. Ich floh heim in meine kleine Kajüte, in mein Wolkenmeer und kolorierte dort mein Buch: Theben, fertig. Dieses Luxuswerk sollte mich ja aus allen mißliebigen Verhältnissen retten, so beteuerte mir Alfred Flechtheim. Ich arbeitete zweieinhalb Monate allein am Kolorieren der Bilder meines Buches 520 à zehn sich wiederholenden Bildern im Glauben an eine bessere Zukunft. Er hatte mir die Hälfte des Reingewinns von jedem Exemplar versprochen – netto.
»Was ist netto –?«
Bei dieser schwierigen Frage brodelte in der Prokuristin ein menschliches Rührsam und sie flüsterte mir darauf leise beim Verabschieden zu:
»Sputen Sie sich, denn wenn ich erst fort bin, werden Sie betrogen.«
Wem sollte ich von dieser Gesellschaft Glauben schenken. Manchmal besuchte mich meine Freundin mit den Worten:
»Nach dem Ehrenopfer sehen.«
Am ersten Tage meiner Tätigkeit, im Querschnitt der Galerie, ließ Flechtheim für mich Schokolade holen, die sich die zurückgesetzte Prokuristin beleidigt, aber doch in ihrem Schreibtisch einschloß. Vielleicht gedachte sie ihres Chefs Untaten den süßen Beigeschmack zu nehmen. Und wie mir auch die Maler in der nächsten Umgebung Flechtheims gewogen sein mögen – der Kaffee im Romanischen Hause wird ihnen immer wieder im Halse steckenbleiben und wie Blut tröpfeln in ihr Herz, da man ihresgleichen beleidigte. Flechtheims Ausschreitungen entheiligen den Künstler, die Kunst, der wir alle angehören von Anbeginn. Sich vergegenwärtigen sollten sich nur die von ihm so oft erniedrigten künstlerischen unter ihnen wertvollen Maler, daß er sie nötiger bedarf wie sie ihn, falls es ihnen weiter an tieferen Ehrgefühlen mangeln sollte. Diesem ehrgeizigen Kunsthändler und Verdiener, der ebensogut in den Gassen mit Pelzen handeln könnte, es ihm nur schneller warm werden würde, der über den Rhein nach Berlin an die Spree kam, Cassirer zu überbieten, mit Versprechungen und aufdringlichen Schmeicheleien sich zu guter Letzt an eine Dichterin wagte, sie um ihre letzte Hoffnung zu betrügen, ihr Schaffen sich aber um die Fratze legte.
»Rottet ihn aus, sage ich Euch! Ich sage Euch, rottet ihn aus!«
Wahrscheinlich aus Furcht vor meiner ihn in Kenntnis gesetzten Broschüre veröffentlichte er als literarischen Einfall im Querschnittheft meine Anrede in meinem letzten Schreiben an ihn, allerdings verschwieg er seinen Inhalt.
»Geehrter Herr Rattenkönig!« so scheint diese Titulierung ihm Freude zu machen. Solche Kreaturen sind ja nur beim Schwanze zu packen, immer wieder bei dem Ahn, dem Urnagetier. Seine Antwort auf meinen entsetzten, aus meinem dürftigen Quartier gerichteten Brief lautete:
»Mein verehrter Prinz! Ich küsse Euch Euren roten Pantoffel, aber ich habe mit dem Querschnittverlag nichts mehr zu tun, bin immer Eurer Hoheit ergebener Freund Alfred Flechtheim.«
Zur Zeit standen meine Luxusbücher: »Theben«, A-Ausgabe, mit hundert Buchmark, B-Ausgabe mit fünfzig Buchmark im Buchhändlerheft verzeichnet. Augenblicklich, 7. Oktober 1923, erhöht auf hundertfünfzig und fünfundsiebzig Buchmark. Also wurde schon im August 1923 für mein Buch Theben Milliarden vom Verlag gefordert. Es sind nach den Berichten des Querschnittverlags ein Viertel Bücher verkauft und ich erhielt bis auf den heutigen Tag, 11. April 1924, für meine A- und B-Thebenbücher ungefähr 66 Millionen und 11 Billionen Mark, allerdings werden mir, wie üblich, meine Bücher angerechnet, die ich mir bestellte; es handelt sich bis jetzt etwa um vier Bücher, von denen ich drei meinen Freunden zum Geschenk machte. Bei der Herausgabe meines Luxuswerkes erhielt ich nach Verlagsordnung einige Freiexemplare, eine A-Ausgabe und drei B-Ausgaben, außerdem für das 2 ½monatige Kolorieren der Bilder und mühsamen tausenden Namenszügen, dank der energischen Forderung des Anwalts, eine Million Mark, und zwar je eine halbe Million Mark halbmonatlich sofort ausgezahlt im Juni 1923. Eine realere Aufklärung wird imstande sein, h. P., der Rechtsanwalt Dr. Fritz Kalischer, mein Bevollmächtigter, Ihnen zu geben. Schon subskribiert standen, bevor mit dem Druck des Buches und Lithographieren meiner Bilder begonnen wurde, 31 Namen auf der Liste, die voraussichtlich ihre Bestellung »auch bei eventueller Preiserhöhung« nicht rückgängig machen würden. Und ich bitte höflich um die Namen derjenigen, die mein Buch Theben erwarben. Denn ich will aufräumen für mich und für alle Dichter aller Künste. Von einem der Inhaber meines Eigentums Theben bin ich vom ersten Tage des Vertriebs der Herausgabe genau unterrichtet gewesen. Denn er erzielte auf die erste Seite des Buches noch neben den Gedichten und Bildern glorreiche Widmung der Dichterin und Zeichnerin. Alfred Flechtheim. Ich zitterte an Leib und Seele, wie ich an Flechtheims Tisch zurückeilend im Romanischen Café ihm zurief: daß, wenn mein Bruder noch lebte, der grüne Husar, seiner Heimat Düsseldorf sich der Hochachtung der ganzen Schwadron erfreute, ihn für seine schamlosen Redensarten einige Ohrfeigen verabreichen würde. Und wieder wandte ich mich zu der verstummten Tafelrunde, meiner lieben mittellosen Freunde unter den Ostjuden gedenkend, der innigen Dichter, die der große rheinische Westjude täglich als Lumpengesindel ihrer armen Kleidung wegen zu titulieren pflegte. Wenn meine ostjüdischen Freunde sich auch keineswegs mit dem seidengefütterten Mantel Flechtheims messen können, »so ist ihr betender Talmudfinger, reiner als ihre unlautere Seele, Herr Flechtheim«.
Auch das nahm er ruhigen Gemütes hin oder er tat nur so. Er ist dumm und gerissen, Dummheit ist aber mit Geld zu stärken. Dieser Mann, der mit seiner spanischen Herkunft renommiert, ist weder der muntere Typ des Rheinländers, noch besitzt er vom stolzen Glanz des Spaniers auch nur ein Minimum. Ich darf es aus eigener Erfahrung behaupten und unsere Blutuntersuchung ergab völlige Ungleichheiten. Aus Idealismus hat noch nie ein Verleger Bücher gedruckt, die es meines Wissens taten, sind wenige. Es würde auch nie ein Dichter ein solches Opfer verlangen. Es kommt uns ja nur, wie schon gesagt, darauf an, mit gewissenhaften Verlegern zu tun zu haben, mit großzügigen, die uns seelisch und körperlich schonen, noch dazu in dieser Zeit. Vor ihr kostete Reichsein alles. Heute kostet Armsein mehr. Ich verlange mein Recht und das Recht für den Dichter aller Künste. Keineswegs tut dem Dichter »bittere Not« gut; solche Rezepte sind Geschäftskniffe der Herren Verleger, ihr Gewissen, wenn sie so etwas Ähnliches besitzen sollten, leichthin entlastend, vom Publikum allzu voreilig nachgeleiert. Ist es so unumgänglich vonnöten, zum Krüppel geworden zu sein, Tiefstes zu gestalten? Glauben Sie etwa, die Melone gibt, im Keller ohne Licht und Trank gewachsen, süßeren Saft? Die Dichtung, im weitestgehenden Sinne arglos, sieht die Welt im Bach, eine Hirtin des Worts, der man nicht mit spitzfindigen Kontrakten kommen soll. Man hüte sich, im kleinsten Bindewort lauert der Bazill. Der Dichter verurteilt, gleichzeitig erwählt und berechtigt, Trauer und Freude intensiver getönter zu empfinden, als der tägliche Mensch, bleibt der Leidtragende auf Erden, zumal seine kargen Verhältnisse, seine Wünsche vergiften. Und ich wiederhole, es ist nicht unumstößlich von Nutzen, zum Krüppel von den Herren Verlegern geschlagen zu werden, auf unser Schwanenlied lauschend zur endgültigen sicheren Aktie ihres Verlags. Dreimal schon bei meiner Ehre gründete ich für Vorkriegsmillionäre den Verlag, indem ich ihnen meine Dichtungen vertrauend überließ. Meine lieben Dichtungen, so nenne ich sie – sie blieben weiß und blind.
Aber ich bin erwacht, ich bin erwacht, h. P., und es ist Zeit aufzuräumen!
Haben Sie meine Dichtungen gelesen und die meiner verehrten Freunde, mit deren Gedichte meine Verse einträglich spielen? Rücken Sie näher zueinander, daß ich mein Herz auf Ihren Schoß legen kann, Sie mir ins Gesicht blicken und mein Mund warm zu Ihnen spricht, zu elterlichen Richtern, die sich empören über das Unrecht, daß man Eurer Dichterin, Euren Dichtern zufügt, deren Gedichte Euch die Welt vervielfachen, Euch entrücken in eine Paradiesinnerlichkeit, in der man nur durch den Zauber der Dichtung schon im Leben heimzulanden vermag. – Den drei Vorkriegsmillionären, denen ich sozusagen den Verlag eröffnete mit meinem innerlichsten Besitz, ich brachte jedenfalls Zug hinein, heißen: Kurt Wolff in München, dazumal noch etabliert in Leipzig, Paul Cassirer und zu guter Letzt Alfred Flechtheim, beide zu Berlin. Letztere Herren besitzen eigentlich Bildergalerien und machen Geld im Kunsthandel. So ein Verlag nebenbei, dazu noch von guten Autoren angelegt, kommt den Schlaubergern wohl zustatten. Es ging soweit, daß mir Herr Cassirer Aufgaben mit nach Hause zu geben versuchte, ja in diktatorischem Ton, jedoch meine Klage konsequent überhörte. Ich war genötigt, mir irgendwie täglich Geld zu schaffen, gehetzt durch die Straßen zu rennen, schließlich über die bunten Gärten meines Herzens hinweg; manch schönes Wort zertrat ich. Ich hatte ja beim Erscheinen meiner gesammelten Bücher und der nachfolgenden zwei mein Geld erhalten und ich konnte noch froh sein, da ich ihm nichts mehr schuldete. Hingegen Alfred Flechtheim, der letzte der spanischen Rheinländer, empört über seines Kollegen Härte, versicherte mir, mit einem Rheinländer, wie ich als Rheinländerin aus Erfahrung wissen müßte, sei ein ganz anderes Arbeiten. Er kannte meine Familie im Rheinland und mein Schicksal brach ihm fast das Herz… Wie über so eine Brücke gegenüber der Galerie Flechtheim, das Lützowufer mit der Königin-Augusta-Straße verbindet, holte sich der pfiffige Kaufmann meine Seele, die Fahne meiner Dichtung und hißte sie auf sein Dach. Ich hoffe, das diese Brücke heute abend noch einstürze unter ihrer Mitempörung, h. P. – Wir Dichter, die wir uns täglich mit den Unterdrückten jeder Klasse auflehnen, sind und bleiben gegen unser eigenes Los engherzig? Und habe doch jeder wahre Künstler – Gewissen. Sonderbar, wir benehmen uns sogar schäbig zu uns selbst und diese von den Verlegern hochbegrüßte Askese imponiert mir nicht mehr! Mein Entschluß steht unerschütterlich fest: Aufräumen! Heißt er: Die Händler aus dem Tempel jagen! Denn die Kunst ist uns Dichtern aller Künste ein teures Heimathaus. Wir verlangen ja nur das, was zur Erhaltung unseres anvertrauten Schatzes, nennen wir es Begnadigung, notwendig ist. Zumal Reichwerden, wie Beispiel zeigt, allzuoft ein gänzliches Verarmen bedeutet. Geld ist der sicherste Prüfstein des Menschen, und es doch im höheren Sinne nur auf den Gewinn der Seele ankommt, über die der Verleger skrupellos spaziert. Ginge auch seine verlustig, um unsere Seele ist es schade. – Die Arbeiter ziehen in langen Zügen durch die Straßen, über die Plätze, vom Oberhaupt geordnet, weltgeordnet bis vor die Tore der Schornsteine. Ja, nach uns ändert sich auch die Erde, der Mond und die Sterne und uns drängt es, uns nach Gottes Schöpfung zu reihen, immer wieder. Die wahrhaftige Frömmigkeit. Was tun wir aber schließlich? Wir lassen alles beim alten von damalsher, von heutehin und auch ich komme spät, aber nicht zu spät: Aufzuräumen! Lang ist es her, als ich auf dem Schoß meiner teuren Mutter saß, sie mit mir spielte.
»Einwortsagen!« Einwortsagen, nannten wir geheimnisvoll ein Spiel, das meine Mutter, eine Weile wenigstens, von meinen Quälereien befreite. Ich langweilte mich nämlich immer so… Meine Mutter rief wichtig »Schokolade« und ich erwiderte ein sich darauf reimendes Wort. Meine Mutter: Tinte »Finte« (Flinte), »Paul«, »faul«! bis mein viel älterer Bruder, der mir seiner Herbheit wegen imponierte und ich ihn darum wohl auch »Mann« nannte, sich einmischte, auf das Wort »hoch«, das ungeschickt reimende Wort „Koch“ wählte und ich zu ersticken drohte vom dumpfen Schall der Paarung, ja geradezu außer mir geriet, vom Knie meiner besorgten Mutter wild auf den Teppich purzelte. Ich zählte zwei Jahre. Im vierten lernte ich zum Zeitvertreib von der Gouvernante schreiben. Jedem Buchstaben malte ich ein Tuch um den Hals, da er fror, es war im Winter. Fünfjährig dichtete ich meine besten Gedichte; meine Mutter fand immer die bekritzelten Papierflocken, die mir aus meinem Kleidertäschchen beim Herausholen von Lieblingsknöpfen meiner Knopfsammlung entkamen. Die rettete mich vor meinen kleinen Selbstmord. Ich hatte mich bis dahin so gelangweilt und ich erinnere mich, als ich entschlossen auf den Turm unseres Hauses kletterte, von dem man über die Stadt Elberfeld hinweg noch hinter dem Sauerländischen Gebirge bei lichtem Wetter den Rhein fließen sehen konnte und auf die Menschen herabschrie:
»Ich langweile mich so!« und erst als die vielen vielerlei großen und kleinen blauen, grünen, lila, roten, gelben, weißen Knöpfe ankamen aus den Knopffabriken meiner Heimat, mit der mich meine teure Mutter überraschte, die meine teure Mutter für mich zum Spielen bestellt hatte, milderte sich beträchtlich mein Übel. Ich legte Knopf an Knopf, je vier oder fünf, ebenmäßige Reihen in Zwischenräumen auf den großen Tisch und führte dann mein klein Fingerchen über die Knopfreihen der abgeteilten Knopfstrophen. Wenn ich dann durch die Unregelmäßigkeit der Knopfgrößen mit der Fingerspitze stolperte oder gar mit dem ganzen Finger abglitt, schrie ich laut auf, genau wie ich mich heute körperlich verletzt fühle, durch einen Vokal oder Konsonanten, der Störungen im Maß oder Gehör undefiniert verursacht. Aber einer der herrlichsten Knöpfe durfte überall liegen, wo er wollte; er war aus Jett, besäet mit goldenen Sternlein und ich staunte ihn an. Er war das Himmelreich meiner Knöpfe und hieß: Josef von Ägypten. So oft neckt man mich mit einem Ausdruck, der sich immer wiederhole in meinen Gedichten. Es ist wahrscheinlich der sternbesäete Knopf. – Vom Wunsch beseelt, mehr von meiner Kindheit, von meiner unvergleichlichen Mutter zu hören, gewähre ich mir heute nicht; nüchtere Dinge und Undinge drängen mich, Ihnen, h. P., zu unterbreiten, die ich mir ferner mit meiner Seele zu verhängen als Fahrlässigkeit anrechne. Ich räume auf, für mich, für meine dichtenden Freunde, für die lebenden und toten Dichter, zunächst im Interesse der Dichtung. Die Gedichte meines ersten Buches: Styx, das im Verlag Axel Juncker erschien, dichtete ich zwischen 15 und 17 Jahren. Ich hatte damals meine Ursprache wiedergefunden, noch aus der Zeit Sauls, des Königlichen Wildjuden herstammend. Ich verstehe sie heute noch zu sprechen, die Sprache, die ich wahrscheinlich im Traume einatmete. Sie dürfte Sie interessieren zu hören. Mein Gedicht Weltflucht dichtete ich u. a. in diesem mystischen Asiatisch.
Weltflucht:
Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose – –
Vielleicht ist es zu spät – zurück
Ob ich sterbe zwischen euch
Die ihr mich erstickt mit euch.
Fäden möchte ich um mich ziehen
Wirrwarr endend,
Verwirrend,
Zu entfliehen
Meinwärts.
Elbanaff:
Min salihihi wali kinahu
Rahi hatiman
fi is bahi lahu fassun –
Min hagas assama anadir,
Wakan liachad abtal,
Latina almu lijádina binassre.
Wa min tab ihi
Anahu jatelahu
Wanu bilahum.
Assama ja saruh
fi es supi bila uni
El fidda alba hire
Wa wisuri – elbanaff!
O ja, das erste Buch Gedichte aus jungem Fleisch und Blut und Seele, ein arglos wunderschönes Geschöpf unter dem Stern verkündet. Man hebt es aus der Krippe des heiligen Stalls, darin auch der Dichter zu wohnen pflegt, nimmt es behutsam in den Arm und führt sein erstes Buch, in Weiß gebunden, spazieren. So tat ich das wenigstens, liebes h. P., und wenn ich auch gerade nicht mit dem Kleinod aus einem Stall trat, so war’s aus einem Verließ meiner Verheißung. Hinter Holzgittern wohnte ich zur Zeit des ersten Buches in einem ehemaligen Flaschenraum, in einem der Käfige des Kellers, den der Portier mir geheimnisvoll, aber großzügig für fünfundsiebzig Pfennige monatlich auf seine Rechnung und Gefahr vermietet hatte. Und als ich gelegentlich in einem Kreise meinen Traum erzählte, der mich oftmals in der Nacht beschlich, sorgten die betroffenden Anwesenden für ein wirkliches Zimmer. Ich träumte, ich sei Gemüse – kam eine Ratte, eine große schwarze Ratte, beknabberte mich. Meine ernsteste Narbe, h. P. Und ich behaupte, die ich von Kind auf, zur Hellseherei neige, daß diese Gabe eine normale ist, die nur im Laufe der Jahrtausende eingegangen, wie die Sinne einst ganz erlöschen und von minderwertigen, geht es so weiter in der Welt, ersetzt werden. – Der Verleger Axel Juncker, in Kenntnis von meinem Manuskript, dessen Gedichte ich mit Erfolg im Verein der Kommenden vorzutragen Gelegenheit hatte; auch einige Zeitschriften interessieren sich für meine Produktionen und nun zu guter Letzt ein mutiger Verleger, der mich bat, mein Manuskript zur Durchsicht für den eventuellen Druck ihm anvertrauen zu wollen. Axel Juncker, ein Däne, sprach gutes verständliches Deutsch, als ich ihm meine Gedichte herzklopfend zur Prüfung übergab. Auf der ersten Seite stand in großen Buchstaben der Name meines Buches: Styx: – Schon nach einigen Tagen traf der übliche erste Brief des ersten Verlegers ein, der ungefähr so lautete:
»Hochverehrte Dichterin. Es gereicht meinem Verlage zur großen Ehre, Ihre schönen Gedichte zur Durchsicht empfangen zu haben. Dieselben sind so interessant wie originell und aus diesem Grunde eben – Kaviar für’s Volk. Was für ihren Wert zeugt, aber ein Risiko für den Verlag bedeutet. Ich will es dennoch versuchen. Sprechen Sie einmal bei Gelegenheit vor, wenn Sie an meine Buchhandlung vorbeikommen.
Mit hochachtungsvollem Gruße
Axel Juncker.«
Der ließ sich Zeit! – Mir im Flügelkleide machte das Sorge. Ich hatte selbstverständlich keine Zeit mehr. Eilte am folgenden Tage schon zu dem phlegmatischen Verleger hin, der mich aber prompt hinter dem Glas seiner Ladentüre erwartete. Und er hatte sich nicht getäuscht. Damals noch verkaufte er Bücher in der Potsdamer Straße, die er später in ein Knusperhaus, in den buntgefärbten Buchladen am Kurfürstendamm von Franzkowiak transportieren ließ. Dieser Hex Axel! Zwei Kontrakte wurden mir Glückskind zur Unterschrift unterbreitet, die ich gefälligst unterschrieb: Else Lasker-Schüler. Ein starker Name, der zum ersten Male für mich zeugte. Wir beide, heute, unzertrennbar vereint, ein Verhängnis! Andere Dichter steuerten zu den Druckkosten ihres ersten Buches bei und mir wurde es erlassen. Mein zweites Buch war mein Peter-Hille-Buch. Vor seinem Tode wünschte der Prophet:
»Tino«, so nannte er mich, sollte es dichten. Diesen, für mich ehrenvollen Wunsch erfüllte ich mit lauterem Stolz und heller Freudigkeit. Wandelte mit dem heiligen Manuskript, mit meiner blauen Bibel zwischen meinen Händen – wohin auch – immer zum Altar. Diese Bibel mit der Erde zu verewigen, die den großen dichtenden Heiligen bewahrt, erschien mir als würdiges Amen unserer Wanderung. Aber die gemeinschaftlichen Spielgefährten erinnerten mich daran, daß alle Menschen von des dichtenden Propheten Erdenzeit berechtigt seien, zu erfahren und sein Leben, von mir geschildert, erwarteten. Der Verleger erwartete allerdings mich vor allem, den Kontrakt in der Hand, für den ich ihm ein Seelenheil überreichte, für 50 Mark, h. P., für 50 Mark – wie paradox. Trotz meines zerrissenen Kittels in der Frühjahrssonne, deren schmeichelnde Hand Axel Juncker bewog, statt mich mit fünfzig mit hundert Mark abzufertigen. Ich habe also gewissermaßen notgedrungen für hundert Mark meinen ehrfurchtsvollen Freund, den unantastbaren Propheten und Dichter St. Peter Hille verkauft und hätte doch nicht ein Königreich für das jahrelange Mythenleben an seiner himmelreichen Seite wandelnd, eingetauscht. Vier bis sechs Peter-Hille-Bücher lagen hinter Schaufenstern nebeneinander in etlichen Buchhandlungen Berlins ausgelegt. Auf jeden Betrachtenden und Vorübereilenden blickte von seinem Bucheinband das eine Auge des Peter-Hille-Wotankopfes, den einst der Maler Stassen von ihm vorahnend gemalt hatte. Denn wirklich war nach dem Ableben des gewaltigen Menschen das eine der im Leben schon verklärten Augen nach dem Willen des Höchsten ausgeflossen zurück in die Weltlichkeit. Ganz Westfalen, wo ich damals den horchenden Leuten von ihm aus meinem Peter-Hille-Buch erzählte, besaßen es. In einem der Ruinenschlösser der Fürsten Salm-Salm im Heimatschloß des Dichters, zeigte mir der Bibliothekar dankbar, mein schlichtes frohes Buch in Brokat gekleidet. Peter Hille war der Sohn des Fürsten Salm und seiner Mutter einer Glockenblume gewesen. – Mein drittes Buch: Die Nächte der Tino von Bagdad, fiel wiederum Juncker zum Opfer. Aber die sehr anregenden orientalischen Erzählungen würden die ersten zwei Bücher, die nicht allzu gut gingen, betonte A. J., mit sich ziehen. Honorieren könne er mir dieses Buch nicht, da sein Verlag noch rückständig stehe mit den ersten zweien. Er habe eben die Werke einer Dichterin und nicht die Bücher einer Journalistin gedruckt. Die Folgen seien uns gemeinschaftlich beschieden zu tragen. Ich ahnte ja damals nicht, daß ich keinen Einwandfreien mit der Herausgabe der ersten drei Bücher betraut hatte und so wurde nun im Buche Tinos tüchtig eingeheizt, Dampf entwickelt, die vorangegangenen Bücher über den Büchermarkt zu ziehen. Ich fragte mich zum erstenmal, ob es nicht noch Verleger gäbe außer Juncker. Gelesen wenig im Leben, höchstens Tiergeschichten aus meiner Mutter Bibliothek, was mir genügte, blieb ich verschont vom Drum und Dran. Lächeln Sie ungläubig, h. P.?
Nichtlesen war immer mein Manko. Heute noch.
Desto hingebender berauschten mich meiner Mutter Erzählungen, ihre Napoleonschwärmerei, der mit dem Schwerte den Völkern eine Weltgeschichte schrieb. Er war ihre große Liebe gewesen. Auch lauschte ich auf ihre Ehrfurcht zu Goethe und weinte, wenn sie mir von dem Hungertode Heinrich Heines erzählte. Sie war’s, die den Keim vertrauend in mein stürmisches Kinderherz pflanzte, aufzuräumen! – Für meine drei Bücher, für den Styx, für das Peter-Hille-Buch, für die Nächte der Tino von Bagdad erhielt ich im ganzen? Raten Sie, h. P.? 100 Mark, d. h. für zwei der drei Bücher habe ich nie einen Pfennig von Juncker empfangen. Er weigerte sich sogar, mir von meinen eigenen Büchern auch nur eins umsonst zu geben, selbst wenn es zur Besprechung von mir, der Dichterin, verlangt wurde. Plötzlich verstand er kein Deutsch mehr. Ich hatte ja die paar Freiexemplare erhalten und damit basta! Ich begann meine Bücher schließlich ab und zu, nicht imstande sie zu kaufen, vom Ladentisch zu rauben. Jedesmal hetzte der schnaubende Axel von der Achse seines Ladenkarrens den jungen Verkäufer auf die Räuberin, die im kühnen Satz auf eine Elektrische sprang und die Zunge lang dem verdutzten Lehrling nachstreckte. – In einer Augustnacht schrieb ich mein Schauspiel die Wupper. In einer Nacht. Allerlei gute Geister, Mücken, Nachtfalter und auch Leuchtkäferchen setzten sich auf meine dichtende Hand und gemeinsam mit dem Finger des morgenrötlichen Lichtstrahls durchblätterte ich die vielen beschriebenen Seiten. Bange Jahre gegoren, floß die Wupper durch das Gewölbe meines Herzens aus dunkler Erinnerung gepreßt, eine alte schwere Schauspielauslese, eine böse Arbeitermär, die sich nie begeben hatte, aber deren Wirklichkeit phantastisch ergreift. Erich Österheld, der Leiter des Verlags Österheld, bat mich, meine Wupper verlegen und vertreiben zu dürfen. Ich ehrte seine Verblüffung, mich selbst nicht honorieren zu können, nicht dazu imstande zu sein. Nicht ihm gehöre der Verlag Österheld, sondern Herrn Cohn. Das stimmte. Der Inhaber des Verlags Österheld war der kleine Cohn, und ich habe ihn gesehen. Mit allergrößtem Interesse setzte sich mein verstorbener Freund, Erich Österheld, für die Aufführung meiner Wupper ein, aber ihr Bett wäre dennoch eingetrocknet, wenn nicht einer der Dramaturgen des Deutschen Theaters, Heinz Herald, die Aufführung meines Schauspiels durchgesetzt hätte. Ich kam zu den letzten Proben angereist vom Lago Maggiore auf dringende Depesche, die mich aus reicher Landschaft in das gesteinige Milieu meiner Arbeiterwelt abführte. Cohns Sparsamkeit erklärte sich in der Migräne seiner Milz, die koste ihn Unsummen. Wäre dieser Cohn in seines gutmütigen, verachtenden Onkels Althändlerladen in der Leibnizstraße in die Lehre gegangen, vielleicht hätte er dort zwischen Schränken und Gefäßen, Kanapee und Sessel, Ölbildern, vermoderten Kleidern, alten Schmökern von Geschichtsbüchern, Geschirren, wo in einer Urgroßmuttersilberhochzeitstasse ein Herz gefunden. Weil mich gerade als Jüdin die kleinste unfaire Handlung des jüdischen Verlegers schwerer (ja schmerzlich) berührt, als der etwaige Diebstahl eines Christen, der Bücher verlegt, eines Kunsthändlers, der Bücher verkauft, betone ich die Leute meines Glaubens. Ich sehne mich nicht danach, mit dieser Gesellschaft identifiziert zu werden. Propheten und die großen Könige trennen den tief erleuchteten Juden von dem lauen; den klugen, von dem schlauen. Aber wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, weiß, daß sich in Verlagsgeschäften Jude und Christ teilen in gleichen Ziffern. So ist es, und ich werde aufräumen und mich nicht irreleiten lassen, vom Bedenken etwaiger antisemitischer Folgen, ins Boxhorn treiben lassen, es verstopfen für alle Zeiten. Wer würde sich nach mir entschließen, wieder hineinzublasen: Brand! Lüften nicht schon nach erster Vorlesung eines Teiles meiner Broschüre einige von meinen Kollegen vor mir heimlich nur noch ihren Hut – aber sie lüften. Unaufgefordert habe ich mich ja zu ihrem Rechtsanwalt erhoben, führe unsere gemeinschaftliche Klage, die bis jetzt nur im äußersten Falle unter Ausschließung des Publikums zugunsten der Angeklagten vorsichtig vorgebracht wurde von uns allen. Unsere königliche Kunst machte Kreatur zu ihrem Tyrann. Meine Klage ist nicht jüdisch, noch christlich, meine Klage ist weder beschnitten noch getauft, meine Klage ist ein Chor vieler, vieler, vieler Dichterseufzer, sie mögen Ihnen, h. P., die ich im Begriff bin, h. P., Ihnen zu einem traurigen Volksliede zu binden, im Gedächtnis haften bleiben. Denken Sie an die unsagbaren lieben Volkslieder und ihre Dichter und Tondichter, die in Dachstuben verendeten. Wo wollen wir unser Haupt hinlegen, unsere Schöpfungen einpflanzen – es macht den Eindruck, als ob sich erst nach dem Weltuntergang sich irgendwo für uns ein richtiger geretteter Boden findet. Was gäbe mir selbst Jerusalem, feilböte man die Wunder meiner Schwärmerei wie Ware, schachernd auf den Märkten. Was haben wir Dichter mit Händlern zu tun, fabrizieren wir etwa Gedichte oder Bilder, Skulpturen und Melodien?
So pietätlos der Gedanke auch sein mag, – ob Gott nicht selbst jung und ungeduldig seine Schöpfung: Die Welt, dem Satan zu verlegen gab, der nun seinen Nutzen herauszieht? In höllischen Farben gebunden und eitel goldenen Lettern liegt das Buch des Ewigen auf dem Tisch der Ewigkeit, über das er seine Allmacht verlor?
Denn Zank und Hader enthalten sicher nicht die Zeilen Gottes, das Innere des Buches der Welt. In ihm halten sich umschlungen Stein und Gebein, Wasser und Grund, die kleine Muschel am Strand dröhnt noch das Nachtgebet seines Meeres. Sind unsere Verleger nicht Knechte des Satans, Teufel, die uns im Leben schon das Fegefeuer unter den Füßen anzünden? Gleicht die Not des Dichters nicht der katastrophalen Piece des Zirkus, die mich schon als Kind erschütterte. Wer hätte nicht mit dem silberweißen Schimmel gebebt, der sich allabendlich der unentrinnbaren Umarmung der Kobra aussetzen mußte. Ihr gleicht die feuchte erwachende Morgenstunde, die herannahende Not, der schleichenden Märchennot des Dichters, die sein reicher Verleger so oft in einem sorglosen Abend zu verwandeln vermag. Sind wir Künstler nicht erhabene Gottsucher, ehrfurchtsvoll nach unserm unerreichbaren Ebenbild. Warum müssen wir gerade die schweren Steine aufheben, unsern zum Himmel strebenden Weg zu ebnen? Denn überwinden wir Künstler nicht alle das Schlechte doch einmal in uns und kehren heim? Wer unter uns hätte nicht schon tief die Einsamkeit stark erlebt im gedrängten sich amüsierenden Menschenknäuel lüsterner Feste. Gott der Geborene, Satan, der Entstandene zwischen Mensch und Mensch. Das himmlische Gewitter, bevollmächtigt vom Herrn, verstummt erschöpft vor der lauen, fahlen Spitzfindigkeit des Satans. Beharrlich weigert der sich, die Welt dem Alldichter, den allmächtigen Vers, zurückzugeben. In ihm schmachtet gefangen die Kraft der Liebe wie in unsern Gedichten, die dem Verleger zur Ernte dienen. Buchen Sie es fürder im Kalender der Dichtung: Auf tausend und einen Dichter fällt je ein ebenbürtiger Verleger. Es handelt sich also um eine tiefreligiöse Frage mit dem Dichter und seinem Verleger; wir ahnen das, da wir über alle Dinge schweben. Der Verleger aber ist phantasieloser, beharrt auf seinen Standpunkt, der unumschränkte Bescheidwisser und Engelmacher. Ich vernahm einmal ein Gespräch zweier Verleger, das mit der Bemerkung endete:
»Sonderbare Heilige gäbe es zwischen uns.«
Dieser sonderbare Heilige war ein großer Dichter, der den Entschluß faßte, ihn nur leider vorübergehend ausführen konnte, seine Bücher selbst zu verlegen: Gerhard Hauptmann. Es scheiterte an seiner minimalen Routine; wo sollte er die auch herhaben? Sein S. Fischer kennt die Stellen in den Sümpfen des Verlags weit besser als er. Und ich möchte nur noch bescheiden bemerken, daß es darauf ankommt, zu erwachen, um vorerst mal aufzuräumen. Es täte uns Künstlern, also allen Dichtern gut, recht tief Atem zu holen. Parole: Mit dem Kopf durch die Wand! Wir können mit dem Kopf durch die Wand. Organisieren wir uns doch wie die Arbeiter, machen wir unsere Kunst staatlich. Unser blauer Tempel gehört nicht einem Geldmenschen, er gehört der Menschheit. Werden wir des Staates: Athener! Allerlei Literaturen traten hinter der Bühne der Revolution als geistige Arbeiter auf, trugen ein rotes Bändchen als Blutabzeichen im Knopfloch. Sie blähten geistig ihren Mund auf, versalzten die siedende Brühe im eisernen schlichten Topf zum Ärgernis der müden, verarbeiteten körperlichen Arbeiter, die auch ohne geistiges Gewürz der schwirrenden Geister über der harten spartanischen Suppe zum Resultat gekommen wären. Die Künstler, die ihren Leib der Gerechtigkeit zur Verfügung stellten, sind zu zählen. Bewegt beuge ich meine Knie vor meinen dichtenden, schlichten Märtyrerfreunden Apostata. Zwei von ihnen, Gustav Landauer, der Jakobus, und Leviné, der erzengelhafte, fielen ihrer Erlösungsballade zum Opfer. Dem ersten riß man den gewaltigen roten Pocher aus der Brust, dem zweiten durchbohrte man im Gefängnishof der Schläfe gütigen Stern. Und noch zwei Dichter schmachten schon jahrelang. Warum eigentlich? Und warum befreit sie niemand – aus der Festung Bayerns? Erich Mühsam und der Toller. Diese vier Menschen der Liebe, die alle äußere Pracht verschmähten und den Nächsten liebten, wie sich selbst, ja über sich hinaus, unsere Könige. Wie sie auch kritisiert werden mögen, ihr ehrlicher blutiger Vers bleibt ewiglich zu respektieren. Er wurde ihr Todesspruch. Der Dichter vermag eher eine Welt als einen Staat aufzubauen. Wir Dichter aller Künste wollen uns zusammenschließen, daß wir stark werden. Wir wollen vor die Tore unserer Ausbeuter ziehen. Bin ich auch überzeugt und mir ganz klar, daß ein ganzes Heer von uns, und wenn jeder einzelne in tausend Zungen redete, nicht einen Verleger überwältigt. Ja nicht einmal unsere Klage Eindruck auf ihn macht. Aber wir sind doch in der Lage, ihn abzuschaffen, dem Teufel den Rücken zu drehen. Der Heilige, der den Satan überwältigt, befreit in sich jedesmal Gottes Schöpfungswerk, die Atemfreiheit, worauf es ankommt. Ich werde religiös, ich will mich nicht gehen lassen, aber hingeben meiner Sache, unserer Sache. Ich trage eine große Last, h. P., indem ich mir diese Klage von Stadt zu Stadt aufbürde, ein Tausendherz flammt in meinen Armen, aus ihm schreien viele, viele, viele viele lebende Dichter und hauchen aus ihre letzte Not, alle toten Dichter. – Die Frage, wie ich mir eine Änderung in den Verlägen und Kunstsälen vorstelle, möchte ich dem Staate zu regeln überlassen, ordnet er doch die Schönheit der Anlagen seiner Städte, warum nimmt er sich nicht schon längst der Kunst an, die ihre Einwohner schmückt. Ich stehe hier, Euch meine Brüder, die Dichter aller Künste, und Sie, h. P., zu erwecken, zu sammeln. Den Plan der Änderung überlasse ich einem organisatorischen kunstliebenden Menschen im Staate, der uns einen Boden zu legen versteht, über den wir ferner vorurteilsfrei und heiter schreiten können, zu können vermögen. Mir indes fiel nur diese Klage in den Schoß von Jahrenhoch, die zum Himmel schrien, und ich glaube an ihre Wahrhaftigkeit und wir wollen alle, h. P., an ihre Wahrhaftigkeit glauben. Ich will aufräumen auf dem blaugedeckten Altar der Dichtung; wenn die nicht wäre, gäbe es kein Entrücken, keine Auferstehung. – Sich unsichtbar zu erhalten, benötigt der Dichter seinen Versteck, wir wären sonst – sicher sogar – eher vergriffen wie unser Buch, wie unser Bild, wie unser Lied. Instinktiv bewahrt der wahre Leser zwischen sich und dem Dichter seine sehnsüchtige Perspektive. Sonst wird’s meist Kitsch für beide. Ich weigerte mich fast immer entschieden Einladungen zu akzeptieren mit dem Programm:
»Zum Butterbrot und einer Tasse Tee.« Oder »wir machen keine weiteren Umstände«.
Ich liebe sogar hochzeitliche Umstände, dem Dichter, sollte man hochzeitlich decken, da man sich doch mit seinem Wort zu vermählen gedenkt. Sieg brachten meine hebräischen Balladen meinem Judenvolke in Schlössern und Hütten, und die Faust fing ich auf, ein abtrünnig Wort, das meinen armen Judenbruder verletzen sollte. In den Gassen sind die Minderwertigen nicht zu suchen, ihre Kunst ist gottgebenedeiter wie der witzelnde Humor des jüdischen literarischen Kommis, der beileibe nicht Gottes Himmelsohr erreicht. Zum Widerwillen waren mir immer die Witze, ob sie aus Judenmunde oder über christlicher Zunge kichernd schlüpften. Wie einträglich wäre es, wenn Seele und Körper gleichwertig reich geschmückt durch dieses Leben wandeln würden, zumal der Künstler Geschmack besitzt. In Elberfeld im Wuppertal, in der meine teuren Eltern so viel Gutes taten, besuche ich alle Jahre die heimatlichen Gräber und wandle durch die Gänge unsers morschen Hauses. Mich besternend betrachtete ich als Kind so gerne das ehrfurchtsvolle künstlerische Priesterantlitz meines Urgroßvaters, der Oberrabbuni vom Rheinland und Westfalen in religiösem und politischem Heile seiner Gemeinde Oberhaupt, so weihevolle Jahre Frieden brachte. Die Legende erzählte: Er habe sein Herz aus der Brust nehmen können, was er nach kühnen staatlichen Konferenzen zu tun pflegte, um den Zeiger des roten Zifferblatts wieder nach Gottosten zu stellen. Mein Urgroßvater liebmütterlicherseits, spanischer Jude, Großkaufmann, Pablo von Elkan, Vater des Vaters meiner jungverwaisten teuren Mutter. Der übersiedelte unter dem in England angenommenen Namen Kissing nach Süddeutschland und pflanzte auf den Bergen: Wein. Nahm sich eine Dichterin, die wunderschöne Johanna Kopp, die Tochter einer angesehenen bayerischen Judenfamilie zur Frau. Wir Enkel noch tragen ihren blauen Ehering, schauen Sie mir ins Auge, um der dunklen Kuppel. Von meinem Vater, dessen Tod man in den Zeitungen mit den Worten den Lesern kündete, der Till Eulenspiegel von Elberfeld ist früh am Morgen gestorben, ehrt es mich, Ihnen, h. P., zu berichten, daß er, der vierte Bruder der 23 Geschwister, sich des Lebens ausgelassenster Laune erfreute in seiner Geburtsstadt Hexengäseke zu Westfalen. Dieses kleine Städtchen, berühmt durch seine tiergeschnittenen Hecken, diente meinem Vater zu seinen unsterblichen Streichen. Den letzten, der für ihn hätte ernste Folgen nach sich ziehen können, absolvierte er mit I. in der geistlichen Kaplanstadt Paderborn, wo er das Gymnasium täglich schwänzte. Von der Menschen- und Schinkenknochenaffäre spricht man noch heute im Biedermeierzimmer der altmodischen Häuser beim Kaffee, die dazumal die Einwohner in Schreck und Spannung versetzte, des Spukes Aufklärung mit Besserungsanstalt oder hoher Geldstrafe zweier Sekundaner für meinen 16jährigen Vater: Schüler und seinem Freunde Paderstein endete, deren Väter weiland wohl oder übel die Sünden der Kinder heimzahlten. Mit Vorliebe beschäftigte sich mein Vater mit dem Bauen der Häuser, namentlich der Aussichtstürme der Stadt und ihrer Umgegend, die sich immer zu hoch verstiegen, jedenfalls der Nachbarschaft Sorge für Haus und Hof, der Herbststürme eingedenk, verursachten.
»Wegen so ein paar verfluchte vermaledeite Ställe bin ich gezwungen, meinem Bau den Kopf abzuschlagen!« dröhnte meines Vaters choranschwellende Stimme frühmorgens durchs Haus. Man vernahm sie schon aus einem anderen Stadtviertel der Stadt, die schwamm geradezu auf seinem vollen Bariton. Wir Kinder im Versteck lauschten noch ungewiß, was sie bringen könnte. Ich mußte mit ihm als sein jüngstes Kind die Gerippe der Neubauten besteigen, bebten zwar beide wie Espenlaub, und einmal erinnerte ich mich, wie die Arbeiter auf meines Vaters Kommando zwischen Luft und knarrenden Brettern zwei Fahnenstöcke in Form einer Riesennull bogen und brachen und sie dann oben auf das noch unbefestigte Dach hißten mit einem schwarz-weiß-roten Fetzen daran. Das wehende Bilanzrätsel, die Null, beschäftigte schon beim Aufwachen die ganze Stadt, daß mein Vater aber jeden Fragenden, sich schüttelnd vor Lachen, löste op Wupperdhaler plattdütsch:
»Ech hann meck verstiegen, lewe Lüte, fragt nur ming Elsken, eck han verdeck keng Kastmännecken mähr öm Bütel.«
Aber das hat niemand meinem Vater geglaubt. Er war gezwungen ein reicher Mann zu sein, bis zu seinem Tode und nach seinem Ableben bescherte er die Leute noch mit seinen ihn überlebenden Anekdoten. Damals war noch eine herzliche Zeit. Von den Armen nahm mein Vater keinen Mietzins, denn wer in seinem Hause wohnte, der wohnte auch in seinem Herzen. Und ich bin stolz darauf, da mein Vater sich ganz ausgab, kein Heimatloser heimatlos blieb, die eigene Tochter für seine Weitherzigkeit zeugt, nicht eine Stube besitzt, gar ein Fleckchen erbte. Schwatzsüchtigen wurde es nicht schwer, mich mit allerlei sensationseifrigen Gerüchten zu bekleben, der wollte das, jener dies von mir erfahren haben. Ich flüchtete immer durch die liebevollen Bäume des Waldes, über Wiesen, ich liebe jede Blume – heute eile ich ans Meer und überall blicke ich nach einem heimatlichen Boden aus, wer von uns hätte den gefunden und nicht erlitten des Heimwehs qualvollste Angst. Fand ich denn einmal die Heimat – in deinem Auge – durfte ich auch dort nicht rasten. In der Nacht meiner tiefsten Not erhob ich mich zum Prinzen von Theben. Welchen Ahnen nachfolgte ich, welche Mumie salbte meine entschlossene Tat? – Immer wieder tauche ich vom kühlen Strand meiner Broschüre in die lockende Welle meines Blutes, sie drängt über Sie zu kommen, Sie von meiner Anklage Ernst zu überzeugen. Ich stehe vor Ihnen, h. P., anzuklagen, keineswegs zu schwärmen, aber aufzuräumen, bin des Verlegers Kehraus und des Dichters warnendes Beispiel. – Hüte sich der arglose Lyriker, mit seinem Herrn Verleger buchverwandt zu werden, danach trachten die meisten der Herausgeber. – Wer nie sein Brot mit Tränen aß, der ißt es in dieser buchverheirateten Sippschaft gemeinschaftlich am Tisch. Allerdings erwarteten meiner Überraschungen unter dem Schnee der Serviette kühlen Mittagsmahle, bei dem man einfriert, daß einem das Recht zur Auflehnung nimmt. Mit diesen Presenten verschloß mir lange Paul Cassirer den Mund, den Eingriff in mein eigenes Recht. Er arbeitete ja für eine Dichterin, für meinen Idealismus, der von Luft lebte, wie durfte er mir mit Gewinn kommen. Sein Verlag hatte eben Verständnis für seine Dichter, darauf wurde strengstens gesehen, h. P. Als meine gesammelten Bücher, funkelnagelneu, schön und zugegeben – ganz nach meinem Geschmack, noch einmal im Verlage Paul Cassirer im Begriff zu erscheinen waren, betonte mein Hauptverleger zwar seiner Reichskanzlerin, »zwischen Else Lasker-Schüler und Paul Cassirer existiert kein Kassenschrank«! Mit diesem Beschluß aber schloß er ihn zu. In den Winternächten, wie oft habe ich im Dunkel des Zimmers meine Bettvorlage wie ein Dieb vom Fußboden aufgehoben und schob sie noch über die fremde dünne Decke. Ich begann vor Hunger tiefer zu atmen, trank die Luft und kaute an ihrem Balsam. Ich erzähle Ihnen diese alte Begebenheit ohne Streuzucker, reiche sie Ihnen so im Vorbeierzählen, eine Tragödie immerhin, und dem sie just passiert, bricht sie von neuem das Herz entzwei. Ich will Ihnen nichts zu erfahren vorenthalten, h. P., und lege Ihnen, indem ich Ihnen hier meine Broschüre vortrage, meine Verleger der allerhöchsten Justiz, die des Herzens übergebe, meine Beichte ab. Der große Dichterfürst, Richard Dehmel, ergrimmte immer wieder über die Verlagsangelegenheiten seiner Frau, der tiefen Dichterin Paula Dehmel, meiner Engeline. Schon auf Erden trug sie zwei Flügel und schwebte über alle Undinge. Auf dem Weg zu ihr erkannte sie mich schon:
»Was kommt dort von der Höh’« – an meinem Pfeifen noch fern vom Tore …. »Das Flackerlicht von Horeb kommt.«
Aber heute flackere ich nicht mehr, ich brenne geliebte Spielgefährtin im Himmel, ich rauche – ein feuerspeiender Berg, ich speie glühenden Aschenregen, Unmenschen zu verschütten, aufzuräumen für mich, für Dich, für die Lebenden, für die toten Dichter, für die Dichtungen aller Ewigkeiten. Ich fühle es, h. P., die toten Freunde und Freundinnen stehen auf und wie sollten die Lebendigen zögern mit mir, einig zu sein in meiner Klage? Ihr Echo begleite fortan mein Wort! Aus dem Grabe des charmanten Detlef von Liliencron vernehme ich einen Trommelwirbel, der mich anfeuern soll wider die Verleger! Er pflegte ihnen mit angeborener Junkerhöflichkeit freimütige Briefe zu schreiben, die mit der Anrede begannen, freilich überzeugt von des Verlegers vorsichtigem Ehrgefühl… Allwertester, geliebter Lump usw. Er las mir bei einer Bowle in seiner Mietsvilla so ein Schreiben klirrend selbsteigen vor und betonte, durch die Räume seines Hauses spähend, daß es nur so aussähe, als ob er – aber ihm nicht einmal einer der Stühle der Behausung gehöre, geschweige die Villa selbst. Und Frau Anna, seine vielgelesenen Bücher, nicht einmal das Notwendigste für die Kleidung ihrer Kinder einbringe. Zwei herzige Kirschbäumchen traten Hand in Hand ins Zimmer. – Rein juristisch geprüft stimmen auf dem geduldigen Papier die Zahlengewebe der geschickten Spinne im Mittelpunkt der Abrechnung. Bis jetzt fingen sie uns arme schimmernde Brummfliegen ein und sogen uns total aus. Bis jetzt brummten wir bloß, auch ich, die ich dem feingesponnenen Netz wohl die Flügel lassen mußte, aber mit dem Herzen entkam. Diese Anklage, h. P., führt mein Herz, möge es der erste Satz sein, den ein Herz spricht, und kein ausklügelndes Hirn. Unklar und ungerechter Dinge, wollte ich behaupten, daß jedes Buch, namentlich das lyrische, sofort in Auflagen gekauft wird. Ich denke nicht daran, eine solche phantastische Behauptung aufzustellen. Auf reifliche Feststellungen stützt sich meine Klage. Von Fred Hildenbrandt las ich kürzlich im Berliner Tageblatt einen feinen Essay über die unfaire Handlungsweise eines Kunsthändlers in Berlin, der, wie ich weiß, auch einmal in den Jünglingsjahren, gleich Paul Cassirer, idealistisch der Eltern Ratschluß entfloh. Auch Stephan Zweig regte sich neulich gegen den Verleger und Kunsthändler und gestern übersandte man mir Herbert Eulenbergs Artikel in der Weltbühne ebenfalls, der sich wie Sternheim gegen den Verleger wendet. Die Verlags- und Kunstkatastrophe liegt scheint’s in der Luft; viele Dichter folgten seit kurzem ihrem Impuls, Licht in eine dunkle Angelegenheit zu bringen. Leider, daß meist des Juristen Zuziehung nur Himbeer auf die bittere Kontraktpille bedeutet. Der Tierschutzverein (Verzeihung) für Literatur im altmodisch geborenen Gänsestil erfreut sich zunächst der besten Gesundheit, und Kartoffelpuffer ohne den Generalanwalt Herrn Dr. Gronemann und seinen Assessoren im entferntesten beleidigen zu wollen. Als er sich noch mit der Schriftstellerei befaßte, brachte er mal in seinem Journal: Das Dromedar… mein Bild. Bitte! Nun erfreut er sich einer immerfort gut gearteten dampfenden Pfeife, Zipfelmütze und gestickten Pantoffeln; wenn wir im Schutzasyl noch Kaffee kochen könnten, benötigten wir nicht mehr den romanischen Wartesaal. Der Verleger, der sich für die Dichtung einsetzt, unterstellt sich in jedem Fall dem höheren Gesetze. Er verhilft ja Seelisches festzulegen, zu verbreiten. Dieses verantwortungsvolle Amt vergegenwärtige sich der Verleger gefälligst einmal sorgfältig. Er betreibt aber ein Geschäft, wir sind sein Metier, wir Dichter. Er gehe doch einmal in sich! Falls er keine Angst verspürt, möge es ihm unheimlich werden um seines Herzens Kirchhof. Wie viele Dichter brachte er seelisch, wer weiß, ganz unter die Erde. – Der junge Dichter betrachtet seinen ersten Verleger seines ersten Buches als seinen Priester; bis sein Verlagsehrwürden sich entpuppt, keineswegs dem Weltlichen entsagte mit dem Erscheinen des jungen Werkes. Amen. Eine unvergeßliche brave Erfahrung machte ich mit einem vorübergehenden Verleger: Heinrich E. Bachmeier, eine so bald entschwundene Existenz auf dem Gebiete des Verlags, mediale Erscheinung in der Warschauerbrückengegend zu Berlin. Als mein Retter in den Fluten der Spree erwarb er sich meines Liebesromanmanuskripts: Mein Herz. Es war an einem Abend, abgemagert kam der Mond, zu leben hat es sich für ihn und auch für mich nicht mehr gelohnt und wir beschlossen, da die Spree gut temperiert, uns beide zu ersäufen. Auf – und ausprobiert! Mein Selbstmord wäre außerdem meinen Verlegern zur stattlichen Reklame willkommen gewesen und ich fühle mich seit der Unterlassung irgendwie ihnen verpflichtet! …?
Die letzte dichterische Besprechung meines jüngst erschienenen Großbuches »Theben« endete mit einer Mahnung des begabten Erbprinzen Heinrich von Reuß an meine Verleger. Auch Paolo Monelli versucht in seinem herrlichen Essay über mich in der Stampa auf italienisch meine Verleger aufzuwecken. Welche Hände blättern in meinem kostbaren Bilderbuch Theben? Beugst du dich über seine Gedichte, seine Zeichnungen? Oder stieren dreiste Augen meine Heiligenbilder an und plappern genießende Lippen meine Feiertagsgedichte her? Es ist Mode, auch kostbare Bücher im Salon auf Marmortischchen liegen zu haben. Das weiß der Verleger und denkt an seinen Vorteil. Mein Buch »Theben«, es ist meine Mutter, mein Vater, mein Kind, mein Bruder, meine Schwester, meine Spielgefährtin und mein Versöhnungstag, meines Herzens Synagoge Abendmahl. Erheben Sie sich im Geist mit mir, h. P. – Hinter dem Kinderstuhl seines blutjungen Papstes, dem damaligen Ernst Erik Schwabach, flüsterte der Dr. Franz Blei; der Weg nach Rom war ihm wahrscheinlich zu weit. So unter dem Einfluß des geistreichen Rampollas eröffnete Erik Ernst, der Riesenknabe (der gar nicht ohne dichtete), seinen Verlag in Form eines Spielladens. Gerade vielleicht darum bewarb er sich um meinen »Prinzen von Theben«, mein eben vollendetes Manuskript. Auch begann er neben seiner Markensammlung meine Verse zu sammeln, sie herauszugeben: Die gesammelten Gedichte. Was mich, offen gesagt, zu Erik Ernst einnahm. Die Liebe zu meinen Zeichnungen. Für die 200 Mark, die mir monatlich vom Verlag in einem hellrosanen Kontrakt zustanden, mietete ich mir eine Wohnung in Halensee, aus der ich aber bald wieder flüchten mußte. Der Krieg begann, Erik Ernst heiratete schnurstracks, und zwar Erna Lübke, die Tochter eines Zahnarztes. Stürzte sich ein echter Makkabäer nach der Hochzeit in die Schlacht. Erna hütete das Heim. Einst war sie ein bescheidenes Bürgermädchen gewesen, der das viele und wenn schon jüdische Geld in den Kopf zu steigen begann, die christliche Nebenliebe außer acht ließ, von christlicher Teilung nichts wissen wollte. Ihre grausamen Antworten auf unsere rührenden geöffneten Pumpbriefe an Erik Ernst pflegten uns zu verhöhnen. Dafür deklamierte der Gemahl im Schützengraben unsere Gedichte den Kameraden vor, ein sparsamer Trost! (Aber er meinte es gut.) Ein wohl angelegter bescheidener Mensch war Erik Ernst Schwabach, ihn verhärtete sicher weniger der längst überstandene Reichtum als Erna. Er pflanzte ein dickes Städtchen in die Neumark, säugte es selbst, aber er mag es auch gekauft haben mit seinem Rittergut zusammen, denn die Kirche ließ er den Einwohnern renovieren; den Tempel seiner Dichterin vermodern. Er erinnert sich überhaupt nicht mehr, meine Gedichte verlegt zu haben, sich meiner Person erst nach geraumer Zeit dunkel. Ich war nämlich mal bei ihm, mir Butter und Zucker von den Erzeugnissen seiner Kälber und Plantagen zu holen, aber er, der mit meiner Seele Honig einst zu prahlen pflegte, in Körben sammelte, der Imker, er hatte nicht mal ein Viertel Pfund Butter einer Margarinekuh für mein krankes Kind, nicht ein einziges Zuckerrohr seiner Felder. Ich Tor, ich meine so eins, das man hinter sich schließen kann. Dieser Riesenknabe edlen Blutes erkaltete zu einer starren Münze. Ich warf sie entschlossen, aus dem Garten tretend, eines Orgelmanns Affen in den bettelnden Hut. Er würde, er, Schwabach, heute nicht mehr einen Zehrpfennig über den Rand seines Egoismus werfen. – Dann kam der Mai, den ich so gerne habe, aber Ihnen meine Trostlosigkeit zu schildern, h. P., fehlt mir jede Rücksichtslosigkeit. Ich lag wo in einer Ecke der Straße zwischen Halensee und Grunewald unbegraben, heimatlos noch im Tode. Ein einfacher Spatz setzte sich auf meinen Fuß, er gab sich alle Mühe, mir etwas vorzusingen, ein Garten blühte schon und meiner Mutter Wolke besprengte meine fiebernde Stirn:
»Auf die jungen Rosensträucher, fällt vom Himmel weicher Regen und die Welt wird immer reicher. Oh mein Gott, mein nur alleine, ich verdurste und verweine in dem Segen. Engel singen aus den Höhen, heut ist Gottes Namenstag, der allweiß hier vom Geschehen. Und ich kann es nicht verstehen, da ich unter seinem Dach, oft so traurig erwach.«
Ich war vor dem Wirt geflüchtet, meine Möbel hatte ich in der Eile zum Ersatz der Miete zurückgelassen. Aber das waren alles nur Ableger im Vergleich meiner seelischen Plünderung. In meines Herzens Einfalt wuchs nichts mehr. Armes Land. Erstickt waren die Worte meiner Schwärmerei. Ich glaube, ich habe zu lächeln verlernt bis auf den heutigen Tag. Ihnen das geringste zu verschweigen, h. P., zumal ich aufzuräumen gedenke, hieße das Geschick des Dichters Ihnen unterschlagen. Ich will aufräumen, säubern unsern Tempel mit der reinen Quelle des Zornes.
Franz Werfel kam zufällig gegangen, er wußte Rat, indem er Kurt Wolff in München kannte, sogar aus dem Effeff kannte und für seine Ehrenhaftigkeit und die seiner ganzen Familie Hochadel bürge. »Was wollen Sie? Der Mann ist Korpsstudent in Bonn gewesen und zweifellos sicher!« Wahrhaftig wir vernahmen plötzlich von weit über den Neckar, aus den Ruinen der Wölfe Ahnen: Die Landgrafen heulen. Jedenfalls traf schon nach zwei Stunden der Rückantwort Gelddepesche aus Leipzig ein: Else Lasker-Schüler sofort zur Besprechung herüberkommen. Kurt Wolff. Wieder wurden Karten – ich meine Kontrakte gewechselt, unterzeichnet. In seine Obhut nahm von jetzt an väterlich Kurt Wolff meine Bücher, die zu honorieren der ästhetische Wolff sich weigerte, selbstredend aus Geschmacksgründen! Der ästhetische Wolff. Jedoch er machte mir, h. P., für meine drei Bücher monatlich ein „Geschenk“ von hundert Mark. »Gerne, gerne, kleine Else Lasker-Schüler.« Es handelte sich um meine gesammelten Gedichte, den Prinzen von Theben und um ein neues Manuskript, einem Essaybuch. Zwischen sternenbesäten Orangefarben erblickten die Gedichte das Licht der Welt, die sich von ihrer Schöpferin gegenseitig Gott weiß was erzählten. Georg Heinrich Meyer von Säckingen, der Lektor, ein Trompeter auf dem Bock des Verlages Kurt Wolff, so dick er auch war und sein wird, wir haben ihn alle ins Herz geschlossen. »Dabei lebe ich ausschließlich nur von Cola, Cola, Kinder, mich für Euch tatkräftig zu erhalten.« Ein braver Mensch, er ist der einzige, der von der Colafrucht ißt und sündlos bleibt; ein Asket auf paradiesischen Verlagsgefilden. Der Wohnungsnot gemäß nachts mit einem Baderaum teilend, beengt und beschränkt mit seinem Weibchen vorlieb nimmt in der Villa Kurt Wolff. Unser armer Georg Heinrich Meyer, betusamer Adam aus Säckingen, fleißig stößt er stets für uns ins Verlagshorn. In dem vegetarischen Speisehaus Erbse am Lembachplatz, tief ergriffen von seiner Selbstlosigkeit, jeder von uns 50 Mark Vorschuß in der beglückten Tasche, aßen wir ihm zur Ehre und Gesundheit: vegetarische Kotelette mit Kola-Blattsalat und sangen beim Überschäumen das Boa-Lied:
»In der Retirade, schlafen nachts im Bade, in der Wanne Weiher, Georg Heinrich und Frau Meyer. Aus der Belletage, in der Equipage, Steigen zwei paar Beine, Im Laternenscheine, Wolff und seine kühle, Hildegard Emülie!« – Ein entzückendes Autogramm erhielt ich vor einigen Monaten aus München: »Mein herzlieber Prinz Jussuf! Ich freue mich täglich über Ihre charmanten Gedichte sowie auch über Ihre köstlichen Erzählungen und es bricht mir schier das Herz entzwei, das unser goldener Phönix, ja, der sind Sie, im Spatzennest seine Eier ausbrüten muß. Aber Jussufs Genie ist gefeit vor allen Äußerlichkeiten, seine Erzeugnisse gewinnen nur an Güte. Anbei ein Tausendmarkschein, verlieren Sie ihn nicht im Gedränge der Hauptstadt, mein Liebling, und tun Sie was für sich. Ach! Noch 25000 gesammelte Gedichtbücher, die Hälfte, liegen noch vom bösen, bösen E. Schwabach in unserm Verlag. Allerdings 21000 Mark, mein lieber Jussuf, sandten wir Ihnen seit zehn Jahren doch schon. Ein nettes Sümmchen, müssen Sie zugeben? Ihr treuer Freund und Berater Georg Heinrich Meyer. P. C. Mein Weibchen, die Moosrose – läßt unsern Prinzen grüßen.«
Wat sagen Sie nun? Kann ich so einem Menschen böse sein? Teppiche hingegen, kostbare Antiquitäten schmücken des Raubgrafen Kurt des Wolffs Behausung. Wir Dichter rühmen uns, beigesteuert zu haben. Kürzlich vermählte er seine kleine Schwägerin mit dem begabten Komponisten, Sohn des Malers Professors Graf von Kalckreuth. Die Hochzeit, schwatzten sich halt die Münchener in die Ohren, habe der großzügige Schwager vom Erlös meiner gesammelten Gedichte gefeiert. Soweit ich nun den jungen Grafen Kalckreuth kenne und zu beurteilen vermag, wäre ihm, auch selbst nur von der Buchuntat ahnend, zwischen dem Genuß der leckeren, aber schwarzen Speisen, beim Toast der Myrthe der Tränentrank in der Kehle steckengeblieben. Warum, h. P., weigerte sich Kurt Wolff entschieden, auf dem ihm gebotenen hohen Cassirerpreis, auf meine flehentliche Bitte, mir zu den freigelassenen zwei Büchern meine gesammelten Gedichte zurückzuerstatten? Sie müssen ihm doch sehr gefallen haben. Gedankenstrich! Endlich aber erreichte mein neuer Verleger, Paul Cassirer, Wolffs Einverständnis zu einer zweiteiligen, zweiten Ausgabe meines Buches: Gesammelte Gedichte, die beim Erscheinen meiner gesammelten Werke nicht fehlen konnten. Ich taufte dieses Zwillingsbuch selbst: Das goldene: Die Kuppel, das silberne: Die hebräischen Balladen. – In einer fernen Stadt schwer erkrankt, bat ich Herrn sowie Frau Wolff um einen kleinen Vorschuß, den sie mir kühl abschlugen. Bei meinem ersten Ausgang konnte ich mich nicht enthalten, dem freigebigen Paare, eine Huldigungsdepesche zu übersenden, über deren Inhalt die Postbehörde nähere Aufklärung erwünschte und nach meiner Aussage vom Postdirektor selbst energisch verschärft wurde. Die Grausamkeit, h. P., des ästhetisch hold lächelnden Münchener Wolffs überbietet die des sibirischen. Was sind diese Verleger eigentlich für Leute? Was treibt sie zu dem Buchhandel? Wahrhaftiges Interesse etwa an der Kunst? Man muß die Buchschieber mal unter sich beobachtet haben; die Börse ist ein Kasperletheater dagegen. Handelte es sich um irgendein geistiges Interesse, sich mit uns Dichtern zu befassen, so gäbe sich zwischen Verleger und Autor naturgemäß ein gesunderes Verhältnis und der Verleger, der famose Mathematiker, würde sich nicht noch die Wurzel aus den Dichtungen seiner Dichterlieferanten ziehen. Man vergleiche mal mit ihm den einfachsten Obsthändler, der seine Äpfel- und Birnenbäume in seiner Laubenkolonie wohl plündert, aber sie gewissenhaft begießt; schon um sie zu erhalten für seinen Erwerb. Oder sollte es sich bei vielen Verlegern um Doppelkriminalfälle handeln? Reiche Leute, die aus eigenmütiger Laune sich Verlage eröffnen, mit ihnen spielen, ihre dichtenden Puppen, Arme und Beine ausrissen (wir liegen ja alle in der Rumpelkammer); aus der wir dem nichts ahnenden geldeinlegenden Kompagnon übergeben werden. Abgeklappertes Spielzeug im blendenden Scheine des gemachten Namens. Befinden sich unsere Bücher im Verlag eines Verlegers oder im Bordell eines Seelenverkäufers? Es ist die höchste Zeit aufzuräumen, h. P. Sie legten den größten lebenden Dichtermenschen St. Peter Hille in ein Kinderbett, betteten ihn knapp, eine teuflische Weltkatastrophe. Diesmal vollführt von christlichen Pharisäern. Ich erzähle Ihnen heute nichts Näheres von St. Peter Hille, von solchen Dichtern soll man wahrhaft nur träumen. – Verwechseln Sie, bitte, h. P., den Dichter nicht mit dem Poeten, dem Mann in dem Papiermonde, mit der trillernden Lerche im vergoldeten Busen. Der Dichter, sage ich Ihnen, ist der Bändiger aller Bändiger, er bändigt das Wort, zähmt es und verleiht ihm Flügel. Er ist der züchtende Aristokrat, der Torero der Kunstarena, ihm gehört die Weisung: Es soll der Dichter mit dem König gehen. Natürlich kulturell zu verstehen. Darum fühlen wir Dichter aller Künste uns auch nur unter uns geborgen. Zur Kunst wird jede Darbietung, der einem dichterischen Zustand vorangeht. Ich behaupte sogar, der Künstler, der den Ehrgeiz überwunden hat, liegt nur an dem Nirwana der Inspiration, dem Hinschlaf, dem Entströmtsein des Herzens: Platzmachen für Gott. Der Reeder, der das Gespensterschiff oder den Imperator, den gewaltigsten Meeresdampfer baute, inspirierte der Geist. Die Baumeister, die den Turm zu Babel aufrichteten, mein Vater, der seinen Türmen die Köpfe mit ihren Zinnenkronen der Sturmgefahr wegen „vermalmedeit“! abschlagen mußte, reihe ich auf die Schnur der Künstler. Ebenso den Schauspieler, der sich verzaubern kann, von Gestalt zu Gestalt, erlebt den dichterischen Zustand. Wer erblickte in Wahrheit je St. Peter Hille – so entrückt war er. Wer spendete Franz Marc, dem Messiasmaler der Tiere, all die Seligkeit, da er selbst das reißendste Tier verklärte. Ich denke an einen Chemiker, der mir beteuerte, seine Salze und Säuren und giftigen Präparate vertragen sich, falls er sich mit ihnen alleine im Laboratorium befinde vorzüglich. Und Albert Einstein, der grandiose Abenteurer, in ihm bummeln, schwelgen, entzücken sich, paaren sich und streiten sich, schleifen und ordnen sich alle Gestirne der Welt. Hörten Sie mal Max Alsberg verteidigen oder Justizrat Gerhardt oder Fritz Kalischer, die mit dem Ziegel des Worts dem Angeklagten das Tor der Freiheit bauen. Auch des Arztes Diagnose ist eine hellseherische, ist ein Kunstwerk, vermag er in des Patienten Körper zu kriechen. Ja selbst der Kaufmann, falls er nicht Gold verdient, sondern gräbt, nähert sich dem Elementaren. Die Inspiration ist raum- und zeitlos, vor allem unsichtbar. Je tiefer ein Volk, desto unsichtbarer sein Gott. Die Eingebung, die der Inspiration folgt, ja über sie hinausschwebt, gestaltet sich und wird greifbar; indem wir sie hinschreiben, malen, meißeln, tönen lassen, wird zur Glut der Wange, Augenleuchten. Wir Gottminiatüren erschaffen Weltminiatüren.
„Zuerst war das Wort.“
Dichter also, muß man wohl schon in jeder wahren Kunst sein. Ich habe noch nie einen Dichter, einen Künstler oder irgendeinen künstlerischen Menschen kennengelernt, der nicht selbst in seiner Abtrünnigkeit, religiöser, als ein gläubiger Bürger gewesen wäre. Des katholischen Großpriesters Dr. Sonnenschein wie des Rabbiners Dr. Becks Predigt wird zur Sinfonie, sie vermögen Gott entströmen zu lassen um ihrer Gemeinde Seele. Erstaunt, ja fast verblüfft betrachte ich die Bildhauereien der Neger, der Heidenpriester. Furchtbare Holzgesichter, Kokosfratzen, Köpfe mit zackigen Augenbrauen, weitgepreßten Nasen, Götzen. Ja, Sünde ist in ihrem Lande keine Sünde. Gastfreundschaft aber, die uns hier mangelt, ist ihnen das Höchste! Die heiligen Eigenschaften ihrer Stämme neben mannigfaltiger Rachegelüste, großherziger Schutz und des öfteren launige Menschenfresserei. Sind wir Dichter der Künste etwa nicht Priester? Unsere Kunst nicht unser Gottbeiuns? Was der Satan unserm Gott ist, aller Verleger Plural, ist uns Dichtern, der Verleger. Ja, Dichtung heißt vornehmstes Leben, ihr Tod nur ein Kunstschlaf, unproduzierende Zeit, der immer wieder eine überraschende Auferstehung folgt. Der Künste edle Eigenschaft heißt: »Ewigkeit«. Wir sollten sie hegen. Wie man von moderner oder unmoderner Kunst sprechen kann, habe ich nie begriffen, Kunst ist ein Erzeugnis, ein Element, es gibt nur eine ewige Kunst. Weiht den Künstler doch schon der entrückte Blick des Lauschenden wie des Dilettanten Größenwahn, die Schmeichelei der Gesellschaft, die ihn so gerne ladet, wohlig tut. Jeder wahre Dichter unter den Künstlern erreicht die Zeit, Kunst und Dilettantismus zu unterscheiden, Lebendes und Lebloses, Beweglichkeit oder Stillstand, Gutes oder Schlechtes. Bildung ist keine Kultur; Verwilderung keine Wildnis. Des Dilettanten Erzeugnis ist unlebendig Ding, erfreut sich nicht am Wechselspiel der Atmung. Des Urwalds Aderästen verwachsene Selbstursprünglichkeit, natürliche Harmonie und Disharmonie. Verstehe man unter Dilettantismus nicht etwa gestorbenes Schaffen. Dem Tod geht Leben voran. Dilettantismus ist Angefertigtes und nicht Erschaffenes. Außer dem fälschenden Dilettanten gibt es noch weitere zwei Einbrecher in unsern Tempel:
»Der Kitsch.« Wo wir den finden, bewillkommnen wir ihn, eine wiedergefundene Kindererinnerung. Wie bestaunte ich die entzückenden mysteriösen Sächelchen auf der Kommode unserer Köchin und erst im Zirkus oder in den Zaubervorstellungen das Flitternde und Schimmernde. Ein unkindlicherer Eindring aber in unserm Hause, ist der Kunstgewerbliche. Mit dem Namen, unserer höchsten Werte tauft er sein Gewerbe. Schlägt seinen duftenden Bazar auf im Vorhof unseres heiligen Hauses. Kunst ist kein Gewerbe, wie auch der Mensch oder ein Tier oder gar ein Gott kein Gewerbe ist. Unecht ist der Trost der Obergewerblichen – mit dem er seine Gewerblichen segnet. Zugegeben, unter ihnen befinden sich geschickte Arbeiter. Kunst ist keine Beschäftigung, h. P., Spiel keine Spielerei. Liebelt das Kunstgewerbliche mit der Zierlichkeit des Goldpantöffelchens seiner Stoffpuppen, so ist es mir doch sympathischer, malt der Künstler mal frech und geschmacklos, dem Weib des Amenophis einen Schnurrbart an. Sehr oft feiert das Kunstgewerbe mit der Kunst Hochzeit. Maschine mit Organismus. Zwischen fünf Finger etwa einen batikgemalten Zeigefinger. Wie empfinden Sie das, h. P.? Schaudern Sie nicht? So verhält es sich mit der Kunst und dem Kunstgewerbe. Mögen dem Gedicht, dem Bilde, der Skulptur oder der Vertonung, ja sogar mehrere Glieder fehlen, immer bleibt es dennoch Körper, da es vom Odem belebt, atmet und sich so unterscheidet vom Machwerk und nicht mit ihm vor dem Rad gespannt, noch unter die Räder kommen darf. Der Meister der Kunst erkennt die Lebensfähigkeit jedes Kunstwerks und bemißt nach der Ewigkeit seinen Wert. Aber gleichfalls ist er auch imstande, der Dinge Lebensunfähigkeit festzustellen. Empfängt der Dichter nicht mit offenem Herzen, ein beglücktes Schulkind, das ehrliche Lob?
In diesem Sinne sitzen wir alle noch auf der Schulbank. Heinrich Heine machte es sogar zur Bedingung im Ehekontrakt: Wenn Du meine Gedichte nicht lobst, so lasse ich mir von Dir scheiden. Tatsächlich, ein anständiger Mensch hat sein lebelang Primaner zu bleiben, h. P., begeistert zu sein, in der Nachmittagsstunde sich schwermütig der Dämmerung anzuschließen, sich nach Liebesabenteuern zu sehnen, nach Liebe und nicht nach ehrgeizigen Auszeichnungen. Aber wieder ist der Verleger der Störenfried; mit der Rute sollte man aufräumen; wir verlieren den entzückenden Übermut, die Erfrischung des Herzens trocknet ein, der Bach unserer Kindlichkeit trübt sich. Ja, warum zögerte ich solange – aufzuräumen? Donnerwetter, die Sintflut über sie! – Hörten Sie, h. P., den letzten Fall: Der Fall Cassirer! Gymnasiast war er auch einmal, der Paul Cassirer! In späteren Jahren pflegte er ihn zu spielen, er lernte seine Rolle auswendig, abwechselnd mit der seines Klassenlehrers. Die Prima sympathisch schwänzend, schrieb der Paul lieber einen begabten Roman. Ich zweifle nicht daran, daß, er talentiert ist.
»Schon aus Erfahrung prüfe ich«, erklärte mir Herr Cassirer, »jedes mir eingehändigte Manuskript«. Das Erlebnis mit S. Fischer haftet noch in seinem Gedächtnis, der dem Siebzehnjährigen den ungelesenen Roman mit den Worten zurückerstattet: »Er ist total talentlos.«
Fischer, geb. Schneider, verw. Bäcker, kauend an einer Schrippe in seinem Verlag, mit den Kunden konferierend, zu beobachten, ist geradezu ein George-Grosz-Originalbild. Man glaubt sich in einer Portierloge zu befinden. H. P. Cassirer, der weltmännische Kunstmann, läßt seine Zigarette zwischen seinen Lippen balancieren, aber auch mir blies er leider Dunst in die Augen. Wurde ich nicht seines Gewissens weißer Vorhang, erholte er sich nicht im Gedicht meiner Palme?
Meine hebräischen Balladen, die ich vor Jehovahs Tempel kniend dichtete, er Paul Cassirer, hatte sie erscheinen lassen, der Welt gegeben. Allerdings eine fromme Tat! Ablaß! Der heilige Pfennig fällt lange schon in seine Kassette. Loyal, er legt Wert darauf, die jungen Künstler, ob sie dichten oder malen, in seinem Konferenzzimmer einfach selbsteigens zu empfangen. Korrektere Verordnungen erteilte später des Verlages gewordener Aktionär, Walther Feilchenfeld, ehemaliger literarischer Kommis, seinen Türöffnern. Auf bücherblühender Flur harren die Dichter seines Rufes. Indes von Land zu Land, von Erdteil zu Erdteil weltreist Paul Cassirer seit Jahren, ein Hai, der sich insbesondere von alten Meistern ernährt. Wie oft versicherte er mir, in allen Menschen mag er sich täuschen, »nur in Ihnen darf ich mich nicht täuschen«. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, bei meiner Ehre, als daß er mich nicht weiter enttäuschen möge, seinen Wunsch respektieren zu können. Nicht ich habe ihn, er aber mich im Vertrauen betrogen, ich wiederhole, h. P., das krasse Wort „betrogen“«, da diesem Manne ein unverblümtes Wort gebührt und kein Feilchensproß. Ich schrieb vor vielen Jahren einen Essay sogar in Versen über P. C., den er sich bescheiden (seine weltmännische Eigenschaft) in seinen Schreibtisch schloß als privaten Besitz. Ich nannte ihn den Kunstmann der Kunsthändler, da er keineswegs wie diese, mit wenigen Ausnahmen, ohne Begabung ist. Paul Cassirer ist sogar genial. Wäre sein Vater als armer Mann gestorben, und sein Sohn Paul statt Kunsthändler, Schriftsteller geblieben, er säße als Erster hier vor dem Podium in der ersten Reihe und applaudierte nach Herzenslust. Es kennt ihn wohl niemand besser als ich; es war wie von der Schule her, wenn wir uns so unterhielten, als ob wir auf einer Bank nebeneinander gesessen hätten und bei meinem Abfall von ihm schlug ich mir das Herz wund. Wie enttäuscht mußte mich dieser Mensch haben. Ich bin mir schuldig, den Dichtern, der Dichtung und auch Ihnen, h. P., gründlich aufzuräumen, keinen faulen Stamm aus Sentiment ungekennzeichnet zu lassen. Ein Ausnahmefall unter den Verlegern dieser Paul Cassirer, ein künstlerischer Mensch, der sich die Knospe im Blute selbst abtötete aus Liebe zum Geschäft. Sein Vater durfte ruhig über den aus der Bahn geratenen Sohn getrost die Augen schließen. Ein zum Künstler geborener Mensch, der an sein Edelstes Hand legte, um der Händler der Kunst zu sein, schließlich sich noch beim Hinblick meiner Erzeugnisse sich einen Verlag eröffnete. Ja, er entwickelte sich nicht allein zu einem üblichen Verleger, er wurde ein sentimentaler Verleger und Kunsthändler, ein sentimentaler Teufel und beherrscht die Dichter der beiden Künste. Ich fordere Sie auf, h. P., vor dieser Macht das Gewehr, wenn sie eins bei sich haben, zu präsentieren. Vermißt man auch bei dem Kunstmann die Verantwortung für den Zug, der durch ihn zu laufen sich gewöhnte. Er ist der Kaufmann von Paris, der von dem Dollarpreise redet und redet »verbiete mir das Nein und Ja, das Weinen und Lachen«.
Er redet groß und weit wie durch die Lupe. Er redet einen Wolkenkratzer. Der Zuhörer springt todesmutig endlich durch eines der offenen Fenster, entkommend, ermattend auf die Straße. Aber man verehrt ihn noch im Sturz, ja man verehrt ihn noch, wenn man ihn vollständig erkannt hat, der Unwahrheiten überführte; man verehrt ihn: ein böser Spaziergänger im Hirn des anderen; er verstopft den Kernpunkt, man verstummt, aber man verehrt ihn, weint mit ihm für das Unrecht, das einem selbst geschieht. Wer hätte nicht Paul Cassirer weinen sehen – ich möchte lieber sagen, hysterisch in Tränen erlebt, wenn es sich um Geld handelte. Niemand darf es in seiner Umgebung finanziell zu etwas bringen; ich glaube um meine Person bangte er am meisten. Trotzdem er meine Scheu in Geldangelegenheiten ehrt!
»Sie machen mir doch nicht vor, Prinz, daß Sie um Geld kommen«!
Er hielt übermäßig von mir, noch heute. Ich war sogar imstande, nach seiner festen Überzeugung, wirklich nur von Luft zu leben. Dafür gönnte er sich im Strudel des Verdienens kein Rasten mehr. Immerhin ein Fuchs unter den Lüchsen, ein Hai, der von Meer zu Meer schwimmt, sich von alten Meistern ernährt. Von tausend Mark an bekommt Cassirer Weinkrämpfe, die sich steigern mit der Zahl des Fordernden. Drei Briefe schrieb ich diesem Hauptverleger vor drei Jahren etwa in kurzen Zwischenräumen, die er mir alle drei grün unterstrichen, aber ungelesen, zurückerstattete. Zensur: Gemeinheit. Gemein erscheinen ihm Hunger, Gerechtigkeit, Einsicht. Ich riet ihm dann im letzten der drei Schreiben einen gewissenhaften Arzt zu konsultieren, zumal ihm noch seines guten Fundaments wegen zu helfen sei. Er aber verträgt nur Mundtote in seiner Umgebung. Wenn er so dahin fährt in seinen zwei Autos, ein Imperator, taucht auf, taucht unter – hätte ich ihn gern immer als einen solchen verehrt. Er sank in meinen Augen, ein Verlust für mich, ein größerer für ihn. Aber nicht ich habe sein Vertrauen verscherzt, er aber das meine, ganz und gar. Denn meine Bücher schmücken seinen Verlag, sein Gewissen, sein Haus, seine Person, seinen Tisch. Ich läge trotz meiner zahlreichen Bücher lange an Bleichsucht gestorben unter der Erde, wenn nicht Glücksfälle mir immer wieder das Leben erkauften. Die zehn Bücher meiner gesammelten Ausgabe und die zwei nachfolgenden liegen im Verlage Cassirer, Viktoriastr. 2, und haben, mich scheint’s vergessen, schon Jahre. Im Anfang sprach das Wort: Paul Cassirer erteilt gerne Worte:
»Frau Lasker-Schüler, wenn Ihre Umgebung erfährt, Ihre Bücher erscheinen fortan bei mir, werden Sie unausgesetzt angepumpt werden.«
Ich möchte Ihnen nicht wieder mit Zahlen kommen, h. P., offen gestanden, ich habe keine Lust mehr, möchte Ihnen nur aufrichtig mitteilen, daß anfänglich Paul Cassirer burschikos gesagt, sich nicht lumpen ließ. Beim Erscheinen der gesammelten Bücher im Jahre 1919 sollte mir die Summe von 50000 Mark abzüglich der vorangegangenen Honorare im Kassenschrank Cassirer aufbewahrt werden. 27000 Mark verblieben mir. Ich wurde mein eigener Dieb. Außerdem lief mein Budget liebenswürdig weiter, bis die Briefe Peter Hilles an mich und der Wunderrabbiner von Barcelona 1921 im Cassirer-Verlag erschienen. Für die beiden Bücher à 3000 Auflage erhielt ich 9500 Mark. Das heißt: 2500 Mark, nachdem mir, trotz Flehen und Mordioschreien, die laufenden Honorare 6000 M. abgezogen wurden. Außerdem sperrte man mir meiner eingetretenen Phantasielosigkeit wegen, ich lieferte nichts, das Portefeuille. Das Zifferngemälde habe ich meinem Bevollmächtigten Dr. Kalischer überlassen zu zeichnen, er beantwortet mit Freude jede Anfrage. Immer mehr wurde Krieg, immer näher rüstete die Revolution.
»Lenin!«
Auch auf ihren Verlagsthron zitterten die Buchtyrannen. Paul Cassirer ließ mich im Galaton vor seinen Ledersessel rufen. Er sprach:
»Liebe Frau Lasker-Schüler, verehrter Prinz von Theben, machen Sie sich keine Sorge, falls der Bolschewismus kommen sollte, Sie haben das, was wir, meine Frau und ich haben.«
Atemlos verließ ich den Raum, bog um die Ecke der Viktoriastraße in die brennende Bellevuestraße ein, schrie mit den Arbeitern, die in langer, feuerspeiender Prozession, der Gefahr nicht achtend, über die gepflasterte Erde stampften. Ich stampfte auch. Dieser Paul Cassirer, auch er hatte mich zu locken verstanden und zwar ihm mein Lebenswerk zu überlassen. Ich habe ihm meine Bücher nicht angeboten, er hat sie gefordert. So schön auch ihre Herausgabe ausfiel, so war es dennoch eine Herausforderung, deren Duell ich erlag; nicht allein, h. P., körperlich, nein seelisch und das macht die wahre Erledigung des Dichters aus. Ich räume auf, verehrte Dichter und h. P., räumt mit mir auf. Wir wollen aufräumen! Den letzten Tropfen meines Ehrgeizes opfere ich hier mit der Vorlesung dieser Broschüre. Wer wird noch von mir ein Buch drucken wollen, welcher Verleger dennoch sich bereit erklären. Mögen meine Dichtungen mit mir über die Meere schwimmen und versinken in den Grund der Welt. Wir aber, h. P., wollen nicht ruhen, weiter aufzuräumen. Hört ihr mich, meine lieben Dichterfreunde, solange noch ein Atemzug in unsern Lungen auf und niedergeht, wollen wir nicht ruhen, für die Dichtung aller Kunst zu kämpfen. Ich bin auferwacht, wacht auf mit mir; denn in Ihre Hände will ich mein Testament legen, diese Anklage, sie erzählt von einer Dichterin und Euren Dichtern lebenden und toten. Räumt auf mit mir, die Gerechtigkeit trägt unsere Fahne. An den Todesschellen üben die Engel schon mein Sterbelied. Aber ich will den letzten Atemzug nicht tun, dessen Streckung ein Weg hinterläßt, den man auf Erden nicht zu reisen imstande ist, in die Ewigkeit, bevor ich euch, meine Spielgefährten, Ihnen, h. P., und des Landes Staat, mein letztes Wort übergeben habe, diese drei letzten Worte, die den Anfang unserer Marseillaise bilden sollen:
Ich räume auf!
***
Ich räume auf!, Meine Anklage gegen meine Verleger, von Else Lasker-Schüler, erschien im Lago-Verlag, Zürich, 1925
Die Dichterin Else Lasker-Schüler schrieb diese Anklage vor knapp 100 Jahren, sie fühlt sich Anfang der Zwanziger Jahre von der Gerechtigkeit getrieben und räumt, ohne Rücksicht auf ihre noch ungedruckten Werke, mit ihren Verlegern auf, von denen sie glaubt, auf schändliche Weise ausgebeutet zu werden. Karl Marx und seine Theorien über den Mehrwert scheinen dabei Pate gestanden zu haben: „Ein Schriftsteller ist ein produktiver Arbeiter, nicht insofern er Ideen produziert, sondern insofern er den Buchhändler bereichert, der den Verlag seiner Schriften betreibt, oder sofern er der Lohnarbeiter eines Kapitalisten ist.“ Mit drei Verlegern legt sie sich besonders an: dem Hauptverleger Paul Cassirer, dem Kunsthändler Alfred Flechtheim und dem Verleger Kurt Wolff. Sie trifft sie in ihren Büros, privat oder auch im Romanischen Café in Berlin. Alle drei Verleger wurden vor dem Ersten Weltkrieg zu Millionären und bereicherten sich angeblich an ihrem „innerlichsten Besitz“. Else Lasker-Schüler selbst lebt in großer Armut und ist gezwungen, ihre eigenen Bücher vom Ladentisch zu rauben. Ja, sie muss in dunklen Kellerräumen hausen, sich nachts mit Bettvorlegern zudecken, um nicht zu frieren. Sie denkt sogar daran, sich in der Spree zu ertränken. Doch sie unterlässt es, weil der Selbstmord ihren Verlegern nur als stattliche Reklame willkommen wäre. Sinnvoller scheint es ihr alle anderen Dichter und Schriftsteller aufzufordern, sich zu organisieren, wie die Arbeiter, knapp 50 Jahre nahm sie damit den Verband Deutscher Schriftsteller vorweg). Die Dichtung aller Dichter kann unmöglich nur einem Geldmenschen gehören; sie gehört der ganzen Menschheit. Um ihre Dichterfreunde und die Menschen für dieses Ziel zu sensibilisieren, zog Else Lasker-Schüler mit ihrer Streitschrift durch die Städte und liest sie öffentlich vor.
Weiterführend → KUNO würdigte die Poetin mit einem Rezensionsessay.
→ Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.
→ Poesie zählt für die Kulturnotizen weiterhin zu den wichtigsten identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.