Zoon poietikon– so nennt sich der neue, eben im Sisyphus-Verlag erschienene Band der besonderen Dichterin und alljährlichen Herausgeberin des österreichischen Lyrik-Jahrbuchs Alexandra Bernhardt. Dass sie sich mit dem Altgriechischen auskennt (wie der Titel beweist), ist aber längst noch nicht alles. Auch die Sprache der Tiere scheint der in Bayern geborenen Dichterin vertraut zu sein. In ihren 50 Gedichten ihres neuen Werkes spürt Bernhardt nämlich dem nach, was in der Fauna so zirpt und tönt- und gibt diesem in einer Art symbolischem Bestiarium eine neue, kondensierte Sprachstruktur. Das klingt allerdings viel verkopfter, als es ist. Bernhardts Texte sind trotz ihres Konzepts nämlich nahe am Leben und erzählen in prägnanten Sprachbildern von der menschlichen Wirklichkeit, für die die Tiere als Metapher stehen. Das wird gleich zu Beginn des Bandes in dem titelgebenden Gedicht Zoon poietikon (s. 8) klar, in dem es heißt:
„Der Mensch
ein Tier
gemacht
dem Wort
gesponnen
aus dem
Widersinn
gedacht
der Sprache
machtvoll
Fleisch.“
Sinnlich sind diese ersten Zeilen gestaltet – und spätestens bei dem Wort „Fleisch“ bekommt der lesende Mensch Lust auf mehr!
Wer mit altgriechischen Begriffen und Buchtiteln um sich wirft, der sollte etwas von der Zeit, aus der sie stammen, verstehen. Und das tut Alexandra Bernhardt auch. So ist dem Band, der nach dem eben zitierten Epilog startet, ein philosophisches Zitat Platons vorangestellt, in dem er den Menschen als „zweibeiniges Tier ohne Federn“ beschreibt. (s.9). Spätestens jetzt sind wir neugierig geworden, oder? Und wir tauchen in die Welt der Tiere ein. Bald schon ist klar: Alexandra Bernhardts Texte sind fluide, luftig, geben dem/ der Lesenden in ihrer Knappheit Raum für eigene Bilder. Umso wichtiger ist es, wie die Autorin weiß, ihnen eine formale Struktur zu geben, ein Gitter, das zusammenhält, was sonst auseinander bricht – und sie wählt ganz einfach das griechische Alphabet dafür. So beginnen wir diesen Band mit einem sprachlichen Sinkflug auf den Spuren des Adlers (s.11), wenn es heißt:
„Der du bist
zu kreisen
auszubahnen
zu ermessen
Schluchten Wasser
Höhen: (…)“
Schön ist bei diesem Gedicht, dass die Syntax genauso in der Luft hängt wie das Tier, das hier beschrieben wird – es wird mit einem Nebensatz gestartet, was dem Text eine fliegende Energie verleiht.
Doch unser Weg führt uns bald schon hinab auf die Erde – denn nach dem folgenden Gedicht „Amsel“ kommt auch schon der Armadillo ins Spiel! Und weiter geht die Reise, die uns mit in unserem Sprachraum bekannten und weniger bekannten Lebewesen konfrontiert. Da werden exotische, fremdartige Tiere wie die Fähe oder der Pirol, der Axolotl und die Seenadel genauso zum Thema gemacht wie in unseren Breitengraden bekannte und durchaus beliebte Kreaturen – der Wolf beispielsweise, oder das Reh. Auch den einfachsten Wesen kann Alexandra Bernhardt etwas abgewinnen, wie das Gedicht „Huhn“ (s. 53) beweist:
„Beseelt
von Körnern
Samen Suchen
spelzt du Silben
in den Sand : so
lebenssatt bestellst
du heiter dein
Revier im Gras
später sitzt du
dann auf
Bäumen“
Zwar wird die Einfachheit des Hühnerlebens in diesen Zeilen klar – aber dennoch geben Worte wie „beseelt“ oder „Revier“ dem Federvieh ein gewisses Maß an Würde.
Die Sprache der 1974 in Bayern geborenen Dichterin, die Philosophie, Komparatistik, Gräzistik und Orientalistik in München und Wien studierte, wo sie seit 2002 lebt und auch den Verlag „Edition Melos“ ins Leben gerufen hat, ist klar, sie scheint Wasser schneiden zu können. Da werden Teile der Syntax weggelassen, wird jede Zeile auf das Wesentliche reduziert. Komplex sind jedoch die Perspektiven, die das dichtende Ich in Zoon poietikon einnimmt: So verwandeln sich – wie etwa im Gedicht „Adler“ – Tiere in gleichwertige Partner, die das lyrische Ich mit „Du“ ansprechen, werden dann aber wieder, wie zum Beispiel im Text „Brachkäfer“ (s.21) gleichsam „von oben“ und aus der dritten Perspektive betrachtet:
„Fühlt hinein
in den Frühling
den spät begonnenen
Anfang“
heißt es in diesem Text- und sofort sehen wir dieses Insekt in einer gewissen Distanz unter uns kriechen. Aber die Autorin geht noch einen Schritt weiter: So wird sie bezeichnenderweise ausgerechnet in dem Gedicht „Gottesanbeterin“, das ein Tier thematisiert, mit dem sich die meisten nicht so gerne identifizieren, selbst zu dem alles verschlingenden Fangschrecken, wenn es da (s.48) heißt:
„Gottesanbeterin: (…)
nur Weisung
ich zu sein“
Andere Gedichte wiederum kommen gleichsam ohne jedes Subjekt, jedes ich, du, er oder sie aus – wie etwa die „Lerche“ (s. 67), in dem der erste Satz, ähnlich wie bei „Adler“, im luftleeren Raum hängen bleibt: „Hinauf in den Himmel
der Ungestümen
die unverdorbene Frucht
aller Wildnis“
Die Texte sind also in ihrer Machart facettenreich und vielschichtig. Wen wundert es, dass Alexandra Bernhardt für ihr Werk vielfach ausgezeichnet wurde? So erhielt sie beispielsweise im Jahre 2021 das Wiener Literatur Stipendium und gewann 2022 den Medienpreis der RAI Südtirol beim Lyrikpreis Meran. Wir folgen ihr gern auf ihrer Reise durch die Elemente und über die Kontinente – und wenn uns das letzte Gedicht „Zebra“ wieder in unseren Alltag entlässt, sind wir fast ein bisschen traurig!
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Zoon poietikon, von Alexandra Bernhardt. Sisyphus Verlag, Wien 2024
Weiterführend → Die Redaktion blieb seit 1989 zum lyrischen Mainstream stets in Äquidistanz.
→ 1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie
→ 2005 vertieften wir die Medienbetrachtung mit dem Schwerpunkt Transmediale Poesie
→ 2015 fragen wir uns in der Minima poetica wie man mit Elementarteilchen die Gattung Lyrik neu zusammensetzt.
→ 2023 finden Sie über dieses Online-Magazin eine Betrachtung als eine Anthologie im Ganzen.
→ In 2024 stellt die Edition Das Labor ein nachgelassenes Langstreckenpoem von A.J. Weigoni in 366 Strophen vor. Diese consolatio poesiae hat keinen Ort, sie wird für eine Weile im Datennirvana existieren und wie KUNO irgendwann ganz verschwinden.