Warum Pflanzen und Bäume? Und warum über Pflanzen und Bäume schreiben? Dazu muss bei der Sprache begonnen werden, denn was ist Bezeichnung anderes als arbiträr? Nun: Die Wortwurzel des Begriffes „Baum“ – wobei die Bezeichnung „Wortwurzel“ sich hier besonders anbietet – ist auf das Westgermanische „boum“ zurück zu führen. Auf Wikipedia findet man dafür folgende einfache Definition: „Wuchsform einer Pflanze“. In der Botanik, der Philosophie – man denke hier nur an die sogenannten Baumstrukturen – deren hierarchische Prinzipien spätestens mit Lyotards „Rhizom“ hinterfragt und kritisch beleuchtet wurden. Eine Dichterin, die alles, was in der Natur wächst, beim Wort nimmt, und sich mit diesen Begriffen bestimmt gut auskennt, ist Anna Ospelt. In ihrem neuen Buch „Frühe Pflanzung“, das sich – zum Glück – formal nicht einordnen lässt und zwischen lyrischer Prosa, freier Tagebuchform und einem aphoristischen Duktus oszilliert, nimmt das Wachsen als Stilprinzip – und kreiert damit eine völlig neue Struktur. Mensch und Natur werden hier in einem literarischen Werk erstmals ganz ohne Plot auf eine Ebene gestellt, wenn es ganz unaufgeregt heißt:
„Ein Setzling wird in die Erde gepflanzt, man giesst vorsichtig und wartet. Ein Kind wächst während der Schwangerschaft im Bauch der Mutter heran und kommt zur Welt.“
Ein wunderbares Zitat, oder? Das Adjektiv „vorsichtig“ ist eines, das sich beim Lesen der filigranen Texte übrigens immer wieder aufdrängt: Anna Ospelts Worte sind nämlich alles andere als das, was man im klassischen Sinne als „wuchernd“ bezeichnen würde, auch wenn die Sprache nur so fließt: Da ist kein Wort zu viel, da wird nichts erklärt, der Magie des Lebens nichts weggenommen, aber auch nichts verschönt oder hinzugedichtet. Auf zerbrechliche aber auch völlig unaufgeregte Weise beschreibt Anna Ospelt, was da so in ihrem Leben keimt, Form annimmt, groß wird, sich verändert und wieder vergeht.
Da ist zum Beispiel das Kind, zuerst noch ein Teil des Selbst, das laufen lernt und schließ-lich losgelassen werden muss. Da ist der Garten, in dem Leben beginnt, groß wird und wieder vergeht, und da ist die Beziehung – um einiges spröder und weniger organisch als der Garten – die aufgrund gewisser gesellschaftlicher Strukturen dann doch wieder (los) gelassen werden muss. Anna Ospelts Text schildert den Alltag von Schreiben und Muttersein auf sanfte Art und Weise und ist dabei implizit politisch. Denn ohne plakativ sein zu wollen, leuchtet stets die gesell-schaftliche Frage durch die Zeilen der Dichterin: Was bedeutet „Mutterwerden“ heute für eine Frau, die schreiben will?
Eine Suchbewegung in Sprache beginnt und setzt sich fort, entwickelt und verändert wie auch das Leben der Pflanzen. Gewürzt sind die wie hinter einer Glaswand geschilderten Betrachtungen des Textes mit filigranen visuellen Arbeiten, die ähnlich reduziert arbeiten wie die Sprache in diesem Band – und durch klare Formen, Farben und Konturen große seelische Räume im Leser öffnen. Eines wird beim Lesen von „Frühe Pflanzung“ klar – und macht Hoffnung: In Zeiten, in denen Menschen immer mehr „optimiert“ und Randgruppen immer massiver verdrängt werden, gibt es Schriftsteller*innen, die sich in ihrer Sprachbehandlung von dem in Moment vorherrschenden Prosastil abheben, mit semantischen Strukturen brechen und neue Formen des Ausdrucks suchen, indem sie existierende Sprach-Codes aus ihrem Kontext lösen und in eine neue Anordnung bringen: Ein Beispiel hierfür wäre aich Hélène Cixous, die in ihrer „écriture feminine“ eine Art des Schreibens betreibt, die sich viel eher am Klang der Sprache entlang tastet, als dass sie sich an einem stimmigen Gesamtkonzept abarbeitet oder eine traditionelle Form bedient. So wird die Produktionsmaschinerie nicht einfach beliefert, vielmehr kommt es zur Auslotung neuer Bereiche und Möglichkeiten, Sprache zu denken. Anna Ospelt scheint mir den Spuren dieser Dichterin zu folgen – und dabei doch einen ganz neuen und eigenen Stil zu entwickeln. Ein gelungenes Buch!
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Frühe Pflanzung. Lyrik von Anna Ospelt. Zürich (Limmat Verlag) 2023
Weiterführend →
Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Vertiefend zur Lektüre empfohlen, das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Sophie Reyer und A.J. Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhallein der Reihe MetaPhon.