Ein gedichtgefecht auf hoher warte, an tiefe fragen rührend, wann hat es das zuletzt gegeben? wir wissen von Meckel / Törnes freundschaftlichem versewechsel eine generation zuvor. Hier beversen sich wieder zwei dichter. Doch beiden geht es um angelpunkte, die welt in der waage zu halten oder zum klingeln zu bringen. Am ende wedelt die coda mit der kadenz, die fuge steht aus. Mehrmals haben die sonettkoordinatoren Kaarst und Cornwall, Hamburg und Berlin tenzonen gesponnen, über spinner, spinnen und mauern; auch eine gemeinsame kantate gibt es, falls irgend ein Bachurenkel lebt. Im frühjahr dieses Marsjahres 95 also trafen Klünner und Rarisch sich im morgengrauen. Der »Form«, dem sonett, für ihn prüfstein der dichternatur, verschworen, es zu verteidigen gerüstet war Rarisch – Klünner, von der surrealité gekommen, vor reimen sich schüttelnd, sonettierend mit leichter hand, verfocht die »Transformation«. Beide bogenmeister spannten die form bis zum überspann und fanden vor einbruch der dunkelheit zurück. Wir halten die partie für von öffentlichem interesse. Frau Welt redet ihr Wörtchen mit. Wir sind in dem bauloch bei Potsdam, zwischen der form, die gebrochen lag, und der transformation, die ihre schrecken wirft, im luftraum gestürzter -bisse bis -karoi über dem ausgeschachteten has- und igelfeld. Das nur andeutsam, wer weiterliest bleibt unter uns. Was ist davon zu haben?
parzival- und animalisches spielen hinein in Rarischs grimmigen ernst, in Klünners nachlässige heiterungen. Im pförtnerhaus der eigentumsvorbehaltenen abtei Lethema begegnen sich Li Po und Tu Fu. Wir hören den dichtenden mandarin und den mandarinen dichter, sehn klause und theke, tabak und wein, die herbe und die süperbe hand, Sorbonne und Sodompark.
Po Li kuriert seinen kater mit O-Ton, Fu Tu trinkt sich einen I-bis an, im gemütlichen teil gehts tittenhoch in die ozonzyklone und hodentief ans pantarheisch-kreißen, da sind wir schon in hansischen gebreiten und zwei barone wachen ihren nüchter ein. Das weltlied ist auch in Sonetten stimmbar, wir müssen nicht im Vaticanum suchen. Berlin im vierzehnzeilenrausch, gib uns Ohro-, Naso- und Augopax! et tolle peccata mundi!
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Hieb- & stichfest. Streitsonette von Lothar Klünner, Klaus M. Rarisch & al.: Meiendorfer Druck Nr. 40
Weiterführend → Die Redaktion blieb seit 1989 zum lyrischen Mainstream stets in Äquidistanz.
→ 1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie
→ 2005 vertieften wir die Medienbetrachtung mit dem Schwerpunkt Transmediale Poesie
→ 2015 fragen wir uns in der Minima poetica wie man mit Elementarteilchen die Gattung Lyrik neu zusammensetzt.
→ 2023 finden Sie über dieses Online-Magazin eine Betrachtung als eine Anthologie im Ganzen.
→ Lyrik lotet das Verhältnis zwischen dem Fremden und dem Eigenen aus. Dies versucht auch ein Essay zum Beginn des Lyrikjahres 2024.