Nur zwei Dinge ist ein Gedicht des Lyrikers Gottfried Benn. Es ist datiert auf den 7. Januar 1953 und wurde erstmals in der Frankfurter Ausgabe der Neuen Zeitung vom 26. März 1953 veröffentlicht. Im Mai desselben Jahres erschien es in Benns Gedichtsammlung Destillationen. Den letzten durch Benn persönlich herausgegebenen Band, die Gesammelten Gedichte aus seinem Todesjahr 1956, beschließt Nur zwei Dinge vor dem lyrischen Epilog.
Das Gedicht blickt in einer Du-Ansprache auf ein Leben zurück, stellt die Sinnfrage und findet die Antwort im Ertragen des Vorbestimmten. Nach der Einsicht in die allgemeine Vergänglichkeit schließt das Gedicht mit einer Gegenüberstellung von Leere und gezeichnetem Ich. Im Gegensatz zu den abstrakten, nihilistischen Aussagen steht die geschlossene und eingängige Form des Gedichts, die durch traditionelle Stilmittel geprägt ist. Dabei lassen chiffrenhafte Formeln vieldeutige Interpretationen zu. Nur zwei Dinge gehört zu den populärsten Gedichten Gottfried Benns und wurde auch als seine persönliche Lebensbilanz verstanden.
Die erste Strophe des dreistrophigen Gedichts lautet:
„Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?“
Dies wird als Kinderfrage bezeichnet. Erst spät hat das Du des Gedichts erkannt, was es im Leben zu ertragen gelte:
„dein fernbestimmtes: Du mußt.“
Angesichts der allgemeinen Vergänglichkeit, wofür beispielhaft Rosen, Schnee und Meere genannt werden, bleibt als Fazit:
„es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.“
Das Gedicht besteht aus drei Strophen. Die vier Verse der beiden Außenstrophen stehen im Kreuzreim und enden abwechselnd mit einer Hebung oder Senkung. Die Binnenstrophe wird mittels eines zusätzlichen Paarreims auf fünf Verse erweitert. Durch den Einschub als Parenthese fällt der achte Vers aus dem Gedicht heraus, das sich ebenso gut ohne ihn lesen ließe. Die Wirkung der zusätzlichen Zeile ist laut Gisbert Hoffmann ein Ritardando, eine Verzögerung des Strophenschlusses. Gleichzeitig verstärkt sie den vorigen Vers 7, „es gibt nur eines: ertrage“, und macht ihn zum Mittelpunkt des Gedichts. Benn setzte das Stilmittel eines zusätzlichen Verses in seinem Werk wiederholt in einzelnen Strophen ein, zwei seiner Gedichte bestehen vollständig aus fünfzeiligen Strophen. Die unruhige Wirkung der Metrik von Nur zwei Dinge erklärte Hoffmann mit der variierenden Anzahl von Silben pro Vers sowie den unregelmäßigen und unerwartet verteilten Versfüßen. Die allesamt dreihebigen Verse bestehen aus unterschiedlichen Kombinationen von Jamben und Daktylen mit Ausnahme der rein jambischen Verse 2, 3 und 8, des aus Anapästen gebildeten Verses 4, sowie des abschließenden Verses 13, der als einziger mit einer Hebung beginnt und dadurch die Schlussformel akzentuiert. Allerdings sind auch abweichende Skandierungen möglich, nach denen etwa Vers 4 betont, Vers 13 dagegen unbetont einsetzt und somit das Schema von Vers 9 wiederholt.
Fehlt in der ersten Strophe des Gedichts noch jedes Subjekt, tritt an dessen Stelle ab der zweiten Strophe eine Du-Anrede. Dies kann als monologische Selbstansprache verstanden werden, allerdings wies Kaspar H. Spinner darauf hin, dass die Aussagen aus einem höheren Bewusstsein heraus zum Du gesprochen werden. Dabei hebe die Du-Form die Verse über eine Identifizierung des Autors als Sprecher hinaus, sie verleihe dem Gedicht eine Autonomie in der Aussageinstanz. Während das „Du“ die Rolle des lyrischen Ichs übernehme, wandle sich das „Ich“ als substantiviertes Pronomen zum Objekt, im letzten Vers sogar mit Artikel und Adjektiv. Gernot Böhme und Gisbert Hoffmann sahen eine Aufspaltung des Ichs in ein frühes und ein spätes Ich. Letzteres wende sich auf der Grundlage des erworbenen Wissens an sein früheres Bewusstsein, sein biografisches Ich.
Die literarische Tätigkeit von Gottfried Benn nimmt ihren Ausgang im avantgardistischen Aufbruchszenario der Künste und inmitten der theoretischen Umwälzungen in der Wissenschaft um 1910. Sie findet in der expressionistischen Dekade zu ihrer aggressiven Stimme durch eine Radikalisierung von ästhetizistischer Stimmung mit ihrer idiosynkratischen Mischung aus kultivierter Weltdistanz und introspektiver Selbstauflösung. In der Vielschichtigkeit stilistischer Strömungen der Jahrhundertwende waren allenfalls unterschwellig Einheitsmomente eines Epochengefühls wirksam. Ex negativo etwa eine Aushöhlung des religiösen Glaubens, das Porös werden moralischer Verbindlichkeit, die Diskreditierung sittlicher Vernunft, Zweifel am wissenschaftlichen Fortschritt oder an sprachbasierter Kommunikations- und Erkenntnisfähigkeit. Unwägbar Diffuses wie allgemeine Krisenstimmungen, soziale Anomien, entfremdetes Zeitgefühl wurde seit 1900 wieder diskursfähiger, einmal mehr kursierten in Europa Phantomschmerzen über den Verlust ganzheitlicher Existenzbindungen und gesamtkultureller Einheit. Die Gründe hierfür wurden sowohl im Unglaubwürdig werden überkommener Gottesvorstellungen oder im Nichtankommen des (neu)romantischen kommenden Gottes gesucht als auch in den Folgen umgreifend gewordener Industrialisierung, Urbanisierung und Verwissenschaftlichung. Der von Döblin als „abtrünnigen Christen“ identifizierte Benn wird in der berühmten Akademierede 1932 vom „Realitätszerfall seit Goethe“ sprechen.
Weiterführend → Die Redaktion blieb seit 1989 zum lyrischen Mainstream stets in Äquidistanz.
→ 1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie
→ 2005 vertieften wir die Medienbetrachtung mit dem Schwerpunkt Transmediale Poesie
→ 2015 fragen wir uns in der Minima poetica wie man mit Elementarteilchen die Gattung Lyrik neu zusammensetzt.
→ 2023 finden Sie über dieses Online-Magazin eine Betrachtung als eine Anthologie im Ganzen.
→ Lyrik lotet das Verhältnis zwischen dem Fremden und dem Eigenen aus. Dies versucht auch ein Essay zum Beginn des Lyrikjahres 2024.