ZU EINER TOTENFEIER FÜR ARNOLD BÖCKLIN

(In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine Fackelträger hinter ihm. – Der Prolog ist ein Jüngling; er ist venezianisch gekleidet, ganz in Schwarz, als ein Trauernder.)

 

Nun schweig, Musik! Nun ist die Szene mein,

Und ich will klagen, denn mir steht es zu!

Von dieser Zeiten Jugend fließt der Saft

In mir; und er, des Standbild auf mich blickt,

War meiner Seele so geliebter Freund!

Und dieses Guten hab ich sehr bedurft,

Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit,

Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier,

Aus der Najade triefend weißen Händen

Sich seine Nahrung küßt, so bog ich mich

In dunklen Stunden über seine Hände

Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.

Schmück ich dein Bild mit Zweig und Blüten nur?

Und du hast mir das Bild der Welt geschmückt

Und aller Blütenzweige Lieblichkeit

Mit einem solchen Glanze überhöht,

Daß ich mich trunken an den Boden warf

Und jauchzend fühlte, wie sie ihr Gewand

Mir sinken ließ, die leuchtende Natur!

Hör mich, mein Freund! Ich will nicht Herolde

Aussenden, daß sie deinen Namen schrein

In die vier Winde, wie wenn Könige sterben:

Ein König läßt dem Erben seinen Reif

Und einem Grabstein seines Namens Schall.

Doch du warst solch ein großer Zauberer,

Dein Sichtbares ging fort, doch weiß ich nicht,

Was da und dort nicht alles von dir bleibt,

Mit heimlicher fortlebender Gewalt

Sich dunklen Auges aus der nächtigen Fluß

Zum Ufer hebt – oder sein haarig Ohr

Hinter dem Efeu horchend reckt, drum will ich

Nie glauben, daß ich irgendwo allein bin,

Wo Bäume oder Blumen sind, ja selbst

Nur schweigendes Gestein und kleine Wölkchen

Unter dem Himmel sind: leicht daß ein Etwas,

Durchsichtiger wie Ariel, mir im Rücken

Hingaukelt, denn ich weiß: geheimnisvoll

War zwischen dir und mancher Kreatur

Ein Bund geknüpft, ja! und des Frühlings Au,

Siehe, sie lachte dir so wie ein Weib

Den anlacht, dem sie in der Nacht sich gab!

Ich meint um dich zu klagen, und mein Mund

Schwillt an von trunkenem und freudigem Wort:

Drum ziemt mir nun nicht länger hier zu stehen.

Ich will den Stab dreimal zu Boden stoßen

Und dies Gezelt mit Traumgestalten füllen.

Die will ich mit der Last der Traurigkeit

So überbürden, daß sie schwankend gehn,

Damit ein jeder weinen mag und fühlen:

Wie große Schwermut allem unsern Tun

Ist beigemengt.

Es weise euch ein Spiel

Das Spiegelbild der bangen, dunklen Stunde,

Und großen Meisters trauervollen Preis

Vernehmet nun aus schattenhaftem Munde!

 

 

 

***

 

Hugo von Hofmannsthal 1910 auf einer Fotografie von Nicola Perscheid

Weiterführend →

Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

 Im Alter von achtundzwanzig Jahren verschafft sich Hofmannsthal mit dem Brief des Lord Chandos ein Ventil, seinem Zweifel an der Sprache Raum zu verschaffen. Der Sprache traut er jedenfalls nicht länger zu, den Zusammenhang von Ich und Welt herstellen zu können.