In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad
Mein’ Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu’ gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.
Ich möcht’ als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und geh’n von Haus zu Haus.
Ich möcht’ als Reiter fliegen
Wohl in die blut’ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.
Hör’ ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will —
Ich möcht’ am liebsten sterben,
Da wär’s auf einmal still!
***
1813 wurde das Gedicht unter dem Pseudonym „Florens“ und unter dem Titel Lied in der Anthologie Deutscher Dichterwald veröffentlicht. Eichendorff nahm das Gedicht auch in seinen 1812 verfassten und 1815 veröffentlichten Roman Ahnung und Gegenwart auf, wo es zum ersten Mal unter Eichendorffs eigenem Namen gedruckt wurde.
Für Theodor W. Adorno war Eichendorff „kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs im Sinne des Novalis, dem er nahe sich wußte.“ In seinem Essay Zum Gedächtnis Eichendorffs weist er auf den affirmativen Tonfall hin, der dem Dunklen entrungen sei, und spricht von einem „Entschluß zur Munterkeit“, der sich mit seltsam paradoxer Gewalt am Ende des Werkes bekunde. Nach Ansicht Adornos ermöglichte gerade Eichendorffs Festhalten am Vorbürgerlichen und Überkommenen einen kritischen Blick auf bürgerliche Verhältnisse. Indem Eichendorff sich vom Liberalismus distanzierte, gewann seine Lyrik für ihn ihre utopische Dimension. Um zu verhindern, dass der Dichter von „Kulturkonservativen“ und Katholiken vereinnahmt werde, bedürfe es einer dialektischen Lektüre gegen den Strich. Zunächst müsse man sich aber eingestehen, dass „der Ton des Affirmativen, seine Verherrlichung des Daseins schlechthin“ nicht verteidigt werde, um andere Ebenen seiner Lyrik der idyllisierenden Lesart zu entziehen. Adorno weist auf den Versuch hin, Eichendorff als „Kronzeugen einer positiven Religiosität“ und in „landsmannschaftlichem Geiste, einer Art Stammespoetik Nadlerschen Schlages“ zu nutzen. Derlei Bestrebungen liefen darauf hinaus, ihn im patriotischen Sinne „gewissermaßen rück(zu)siedeln“, was mit seinem „restaurative(n) Universalismus“ nicht zu vereinbaren wäre.
Es sei das „Gegenteil sturer Apologie“, ihn vor Freunden und Gegnern zu retten. Allerdings gebe es ein Element seiner Lyrik, das „dem Männergesangverein überantwortet ward … nicht immun gegen sein Schicksal“ war und „es vielfach herbeigezogen“ habe. Auch könne der „Ton des Affirmativen, der Verherrlichung des Daseins“, der zu bestimmten Lesebüchern geführt habe, nicht verleugnet werden. Für Adorno klingen einige seiner Verse indes „wie Zitate beim ersten Mal, memoriert nach dem Lesebuch Gottes.“
Konzentriere man sich auf die Funktion der Sprache, schlage der Konservatismus in die Moderne um. Die Verneinung des Herrschaftlichen, zumal über die eigene Seele, sei progressiv. Seine Dichtung lasse sich vertrauensvoll treiben „vom Strom der Sprache und ohne Angst, in ihm zu versinken.
Weiterführend → Die Redaktion blieb seit 1989 zum lyrischen Mainstream stets in Äquidistanz.
→ 1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie
→ 2005 vertieften wir die Medienbetrachtung mit dem Schwerpunkt Transmediale Poesie
→ 2015 fragen wir uns in der Minima poetica wie man mit Elementarteilchen die Gattung Lyrik neu zusammensetzt.
→ 2023 finden Sie über dieses Online-Magazin eine Betrachtung als eine Anthologie im Ganzen.