Die Disziplin setzt in der Formung des Materials ein, aber ich weiß, dass schon die Auswahl des Materials einem kreativen Akt unterliegt, nicht beherrschbar ist und auch nicht vollkommen beherrschbar sein sollte. Auch die Formung selbst, zu der eine gewisse Disziplin notwendig ist, geht natürlich einher mit schöpferischen Kräften, spontanen, intuitiven Ideen. Trotzdem: Disziplinierung ist nicht nur Handwerk, sie ermöglicht auch den richtigen Fluss der Kreativität. Ich wende mich gegen das schnelle Runterschreiben. Das kann hin und wieder gut gehen. Aber besser ist es, wenn der Autor seine Kreativität trainiert: Wenn er das Träumen vermehrt, indem er es sich vornimmt, sich damit beschäftigt, analysiert, interpretiert, Träume literarisch verwendet. Kreativität ist stimulierbar und trainierbar, wenn auch nicht immer abrufbar, aber es ist steuerbarer, als mancher glaubt. Mag sein, dass diese Begabung sehr unterschiedlich ist.
Ich stelle mir einen Schacht zum Unterbewusstsein vor, den ich öffne, wenn ich schreibe. Ich spüre nach einer Weile, wie die Sprache von allein fließt. Aber das kann ich steuern, jederzeit, und auch erst einmal zulassen, dann wieder anhalten. Ich schreibe morgens am besten – aber da muss ich arbeiten gehen, und am Wochenende komme ich morgens selten zum Schreiben. Jedes Mal in den Ferien, vor allen in den Großen, spüre ich, wie nach etwa einer Woche dieser kontrollierbare Prozess der Förderung aus dem Schacht immer besser wird.
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Weiterführend → KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben.
Eine Würdigung von Ulrich Bergmann finden Sie hier.