Poetische Zündungen bringen nicht nur Gedichte hervor, sondern auch anders denkende, anders atmende Menschen.
Marica Bodrožić
KUNO lädt die Leser seit 1989 zu narratologischen Spaziergängen durch die Literaturgeschichte ein. Die Redaktion richtet sich seither gegen die ideologische Vereinnahmung und stellt bevorzugt die Nonkonformisten vor, die das Prinzip der Autonomie verinnerlcht haben. Ihre Lyrik weist hinaus ins Offene: dorthin, wo keine Hierarchien mehr gelten, kein vorsätzlicher Sinn die Arbeit an der ökologischen Zukunftssicherung behindert.
Man liest diese fünfzig Jahre alten Gedichte und möchte sie eigentlich sofort und per Amt zur Pflichtlektüre für all jene beleidigten deutschen Literaten erheben, die gerade in selbstgefälligem Ohnmachtsgehabe erklären.
Hilmar Klute über Nicolas Born
Lyrik ist eine Poetik der Unmittelbarkeit, das lässt sich selbst an der kommunikativen Gebrauchslyrik der Instapoetin Rupi Kaur ablesen. Dieser Sprache ist nicht zu trauen, sie kann genauso verführen wie manipulieren. In der Poesie fügt sich manches ohne Zwang buchstäblich ungewollt zusammen, vieles macht Sinn, Anschauungsweisen werden gegenwärtig, konzentriert auf Dicht- und Denkräume. Besser als ein Leben im Echoraum der sogenannten sozialen Medien ist es zu schweigen.
Der Weltbuchtag ist seit 1995 ein von der UNESCO weltweit eingerichteter Aktionstag für das Lesen, für Bücher und für die Kultur des geschriebenen Wortes.
Mit dem Verwertungsgedanken von Gedichten konnten wir uns auf KUNO seit 1989 nie anfreunden. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Künstler– Maler– oder eben Künstlerbücher findet man nicht in einem Supermarkt für Bücher. Das Künstlerbuch ist ein überaus sinnlicher Gegenstand – und was im Zeitalter der Wischbildschirme übersehen wird – ein dreidimensionales Behältnis. Es soll gerne angeschaut und angefaßt, gerne in die Hand genommen und in ihr gehalten, gewogen werden. Sensorik, Haptik, Ästhetik sind ausgesprochen wichtig. Jeder kennt das Vergnügen, seine Nase tief in das Innere eines neu erworbenen Buches zu stecken, am Papier zu schnuppern und über Seiten und Einband zu streichen. Es ist die ewige Suche nach den sinnlichen Lesearchipelen.
Die expressive Farbigkeit von Haimo Hieronymus, die man als vital bis aggressiv empfinden kann, korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die zusammenwirken, während sie Kontraste bilden.
Holger Benkel
Das Künstlerbuch Unbehaust ist eine poetische Untersuchung über das „Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ zwischen Gutenberg und Internet. In ihrer Arbeit untersuchen Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni Schriftbilder und Scans im Zeitalter zunehmender Immaterialität. Welche Art von Bildlichkeit ist da im Begriff zu entstehen?
Der bildende Künstler Haimo Hieronymus und der Schriftsteller A.J. Weigoni schlagen mit dem Künstlerbuch Unbehaust nicht nur einen Steg zwischen den Künsten (Druckgrafik / Poesie), sondern eine Brücke zwischen den Zeiten. Gemeinsam mit dem Handpressendrucker Hans–Ulrich Prautzsch betreiben sie eine digitale Manufaktur, bei der die Instrumente der neuen Medien zum Einsatz kommen. Als Werkzeuge setzen sie einen leistungsfähigen Rechner, Scanner und Laserdrucker ein. Mit Hilfe der geeigneten Software verarbeiteten sie Texte und Bilder. Der Druck geschah nach Gutenbergschen Regeln mit Bleisatz auf Werkdruckpapier.
Beim Holzschnitt auf Bütten durchdringt die Farbe das Papier. Haimo Hieronymus, A.J. Weigoni und Hans-Ulrich Prautzsch gehen bei vom virtuellen wieder ins Materielle, zielen auf ein älteres „Speichermedium“ ab, das aber mit den neuen Medien hergestellt wird, dem Künstlerbuch. Schrift und Bild waren im Buch des Mittelalters eine Einheit. Künstler des Bauhauses schufen im 20. Jahrhundert Bücher von hohem gestalterischen Niveau. Die Entstehung einer Einheit von Schrift und Bild haben die Artisten im Medium des Computers untersucht und mit der uräus-Handpresse umgesetzt. Die digitale Manufaktur produzierte das Künstlerbuch „Unbehaust“.
Haimo Hieronymus variiert, er wiederholt auch, teilweise bis zur Erschöpfung, er holt wider sich. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Beim Künstlerbuch Faszikel versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muß für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen. Wichtig ist, daß das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt. Die in der Natur entstandenen Zeichnungen wurden im Atelier nicht weiter überarbeitet. Zwar wurden auf der Platte weitere Ätzungen durchgeführt, aber die Kaltnadel blieb, wie sie am Objekt entstanden war. Seine ‚Mental Maps‘ sind keine funktionalen Karten, die von A nach B führen, sondern eine Art zeichnerisches Reisetagebuch. Mit Bleistift und grellen Aquarellfarben mischte er abstrakte Elemente mit nahezu realistischen Architekturansichten und organischen Formen wie Baumwurzeln, Adern, Nervenbahnen. Ein Teil der Kaltnadelzeichnungen entstand nicht direkt am Objekt. Haimo Hieronymus hat korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen verwendet, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen konnten. Teilweise waren die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und wurden durch Schleifpasten und Dreikantschaber nivelliert. Die Platten wurden daraufhin zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erschien, hat er seinem Vertrauen in die Platte überlassen. Danach wurde gedruckt.
Was ist ein Idol anderes als der dunkle Schatten einer kollektiven Erinnerung, eine archaische Sehnsucht nach dem Prinzip Geborgenheit und Wärme, manifestiert im weichen Umriss des Ewigweiblichen, Ewigmütterlichen?
J.C. Albers
Begann die Trilogie von A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus mit einer Kombination aus Texten und Holzschnitten, einer der bekanntesten und ältesten Hochdrucktechniken, wurde diese Vermengung von Gedicht und Bildgewebe bei Faszikel mit der Tiefdrucktechnik der Radierung fortgesetzt, hier in Kombination aus durchscheinenden Papieren und Texten, auf Lasuren mit Schellack und warm leuchtenden Holzextrakten, so bildet Idole mit seinen speziellen Leimformdrucken eine technische Neuerung und gleichzeitig Klammer, denn hier werden Elemente des Hoch– und des Tiefdrucks kombiniert. Als Ergebnis zeigt sich ein fast gezeichnet wirkendes Bild. Die acht Grafiken beschäftigen sich mit der möglichsten Reduktion von Körpern, von Torsi, auf ein Spiel von Formideen mit den scheinbaren Ungleichgewichten zwischen Linie und Fläche, Proportion, den Illusionen von Unzulänglichkeit menschlicher Erscheinung. Trotzdem fühlt man sehend einen sehnsüchtigen Drang zur Harmonie, ja zum Schönen im klassischen Sinn. Einmal angeschaut, wirkt ein Bild von ihm wie ein Angelhaken im seelischen Bildarchiv. Diese Grafiken zeigen sich so letztlich als fast hymnische Liebeserklärung an die vor allem weibliche Schönheit jenseits der einzelnen Frau.
Puristen nehmen A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus diese Grenzüberschreitungen übel, weil diese Form von “Interdisziplinarität” nicht der Theoriebefriedigung, sondern der lustvollen Verblüffung dient. Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni gehen bei dieser Trilogie vom Virtuellen ins Materielle und zielen auf ein älteres Speichermedium, das mittels neuer Medien hergestellt wird und mit analogen Medien zu gebundener Form findet. Sie schlagen mit dem Projekt Idole einen Steg zwischen den Künsten (Druckgrafik / Poesie). Die Entstehung einer Einheit von Schrift und Bild untersuchen Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni im Medium des Computers und setzen sie im Neheimer Atelier um. Die digitale Manufaktur produziert in diesem Fall ein Idol.
Diese Buchkunst erzeugt eine ihr eigene Wirklichkeit und betont den Bildcharakter des Buchstabens, der das so gefühlte Erkennen über das Begrenzte und enge Bezirke des nützlichen Lebens hinaus transportiert.
In der gemeinsamen Arbeit von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni geht es darum, alte Grenzziehungen zwischen den Disziplinen neu abzustecken. Das Schriftbild der Partiale verweist darauf, daß der Schrift wie als auch der Malerei dieselbe Struktur zugrunde liegt, bestehend aus diversen vordefinierten Strichen. Der Künstler malt Kreise und Rechtecke, die für Schriftzeichen vorgesehen sind, und macht damit auch deutlich, wie sehr Malerei und Schrift miteinander verbunden sind. Die Grenze von Schrift und Zeichnung ist eine Interzone des ‚Nochnicht’. Linien und Texte mit Bleistift, Tinte, blauem und schwarzem Kugelschreiber auf Papier, es beginnt immer mit einem Gekritzel, um den ersten Moment der Wahrnehmung. Wahrnehmen ist die unersetzbare Voraussetzung für eine ästhetische Erfahrung. Was des Lyrikers Gedichte in diesem Zusammenhang bedeuten, ist oft sekundär, sie verzaubern durch ihren Rhythmus, bei dem das Verstehen bisweilen in den Hintergrund rückt. Liest man sich diese Gedichte selbst laut vor, so kommt man dem Autor auf die Spur. Das Geheimnis ist offenbar und die Leser werden zu Mitwissenden. Im Katalog Partiale traf der Formerfinder Hieronymus auf den Allegorienschöpfer Weigoni. In diesem Projekt entstand eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Nicht Kreise oder Linienkonstrukte für sich, sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch mit den Lineaturen. Es geht den Artisten um ein raffiniertes Spiel mit den Wechselwirkungen von Verschriftlichung, Verbalem und Visuellem. Bildwirksam stehen die Gedichte an der Scheidegrenze zwischen Bild- und Bedeutungsträgern. Der Betrachter wird zum Spurensucher.
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Faszikel, ein Künstlerbuch von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, Edition Das Labor, 2004
Idole, ein Künstlerbuch von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, Edition Das Labor, 2007
Partiale, Katalog von Haimo Hieronymus. Gedichte von A.J. Weigoni. Edition das Labor 2016.
Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2017
Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421